Wir haben keine Maikäfer mehr...
Wo sind sie geblieben, unsere Fußball-Ästheten? Die Ballzauberer mit dem genialen Blick für den Pass in den freien Raum, dem Samtgefühl für das Leder beim zelebrieren eines Freistoßes oder der perfekten Ballannahme? Oder anders gefragt, gibt es in Deutschland heutzutage überhaupt noch Spieler, denen der Ball gehorcht und nicht umgekehrt? „Günna“ komm zurück, oder: Auf der Suche nach dem letzten „Filigranen.“
Im Umgang mit den sportlichen Blamagen jedenfalls entwickeln Deutschlands Fußball-Nationalspieler bereits eine Besorgnis erregende Routine. Das klägliche 0:0 gegen Finnland, mit dem binnen fünf Wochen zum zweiten Mal die auf dem silbernen Tablett angebotenen WM-Tickets fahrlässig ausgeschlagen wurden, hinterließ auf den Gesichtern der Hauptdarsteller weit weniger Spuren als das 1:5-Debakel gegen England. Während die 52.333 entsetzten Zuschauer ihr Team schonungslos auspfiffen und ein besorgter DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder ein WM-Scheitern als "mittlere Katastrophe für den deutschen Fußball" ins Kalkül zog, wertete DFB-Teamchef Rudi Völler das armselige Treiben auf dem Rasen sogar als Muntermacher für die beiden "Endspiele" in der Relegation gegen die Ukraine. Angeblich noch in der Kabine seien die ersten "kämpferischen Parolen" ausgesprochen worden, berichtete Manndecker Christian Wörns. Nach außen dokumentierten etliche Nationalspieler ein angesichts der zuvor gezeigten Darbietung bemerkenswert unerschüttertes Selbstvertrauen. "Ich denke, zittern müssen wir gegen die Ukraine nicht", urteilte der zuvor wirkungslos gebliebene Jungstar Sebastian Deisler. Und Jens Nowotny, der wieder den Beweis eines Führungsspielers schuldig blieb, befand: "Der eine oder andere wird ein paar Tage daran zu knabbern haben. Aber wir werden gegen die Ukraine das WM-Ticket lösen."
So sorglos und unbeschwert Völler und sein Personal die Situation auch schönreden mochten, bei Zuschauern und Tribünen-Prominenz hinterließen die Live-Eindrücke mehr Wirkung als die Durchhalteparolen danach. "Das ist bitter, dass man sich jetzt mit der Situation beschäftigen muss, die Hausaufgaben nicht gemacht zu haben", urteilte Werder Bremens Trainer Thomas Schaaf. Noch deutlichere Worte fand Ex-Nationalspieler Günter Netzer. "Wäre heute die Ukraine der Gegner gewesen, hätten wir das nicht heil überstanden. Wenn die Mannschaft so weiter spielt, ist sie nicht bei der WM dabei", sagte der "Fußball-Professor" und nahm auch den Teamchef ausdrücklich in die Verantwortung: "Das war der absolute Tiefpunkt in der Ära Völler", analysierte Netzer schonungslos.
Schon Ende der "Rudi-Euphorie"
In der Tat ist von der Euphorie, die Völler seit seinem Amtsantritt vor 14 Monaten begleitet hat, nach dem 13. Länderspiel unter seiner Regie nichts mehr zu spüren. Wie vor fünf Wochen gegen England zeigte die deutsche Mannschaft gegen Finnland streckenweise einen Fußball, der in seiner Konfusion und Leblosigkeit an Auftritte der Ära seines Vorgängers Erich Ribbeck erinnerte. "In der ersten Halbzeit hat man Angst vor Eins-gegen-Eins- Situationen gehabt, keine große Lauffreudigkeit und keinerlei Kombinationsspiel gesehen", zählte DFB-Chef Mayer-Vorfelder die gravierendsten Mängel auf.
Deshalb war es auch nicht - wie der offiziell nur stellvertretende, in Wirklichkeit aber „wahre Kapitän“ Oliver Kahn kritisch anmerkte - nur Pech, dass bei vier Großchancen von Oliver Bierhoff und einer weiteren hochkarätigen Möglichkeit des enttäuschenden Michael Ballack Pfosten, Latte oder Finnlands Torhüter Niemi im Weg standen. "Wir haben das Glück nicht erzwungen", sprach Kahn einen Mangel aus, den sich deutsche Nationalmannschaften bei entscheidenden Spielen in der Vergangenheit selten vorwerfen lassen mussten. Viel mehr als diese lustlose und ängstliche Vorstellung aber macht einem jedoch Angst, dass es hier wie da an „echten Alternativen“ mangelt. Klar haben wir da noch einen Scholl (der bei seiner Begabung eigentlich auch schon seit 3 Jahren Weltklasse sein müsste!), einen Jeremies (er könnte mit mehr Disziplin der deutsche Edgar Davids sein) oder Hamann (mehr als einen Mordshammer im Fuß hat der auch nicht), aber sind das denn wirklich die Perspektiven, die uns wieder ganz nach vorn bringen können? Ich denke, das reicht nicht aus.
Seien wir doch mal ehrlich: Die Zeit der „Durchwurstelei“ ist vorbei. Durchhalteparolen a la nach der EM sind uns allen noch gut in Erinnerung. Das haben wir wirklich überdrüssig. Jetzt gilt es schonungslos Bilanz zu ziehen – und zwar seit dem Letschkov-Tor mit verbundener Heimreise 1994 in den USA. Das permanente Zukleistern und Beschönigen von gravierenden Mängeln im Fußballland Deutschland muß nun endgültig der Vergangenheit angehören. Wir sollten nun nicht länger wundervoll von unseren eigenen (übrigens vom DFB vorgeschriebenen) Internaten reden und dann doch wieder - quasi über Nacht - Brasilianer kaufen!
Aber was passiert stattdessen? Ohne wenn und aber, alles nur Gelaber... Die (hohle) Parole vom "Bündnis für Fußball" vollmundig daherzulabern, ist ja wohl der größte Humbug! Ein für alle mal: Schluß mit den Gesundbetereien. Niemand – und erst recht kein Bundesligaclub wird seine eigenen Interessen denen der Nationalmannschaft unterordnen. Wie auch? Hat das Konsequenzen für den Verein, wird man sich diesen Fehlern geradezu penetrant erinnern, wenn wieder Wahlen anstehen...
Nur Schnellschuß, oder der Anfang eines systematischen Aufbaus?
Zudem kommt ja nun jetzt aus Frankfurt das (vermeintliche) Aufbruchssignal. Ein Auszug: „Der Deutsche Fußball-Bund will bei der Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land eine schlagkräftige Mannschaft präsentieren. Dafür soll ab sofort ein Perspektiv-Kaders aufgebaut werden. In dem «Team 2006» sollen jahrgangsübergreifend junge Spieler zwischen 15 und 25 Jahren zusammengezogen werden, die für die Titelkämpfe in fünf Jahren im eigenen Land in Betracht kommen.“ Mayer-Vorfelder, ließ allerdings offen, wann die „Perspektiv-Mannschaft“ ihre Feuertaufe erleben soll... Der DFB will im Gespräch mit anderen europäischen Verbänden (klar, da haben die sicher alle drauf gewartet) Spiele vereinbaren und auch die Möglichkeit einer „internen Meisterschaft“ erörtern. „Ich stelle mir auch Dinge wie gemeinsame und jahrgangsübergreifende Lehrgänge vor, damit ein Gruppenverständnis entsteht und sich die Leute auch vom Spielverständnis her besser kennen lernen, erklärte „MV.“
Die bislang als Unterbau des Nationalteams installierte und von Horst Hrubesch betreute A2-Mannschaft wird stattdessen wohl wegen permanenter Erfolglosigkeit aufgelöst. Offen ließ die DFB-Führung, wer das «Team 2006» eigentlich trainieren soll. Allerdings pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass „Fußballgott“ Jürgen Kohler als ein Teil eines Trainerduos dort ebenso gewünscht wie vehement gefordert wird. Bis zum Monatsende soll nun eine Liste mit Spielernamen für dieses Nachwuchs-Team erstellt werden, heißt es da lapidar. Aber wer soll denn da nun rein, nach welchen Kriterien und wie erproben die „Yoister“ denn Ihr Können? Im Nintendo vielleicht?
Welcher Spieler mit Perspektive soll sich denn hier in unserm Land überhaupt versteckt haben, der das Zeug hat mal ein „wirklich Großer“ zu werden? Gut, wir konstatieren Mit Sebastian Deisler und Michael Ballack zwei Riesentalente, die allerdings bereits heute unter dem ungeheuren Erwartungsdruck zu zerbrechen drohen. Sicher, es gibt sie noch, die Perspektivspieler im deutschen Fußball, aber man wird wesentlich mehr tun müssen, als das Thema weiter in die Breite zu diskutieren! Entscheidungen sind gefragt – JETZT !!
Namen die man sich merken muß?
Zur Zeit ergibt sich so ein Kreis von Namen in etwa aus: Sebastian Kehl (Freiburg) und Christoph Metzelder (Dortmund), Roman Weidenfeller (Kaiserslautern, Tor), Sebastian Schindzielorz (Bochum), Hanno Balitsch (Köln) und Denis Lapaczinski (Berlin) aber auch: Christian Timm, Marco Reich, Mattias Kreuz (alle Köln), Sven Müller (Wolfsburg) Clemens Fritz, Marco Engelhardt (beide KSC), Tobias Willi, Florian Bruns und Ferydoon Zandi (Freiburg), Arne Friedrich (Bielefeld), sowie die Leverkusener Anel Dzaka, Michael Zepek und Markus Daun, dazu Manuel Benthin (Union Berlin), Tim Borowski und Fabian Ernst (beide Werder Bremen), Christian Rahn (FC St. Pauli), Christian Tiffert, Fabio Morena (beide Stuttgart), Bernd Korzynietz (Bor. M'gladbach), Daniel Bierofka (1860 München) Florian Kringe (Dortmund), Christian Mikolajczak (Schalke), Sebastian Helbig und Lars Jungnickel (Cottbus).
Im weiteren Blickpunkt: Jan Schlösser Markus Feulner, Florian Heller, (alle Bayern), Dennis Eilhoff (Bielefeld), Florian Thorwart (Dortmund), Mathias Koch (Hertha Berlin), Simon Rolfes (Bremen) Andreas Hinkel, Michael Fink, Kevin Kuranyi, Marvin Braun (alle Stuttgart) Daniel Unruh (Hoffenheim), Andreas Wolf (Nürnberg), Mario Göttlicher (Mannheim), Nasir El Kasmi (Leverkusen), Thomas Hitzlsperger (Aston Villa), Andreas Görlitz (1860 München), Benjamin Wingerter (Schalke), Heiner Backhaus (Hannover), Jan Männer (Freiburg), Kristian Nicht (Jena), Roland Bonimeier (Burghausen), Daniel Wimmer (Nürnberg), André Puscher (Fürth), Michael Habryka (Wolfsburg), Markus Wersching, Florian Thorwart (beide Dortmund), Thorsten Reuter (Kaiserslautern), Stefan Beckert (Bremen) und Erdogan Umut (Mannheim).
Und diese Jungs sind ebenfalls mit Perspektiven: Sascha Höhle (Bochum), Philipp Lahm (Bayern), Matthias Lehmann (Stuttgart), Sascha Riether (Freiburg), Moritz Volz (Arsenal London), Eugen Bopp (Nottingham Forest), Sebastian Kneissl (Chelsea London), Marcel Schied (Rostock), Mike Hanke, Christian Haufe, Fabian Lamotte (alle Schalke), Philipp Heerwagen (Unterhaching), Patrick Jahn (Cottbus), Mario Jurkschat (Dortmund), Mario Ketterer (Freiburg), Andre Maczkowiak (Leverkusen), Eser Yagmur (Wolfsburg)*.
*Anmerkung: Diese Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit. Sollte hier der eine oder andere fehlen, so ist dies keine Absicht.
Aber wie gesagt, es sind alles nur Namen. Durchsetzen müssen sie sich schon selbst. Und um dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen, brauchen wir mehr Geduld, Verständnis und vor allem Förderung durch Spielpraxis! Müssen denn erst noch mehr Talente nach England gehen, weil sie dort eine erstklassige und professionelle Ausbildung erhalten? Der Nachwuchs ist ja da, nur mangelt es seit Jahren an der Integration, weil es in diesem „Karpfenteich des Überlebens“ allemal wichtiger ist, einen Kirgisen vom anderen Ende der Welt zu verpflichten, als einen eigenen A-Junior ins kalte Haifischbecken zu werfen und da durch zu prügeln? Ich sage NEIN. Habt einfach wieder mehr Geduld und Ruhe, lasst diese „Jungfüchse“ jetzt auf´s Grün! Schafft endlich Wettbewerbe in Deutschland, die fordern und fördern! Seit Jahren haben wir sogar internationale Nachwuchsrunden und kommen dennoch nicht vom Fleck! Jetzt reden wir von der eigenen Amateurliga – auch eine gute Überlegung, die es gilt mal langsam umzusetzen!
Der deutsche Fußball darf sich jetzt ruhig ernst nehmen, er muß es wohl auch. Allerdings wäre er gut beraten, wenn die Entscheidungsträger einmal mittels gutüberlegter Strategien dieses Ziel ansteuern würde, anstatt in hektischen Aktionismus zu verfallen. Was wir jetzt brauchen sind greifbare Ergebnisse und keine buntbebilderten Schlagzeilen über innovative Neueinführungen...