Nicht nur bei ARD und ZDF sitzt man in der ersten Reihe - Zum heutigen „Tag der Behinderten“
Fußball in Dortmund ist Emotion, ungezügelte Leidenschaft und nicht zuletzt auch Tradition. Wer hier aufwächst, saugt praktisch schon mit der Muttermilch diesen "unheilbaren Bazillus schwatzgelb" auf. Niemand kann sich entziehen und doch kann nicht jeder hin. Körperliche Einschränkungen zwingen manch einen eingefleischten Borussenfan, sich seine Lieblingskicker nur via Fernseher anzuschauen. Doch es gibt ein kleines Lichtlein am Horizont, in Gestalt von Uwe Pleß, seines Zeichens erster "Behinderten-Fan-Beauftragter" von Borussia Dortmund.
Bereits seit den frühen 90´er Jahren engagiert sich der 41-jährige Einzelhandelskaufmann für diese gesellschaftliche Randgruppe. Im Jahre 1993 hebt er mit seinen eifrigen Mitstreitern den BVB-Fanclub "Sonnenkönige '93" aus der Taufe, der von Stund an auch an seinem Gründungsort, der "SONNE" residiert. Die Gründungsmitglieder beschließen sofort, sich neben der gemeinsamen Liebe zur Borussia auch sozial engagieren zu wollen. Just in diesen Tagen begab es sich, dass eine Rollifahrerin und Freundin aus dem Fanclubumfeld uns auf ihre schier unlösbaren Probleme beim Stadionbesuch hinweist "und wir beginnen, dieses Thema einmal genauer zu beleuchten", erinnert er sich noch heute. Uwe Pleß wird übrigens erster Vorsitzender und wie der BVB später ehrfurchtsvoll sagen sollte, ist er "der richtige Mann in einer wichtigen Funktion" (Borussia aktuell Nr.2, vom 11. August 2001).
Manch fetzige Debatte hat er anfangs mit den "Vereinsoberen" ausgefochten, aber Stück für Stück kamen er und seine Lebensgefährtin Susi Ampft dem selbstgesteckten Anliegen, der sukzessiven Verbesserung der Rahmenbedingungen für behinderte BVB-Fans weiter. Unermüdlich und vor allem beharrlich näherten sich Manager Michael Meier und Uwe seither in der Umsetzung an und seine Liste der Verbesserungen kann sich seither durchaus sehen lassen:
1994 machen die "Sonnenkönige" mit einer Flugblattaktion speziell bei den Rollifahrern im Stadion zum ersten Mal auf sich aufmerksam und laden zu einer Infoveranstaltung am 18. 5. 1994 ins "Cafe Corso" ein. Die Resonanz zu diesem Abend ist dermaßen überwältigend und genauso überwältigt sind sie selbst, wie viele Betroffene ihre unterschiedlichen Probleme als Behinderte schildern! Und sie beschließen, eine erneute Veranstaltung - diesmal mit den Verantwortlichen des BVB durchzuführen, damit diese einmal direkt und unmittelbar auf die Probleme hingewiesen werden. Dieser denkwürdige Abend findet am 5. 10. 1994 im Freizeit-Zentrum-West - kurz FZW genannt - statt, wobei unter anderem Manager Meier, ein Mitarbeiter vom Hochbauamt, das Fanprojekt und eine Arbeitsgruppe der Fachhochschule Dortmund anwesend waren. Schon bei diesem ersten "offiziellen Hearing" kristallisieren sich erste, ernstzunehmende Anhaltspunkte heraus:
- die eingeschränkte Sicht am (damals noch vorhandenen) Zaun
- zu wenige Karten für Rollifahrer
- keine Rollitoilette im Westfalenstadion (bzw. eine im Stadion Rote Erde)!!!
- keine geeigneten Rolliparkplätze in der Nähe des Stadions
Stolz auf den Durchbruch erinnert sich Uwe Pleß: "Seit diesem Treffen sind wir also eigentlich mitten drin im Geschehen, und werden vom BVB auch immer wieder gern genannt, wenn Behinderten-Fragen in der Geschäftsstelle auflaufen. Mittlerweile haben wir acht(!) Rollifahrer unter unseren Mitgliedern. Natürlich mussten wir auch erst einmal den Umgang mit ihnen lernen, doch schon bald gab es da überhaupt keine Probleme mehr. So nehmen wir die Rollifahrer natürlich auch zu unseren Auswärtsfahrten mit, und sie fahren, wie jeder andere auch, ganz normal im Bus mit."
Uwe ist ein Mann aus dem Fan-Volk
Ein erster Schritt war nun gemacht und wie "ein unangenehmer Stachel im Arsch" waren die engagierten Leute jetzt nicht mehr wegzudenken! Da Uwe und Susi´s Adresse nun mal die Kontaktadresse des Fanclubs ist, erhalten sie fortan immer wieder Anfragen von Behinderten, die in regelmäßigem Kontakt mit Manager Meier auf deren Lösbarkeit hin besprochen werden. Doch ein Problem taucht leider immer wieder auf: Die Mühlen des BVB mahlen bekanntlich mehr als langsam und so dauert es seine Zeit, bis sich auf das ständige Drängen der "Sonnenkönige" hin, endlich etwas bewegt! Und doch, es geht voran. In der Winterpause der Saison 1996/97 werden im Westfalenstadion die Zäune vor den Rollifahrer-Plätzen entfernt, die sich jeweils vor der Ost- und Westtribüne an den Werbebanden befinden. Doch das war ganz und gar nicht die einzige Verbesserung, denn...
- im Rahmen der Ausbaupläne werden unter der Osttribüne drei Rollitoiletten gebaut,
- die Firma ARAMARK richtet jetzt einen speziellen Bedien-Service für die Rollifahrer ein. Vorher wurden diese, zumindest im Winter, selbständig von Mitgliedern des Fanclubs mit heißen Getränken versorgt,
- einige Fahrdienste in Dortmund werden vom BVB mit sog. Durchfahrtscheinen versorgt, d. h. Rollifahrer können über diese Fahrdienste ins Stadion reingebracht, und dort auch wieder abgeholt werden.
Mittlerweile hat man die Wichtigkeit dieser Anliegen auch beim BVB erkannt und sich in Gestalt des Geschäftsführers der Westfalenstadion GmbH & Co.KG der Sache angenommen. Dr.Christian Hockenjos - von Michael Meier auf die Problematik hingewiesen - erweist sich fortan als kompetenter Ansprechpartner. Doch es tut sich weiteres, auch überregional, denn die Behinderten Fußballfans aller Bundesligavereine beginnen sich zu organisieren, werden beim DFB vorstellig und veranstalten halbjährlich bundesweite Treffen. Zu diesen wird auch Uwe Pleß, allerdings zunächst noch als inoffizieller Ansprechpartner von Borussia Dortmund, eingeladen. Aber der DFB - der dieses Thema sehr ernst nimmt - verlangt jetzt von den Vereinen die (Be- bzw.) Ernennung eines offiziellen Behinderten-Fanbeauftragten. Da der BVB sich in der Meier-Ära aber traditionell immer schwer getan hat, aus dem Reihen der Fanszene einen "Vorzeigefan" , noch dazu für eine offizielle Abgesandtschaft zu nominieren, verwundert es jedoch hier sehr, dass Manager Meier unverzüglich den engagierten Uwe Pleß bittet, diese Aufgabe ehrenamtlich für die Borussia zu übernehmen!
Dieses "Mandat" für behinderte Dortmund-Anhänger verpflichtet und so hat sich der Fan-Club "Sonnenkönige" auch für die Zukunft noch viel vorgenommen. So will der Fanclub im nächsten Jahr ein schon jetzt vielbeachtetes Behinderten-Fußballturnier in Dortmund organisieren, zu dem das Fan-Projekt bereits im Planungsstadium seine aktive personelle Unterstützung zugesagt hat.
Auch im Westfalenstadion wird sich noch einiges verändern, da mit der fünften Ausbaustufe auch eine Neu-Organisation der Behindertenplätze einher geht. Dies ist notwendig geworden, da die Kapazität auf 60.000 Sitzplätze angehoben werden soll. Im Vorfeld dazu aber gab es von Christian Hockenjos die verbindliche Zusage, den "Behinderten-Fan-Beauftragten" bei allen dieses Thema betreffenden Gesprächen mit einzubinden. Auch in die Verbesserung der Parkplatzsituation soll er entscheidend in die Planung involviert werden. Und mit ganz klaren Vorstellungen ausgestattet, wird der 41-jährige Dortmunder in diese Gespräche gehen: "Mein persönliches Ideal-Beispiel ist Manchester United, die (so auch die Meinung der Betroffenen) absolut ideale Bedingungen für Behinderte geschaffen haben. Sicher muss auch über die Kartenvergabe noch einmal nachgedacht werden. Die Situation gestaltet sich als absolut unbefriedigend", weiß Pleß noch viele "dringende Anliegen" einer befriedigenden Lösung in seinem Sinne zuführen zu müssen...
Unser Redakteur Jörg Wagner
Seit Jahresbeginn unterstützt uns Jörg Wagner in der "schwatzgelb.de-English Section".
Der 25 jährige Anglistikstudent wohnt in Kassel und schaut - wenn er nicht in Sachen BVB unterwegs ist - auch schon mal gern auch beim KSV Hessen Kassel vor der Haustür vorbei, denn es ist für einen wie ihn, den Rollifahrer aus der Schwatzgelb.de Redaktion nicht so einfach, seinen Lieblingsverein "live" zu sehen. Da sind zum einen die Kämpfe mit den widrigen und nicht behindertengerechten Umständen bei der Bundesbahn, dem permanenten Kampf gegen die Uhr und... zu aller Verwunderung - dem BVB. Sicher versucht er, so oft wie´s geht, hinzufahren, "aber seit neuestem lassen die einen bei Borussia Dortmund quasi nicht. Viermal habe ich in dieser Saison bei Bestellungen von Rolli-Karten vom BVB Ticket-Service nicht mal eine Antwort gekriegt", gibt er dem "Ticket-Management" des Matthias Naversnik vernichtende Noten!
Probleme, auf die wir immer wieder stießen bei unseren Recherchen! Allerdings räumt Jörg dann aber auch unumwunden ein: "Wenn man dann tatsächlich mal ne Karte kriegt, sind die Rolli-Plätze im Westfalenstadion natürlich die Besten, die man sich nur denken kann, aber die Verteilung der Karten ist absolut beschissen", klingt bei Jörg Verbitterung durch. Und er ergänzt: "Noch schlechter funktioniert es eigentlich nur noch in Leverkusen. Generell ist es für mich mittlerweile echt leichter zu Auswärts- als zu Heimspielen zu fahren." Probleme, die Uwe Pleß natürlich nicht unbekannt sind.
Aber all diese Probleme können seine Liebe zum Dortmunder Traditionsverein nicht schmälern. BVB-Fan ist er seit dem Pokalsiegerjahr 1989 und gerät auch prompt ins Schwärmen. "Ich mag die Stadt, ich fühle mich überhaupt wohl im Ruhrgebiet und auch die Fans haben mir immer imponiert." Nur eines stört ihn dann doch sehr, die heutige Einstellung der neuen Spielergeneration zum Beruf eines Profifußballers. "Eigentlich muss ich sagen, dass man früher mit dem Verein mehr zu lachen hatte. Ich mochte so Leute wie Kutowski oder Michael Schulz. Die waren vielleicht nicht so filigran wie heute ein Wörn´s zum Beispiel, aber dafür haben sie nicht gleich was von Wechsel erzählt, wenn es mit dem Verein schlecht lief." Und es umschleicht ihn so ein Gefühl, wie es schon bei so vielen bei uns immer mal wieder aufgetaucht ist. Die "Qualität" der Identifizierung ist eben heute eine andere. "Insgesamt war ich früher sicherlich ein leidenschaftlicherer Fan als heute" und er erklärt: "Die miese Art wie ein "Dortmunder Junge" wie Stefan Klos gegangen wurde, hat mich sehr gewurmt. Es war der Auftakt einer Reihe unpopulärer Maßnahmen, die den BVB bis heute von der Basis sukzessive entfernten. Und trotzdem geht man immer wieder hin...
Zu den Spielen gehe ich des öfteren mit meinem Kumpel Manni, der aus der Nähe von Detmold stammt und auch schon ziemlich lange BVB-Fan ist. "Wir beide waren mal gemeinsam auf einem Internat und teilen die Liebe zum schwatzgelben Kultverein. Allerdings bin ich aber nicht so fanatisch, dass meine sämtlichen Freunde nur zur Borussia tendieren müssen." Und so gesteht er uns auch ohne "Folter und Daumenschrauben", dass seine dicksten Freunde Bremen- und sogar Bayern-Fans sind. Bei einer (Brief-) freundschaft, die er mit einem BVB-Kumpel aus England unterhält, ist ihm sein exzellentes Englisch natürlich sehr behilflich. Und für Leute wie ihn übersetzt Jörg gerne in seiner Freizeit die NEWS von schwatzgelb.de ins Englische, wobei der ihm dann gelegentlich hilft, spezifische Fußballbegriffe zu übersetzen. So stellen wir uns länderübergreifende Freundschaften vor - übrigens von unseren 4000 Fans in Liverpool mal wieder "live" anschaulich demonstriert...