Ein Spiel dauert sieben Minuten
Dass sich auch ein Sepp Herberger mal irren kann, haben die Borussen heute unter Beweis gestellt. Sieben Minuten reichten den Schwatzgelben aus, um Freiburg zu demütigen, das eigene Torverhältnis aufzubessern und insbesondere auch einen dicken Strich unter die eigenen Titelambitionen zu setzen.
Die Gastgeber aus Freiburg hatten vor der Partie mit einigen Personalsorgen zu
kämpfen: Richard Golz, Daniel Schumann, Ibrahim Tanko und Adel Sellimi fielen für die
Partie aus und werden dem Sportclub wohl auch noch länger fehlen, was die Chancen im
Abstiegskampf nicht unbedingt erhöhen dürfte.
Auch Matthias Sammer hatte seine Mannschaft im Vergleich zum Liberec-Spiel deutlich umgestellt und mit Kehl, Metzelder, Dede, Addo und Ricken fünf neue Gesichter in die Startformation gebracht. Stevic, Oliseh, Kohler, Ewerthon und Amoroso nahmen daher zunächst auf der Bank Platz. Im Gegensatz zu Volker Finke geschah dieser Verzicht aber eher freiwillig und ausschließlich, um die Spieler nach dem anstrengenden UEFA-Cup-Spiel in Tschechien zu schonen.
Zu Spielbeginn fiel der Blick des Betrachters zunächst auf den Namen des Unparteiischen: Herbert Fandel hieß der Mann und irgendwie plagten einen die Befürchtungen, dass man in Anbetracht der fragwürdigen BVB-Elfmeter der letzten Wochen beim DFB dem Spruch von der ausgleichenden Gerechtigkeit innerhalb einer Saison gewaltsam nachhelfen wollte. Doch daraus wurde nichts, wie sich im Laufe des Spiels schnell herausstellte.
Doch der Reihe nach: Die Partie begann denkbar schlecht und bereits die erste nennenswerte Aktion des Tages bracht den BVB ins Hintertreffem. Bei einem von Wörns in der achten Spielminute verursachten Freistoß an der Strafraumgrenze hielten es weder Rosicky noch Ricken in der Mauer stehend für notwendig, bei der Ausführung durch Kobiashvili hochzuspringen, was dem Ball den sicheren Weg in das Netz des Dortmunder Gehäuses ebnete. Jens Lehmann im Borussentor konnte dem Leder nur hinterher sehen und war in dieser Situation absolut machtlos.
In der 14. Spielminute machte der Brasilianer dann aber alles besser. Mit einem weiten Pass von der linken Seite in den Strafraum setzte Dede seinen Landsmann mustergültig in Szene und dieser ließ Torwart Reus keine Chance, sondern markierte mit einem sehenswerten Treffer den verdienten Ausgleich für Schwatzgelb.
Für die Betrachtung der nächsten Spielszene bedarf es dann jedoch einer äußerst dioptrienstarken Vereinsbrille: Nach einem klugen und durchdachten Rückpass von Sebastian Kehl grätschte Coulibaly brutal in den unerreichbaren Ball und stieß dabei hart mit Jens Lehmann zusammen, der den aus Mali stammenden Nationalspieler in dieser Aktion unglücklich am Oberschenkel traf. Coulibaly darf sich wohl beim Dortmunder Schlussmann bedanken, der noch zurückgezogen hatte und somit eine schwerere Verletzung des Freiburger Stürmers vermeiden konnte.
Von sämtlichen schwatzgelben Sehhilfen befreit, bleibt jedoch festzustellen, dass Jens Lehmann sich einmal mehr zu einer äußerst unsportlichen und dummen Aktion hat hinreißen lassen, indem er dem am Boden liegenden Coulibaly mit gestrecktem Bein und Stollen voraus an den Oberschenkel trat, und dass der Torwart gut beraten wäre, seine Emotionen endlich einmal in den Griff zu bekommen. Bei ordnungsgemäßem Verlauf und einem besseren Schiedsrichter steht der BVB nach einer solchen Tat nur noch mit 10 Mann und einem möglichen 1:2-Rückstand nach Elfmeter da. Dass es nicht so gekommen ist, dürfte in erster Linie dem Schiedsrichtergespann zu verdanken sein und bei der Borussia sollte man sich auf jeden Fall einmal Gedanken über eine vereinsinterne Strafe machen, fällt ein solches Verhalten doch immer auch auf Image und Ansehen der Mannschaft und des Vereins zurück.
Jedoch dürfte sich der Keeper mit dieser Aktion selbst einen Bärendienst erwiesen haben. Zum einen stärkt eine solche Tätlichkeit ganz sicher nicht Lehmanns Position in den laufenden Vertragsverhandlungen, zum anderen bekamen "Premiere World"-Zuschauer heute schon einen ersten Eindruck davon, dass sich die versammelte Springer-Kirch-"Journalie" bereits für eine neue Hexenjagd bewaffnet. Die Art und Weise zumindest, in der diese Tätlichkeit mit geschätzten 273 Zeitlupen-Wiederholungen breitgetreten wurde, lässt für die kommenden Tage nichts Gutes ahnen und die Herren Kommentatoren wurden auch nicht müde, Konsequenzen in Form von Sperren oder Nationalmannschaftsausschluss zu fordern.
Hier sollten sich einige "Journalisten" vielleicht einmal die Frage nach der Verhältnismäßigkeit bei der Bewertung von Fouls und Tätlichkeiten stellen. Ein Tritt wie der von Lehmann ist zwar auf der einen Seite grob unsportlich und auf jeden Fall zu verurteilen, auf der anderen Seite ist es jedoch immer noch eine ganz andere Dimension, wenn Spieler mit Anlauf und angehobenem Bein von hinten in den Körper eines Gegenspielers springen oder im Zweikampf dem Gegenüber ins Gesicht treten und die Nase brechen. Auch diese Szenen gab es schließlich an diesem Bundesliga-Wochenende zu beobachten. Aber Jens Lehmann ist mit seiner allgemeinen "Beliebtheit" und seinem der Presse gegenüber oft abweisenden Verhalten natürlich ein dankbares Ziel für die nächste Hetzkampagne des Boulevards.
Ganz besonders amüsant ist es aber, ausgerechnet von Klaus Toppmöller gehaltenen Vorträgen über sportlich-faires Verhalten lauschen zu dürfen, entblödete sich dieser Kämpfer für Anstand und Moral doch im Anschluss an das Spiel nicht, eine äußerst faire und gerechte Sperre für den Torwart des direkten Konkurrenten zu fordern. Eine äußerst anständige Geste, wie wir finden. Manchmal ist Schweigen dann eben doch Gold...
Zurück zum Spiel. Der BVB präsentierte sich fortan als spielbestimmende Mannschaft, wenn auch nicht wirklich zwingend und noch mit einigen Fehlern. Insbesondere Otto Addo, der im Sturm äußerst unglücklich agierte und Sebastian Kehl, der seine ungeheure Zweikampfstärke mit ein paar katastrophalen Abspielfehlern relativierte, waren die Schwachpunkte im Spiel der Borussia und so lief das Spiel bis zur Pause fast ausschließlich im Mittelfeld ab. Aufregung gab es lediglich kurz in 35. Spielminute, als Addo von Diaara festgehalten zu Boden fiel, doch Schiedsrichter Fandel wertete dies als normalen Zweikampf - und auch wenn in dieser Saison schon ganz andere Strafstöße gegeben wurden, dürfte der Mann in Grün mit dieser Entscheidung wohl richtig gelegen haben.
In den letzten zehn Minuten vor dem Halbzeittee machte die Borussia dann noch durch zwei Distanzschüsse auf sich aufmerksam, doch während SC-Keeper Reus von Lars Ricken in der 37. Minute mit einem sehenswerten Linksschuss aus etwa 25 Metern ernsthaft geprüft wurde, stellte Rosickys Schuß sechs Minuten später genau auf den Torwart keine ernsthafte Gefahr für das Tor der Breisgauer dar.
Die zweite Hälfte begann dann ähnlich wie die erste aufgehört hatte: Der BVB zeigte sich bemüht, das Spiel zu machen, während der Sportclub in erster Linie auf Konterchancen lauerte. Beiden Teams war jedoch deutlich die Angst vor Fehlern anzumerken und so spielte sich das Geschehen weiterhin hauptsächlich im Mittelfeld ab. Bemerkenswerte Torraumszenen waren in den ersten Minuten der zweiten 45 Minuten keine zu beobachten.
Nach 60 Minuten wechselte Matthias Sammer zum ersten Mal und brachte Amoroso für den völlig blass gebliebenen Addo - ein Wechsel, der sich auszahlen sollte.
28 Minuten vor Schluss dann endlich wieder so etwas wie Torgefahr: Rosicky setzte sich an der Torauslinie schön gegen zwei Freiburger durch und spielte den Ball vors Tor zu Landsmann Koller, doch anstatt es selbst mit einem Torschuss zu versuchen, probierte dieser den Doppelpass mit Rosicky - ein Versuch, der misslang.
64. Spielminute, eine Gala begann. Der eingewechselte Amoroso diente Dede als "Bande" beim Doppelpass und schickte den kleinen Flügelflitzer steil in den Strafraum, von wo aus dieser mit einem Schuss aus halblinker Position sowohl seinen ersten Saisontreffer als auch die Führung für den BVB markierte. Torwart Reus sah in dieser Situation allerdings nicht wirklich gut aus und wurde von Dede fachgerecht getunnelt.
Was dann in den folgenden sieben Minuten passierte, dürfte in der Bundesliga wohl bislang einmalig sein. Die Freiburger Hintermannschaft brach nach dem 2:1 völlig auseinander und lud den BVB förmlich zum Toreschießen ein, was die Borussenstürmer auch dankbar annahmen:
67. Spielminute: Evanilsonflanke auf Koller, Timo Reus kam aus seinem Kasten heraus, der lange Tscheche köpfte den Ball an die Latte und Amoroso staubte ebenfalls per Kopf in das leere Freiburger Gehäuse ab - 1:3!
69. Spielminute: Rosicky lief über die linke Seite und spielte Koller freistehend vor dem Tor an. Timo Reus kam ihm entgegen und konnte den Schuss sogar noch leicht abfälschen, doch der Ball trudelte dennoch ins Tor - 1:4!
71. Spielminute: Jeder Schuss ein Treffer. Amoroso flankte von außen in die Mitte, Diarra verpasste und Koller spitzelte das Leder ins Netz - 1:5!
Dieser Spielstand ist dann auch das Endergebnis. Die Freiburger wachten zwar jetzt, wo das Spiel schon verloren war, noch einmal auf und kamen noch zu ein, zwei halbwegs gefährlichen Aktionen, doch insgesamt war die Leistung der Rot-Schwarzen viel zu schwach, um das Tor des BVB ernsthaft zu gefährden.
Fazit:
Eine ziemlich durchschnittliche Leistung und sieben Gala-Minuten reichten dem BVB heute aus, um Freiburg abzuschießen. Zwar ist nicht alles Gold, was nun am Endergebnis glänzt, aber dieser Sieg könnte ein entscheidender Schritt in Richtung Titel gewesen sein - auch wenn er vielleicht ein Tor zu hoch ausgefallen ist. Auf jeden Fall aber haben sich die Borussen heute in Freiburg ganz im Stile einer Spitzenmannschaft präsentiert und das dürfte zumindest Selbstvertrauen für die kommenden Aufgaben geben.
Und dem Herrn Kahn möchte ich mal folgende Frage stellen: Welche andere Mannschaft hat sonst noch Donnerstag ein hartes Spiel in Prag und reißt sich dann drei Tage später den Hintern auf und liefert ein derart deutliches Ergebnis ab? Wohl nur eine, nur die Borussia!
Das Statement des Spieltags lieferte dann auch einer der Matchwinner, nämlich Dede: "Die einen Mannschaften haben eine große Klappe, wir spielen dafür Fußball!" Dem ist aber auch rein gar nichts hinzuzufügen.
Die Daten zum Spiel:
Borussia: J. Lehmann (4) - A. Evanilson (2), C. Wörns (2,5), C. Metzelder (2,5), L. Dede (1,5) - S. Reuter (3) [70. J. Kohler (-)], S. Kehl (3,5) - T. Rosicky (2,5), L. Ricken (3) - J. Koller (1,5) [77. H. Ewerthon (-)], O. Addo (4) [59. M. Amoroso (2)].
Freiburg T. Reus - S. Müller, B. Diarra, B. Kruse - O. Kondé - T. Willi [70. F. Bruns], V. But, A. Zeyer, S. Coulibaly [87. R. Dorn], L. Kobiashvili - A. Iashvili [70. L. Tskitishvili].
Tore: 1:0 Kobiaschwili (9.), 1:1 Evanilson (15.), 1:2 Dede (64.), 1:3 Amoroso (66.), 1:4 Koller (69.), 1:5 Koller (70.)
Gelbe Karten: Ricken, Wörns - Willi, Kobiashvili
Schiedsrichter: Herbert Fandel aus Kyllburg - Note 4,5: An sich kein schlechter Leiter, hat aber zusammen mit seinen Assistenten die Szene des Spiels verpasst. Rot für Lehmann und Elfmeter für Freiburg hätten das Spiel möglicherweise ganz anders ausgehen lassen. Gut für den BVB, daß dem nicht so war.
Zuschauer: 25.000 (ausverkauft)