Hut ab vor diesen Leverkusenern!
Bayer 04 - nicht selten als Provinzling von der “anderen Rheinseite” verspottet und noch öfter als “Plastikclub, Farbenstädter, oder Werkself” in der täglichen Journalistenarbeit herabgestuft, ist erwachsen geworden! In den letzten Jahren klammheimlich, Etappe für Etappe, auf der Leiter nach Erfolg und Ruhm zwar emporgeklettert, doch nicht ganz oben angekommen, wittert man jetzt mit dem verschlagenen “Toppi” endlich Morgenluft. Bayer Leverkusen ist ein Markenartikel geworden, der - man muß es nüchtern konstatieren - derzeit einfach Spaß macht!
Vorbei die Zeiten der umufernden Konkurrenz, als der nun in trister Drittklassigkeit dümpelnden Fortuna aus Düsseldorf, oder dem semantisch verklärten, ehemaligen Nobel- und wohl künftigen Zweitligaclub, aus Köln-Müngersdorf die Aufmerksamkeit gebührte. Nein, die TV-Teams von heute fahren gen Leverkusen. Dort hat man nicht nur in den letzten Jahren die Hierarchie am Rhein rigoros neu geordnet, sondern gar in der Liga die immer als hartnäckigster Bayern-Kontrahent vermutete Borussia aus Dortmund scheinbar mühelos abgehängt, so schickt man sich nun an, den finalen Durchbruch anzustreben. Und wahrlich, die Chancen stehen gut!
Und die allerorts angestimmten Lobeshymnen dieser Tage gipfeln in dem Statement des größtem von Allen, der kaiserlichen Hoheit „Fränzchen“ Beckenbauer, der da erst unlängst sagte: “Die Mannschaft gehört dahin, wo sie jetzt steht - auf den 1. Platz.” Zugegeben, es mutet schon so ein wenig “despektierlich” an, wenn da von den Höhen des „Stangelwirt´s“ im schönen Kitzbühl ein in höchsten Sphären schwebender Mensch, der es ohnehin gewohnt ist immer “oben” zu sein, sicher derart vernehmen läßt. Rainer Calmund jedenfalls hat lange schon seine eigene Meinung über den Münchner: Bei Franz Beckenbauer sagen alle: „Du bist der Kaiser... Du machst nichts falsch und wenn Du was falsch machst, sagen alle, das war richtig!”
Der “Pate” zieht geschickt die Fäden
Und doch, es ist nicht von heut auf morgen entstanden, das Reich in Leverkusen! Nennen wir nur zunächst stellvertretend Calli, alias “den Paten”, seines Zeichens “ein Macher” par exellance. Er gilt als “Graue Emminenz”, der große Macher, Strippenzieher und Feldherr, mit dem Charme einer stets quick fidelen rheinischen Frohnatur beim Büttenreden im Karneval. Ein frecher - die Badener würden sagen - “Dummschwätzer”, der auch mal - nach eigenem Bekunden - in die schweinische Kiste greifen kann und zur Drecksau wird! Aber wer erfolgreich agiert, der darf auch mal daneben hauen! So fällt beispielsweise Michael Meier, zu Calmund´s überzogenem Lobgesang und drängeln auf eine erneute Arena-Ansetzung des so wichtigen Qualifikationsspiels unserer Nationalmannschaft gegen die Ukraine, vor Wut gleich gar nichts mehr ein. Aber der listige Bayer-Cheflobbyist weiß auf seinen intelligenten Strategiezügen quer durch die Republik immer mächtige Verbündete hinter sich. Denn Bayer Vorstand Dr. Schneider, ein Intimus von Egidius Braun und “MV” und größter Protegier der WM-Bewerbung weiß, was er an Rainer Calmund, seinem streitbaren Leiter der Fußballabteilung hat.
Schließlich ist das “Wunder Leverkusen” ja nicht über Nacht vom Himmel gefallen. Es war ein langer, widriger Weg, gepflastert mit Stolpersteinen und Häme, da man sich anschickte eine andere, zumeist “telegen- öffentlichkeitswirksame” Personalpolitik zu wählen. Mit Ribbeck gewann man zugegebener Maßen glücklich im Jahre 1988 den UEFA Cup. Doch das führte weder zur anerkennenden Akzeptanz, noch war es ein Ausriss vom “Mauerblümchendasein” in bessere Zeiten, also wurde kurzerhand das “Konzept Bayer 2000” geboren. Das darin beschriebene Ziel, der berühmte Wehner´sche “Marsch durch die Institutionen” wurde fortan mit aller Konsequenz umgesetzt. Pläne zum Ausbau des drögen “Ulrich- Haberland- Stadions” inclusive. Mit Rinus “dem General” Michel, wie er seit seiner Kölner Zeit schlitzohrig genannt wurde, einem Trainer-Grandseigneur alten Schlages, sollte ein kontinuierlicher Aufbau mannschaftlicher Substanz geschaffen werden. Als das gehörig mißlang holte man den seichten und braven Reinhard Saftig, einem Trainer, der einfach hungrig nach Erfolgen sein mußte. Und tatsächlich gelang mit Saftig der Einzug ins DFB - Pokalfinale, freilich als Pokalsieger feiern durfte er sich nicht mehr. Zu sehr war “der Pate” schon der hessisch-serbischen Mundart eines Dragoslav Stepanovic aufgesessen. Sein provinzieller Mief war dem neuen Bayer Leverkusen sichtlich nicht angemessen! Aber Bayer, dass sich anschickte, durch ihr Werk Bayer do Brasil schon sehr früh und clever den brasilianischen Spielermarkt - bezeichnenderweise mit Chefscout und “FC-Legende” Paul Steiner - systematisch zu sichten und abzugreifen, landete seine Triumphe in diesen Tagen auch neben dem Feld. Aus Marseille holte man den in Deutschland an Popularität nicht zu übertreffenden Rudi “Nationale” Völler unter´s Bayerkreuz. Ein Sensationscoup, würde Rudi nach seiner Abschiedssaison natürlich in seiner neuen Eigenschaft als “Bayer-Sympathieträger” von großem Nutzen sein. Aber ein abgehalfterter “Weltstar” allein war ihnen zu wenig um Pomp und Prunk im langweiligen Leverkusen zu verbreiten und so durfte der schon damals antiquiert tätige Erich Ribbeck noch das Sakrileg begehen und Bernd Schuster, einem der wohl besten deutschen Mittelfeldregisseure aller Zeiten, zum stumpfsinnigen Libero umfunktionieren, was der “blonde Engel” mit Fassungslosigkeit und absoluter Dickfälligkeit quittierte!
Neuanfang mit Daum
Da bedurfte es doch einer weiteren Freisetzung, zumal man mit Ribbeck nicht wie seinerzeit anno ´88 ähnliches “zu Werke” brachte. Am Ende gelang durch Marcus Münch´s “golden Goal” gerade noch in allerletzter Minute die Vermeidung der bitteren Zweitklassigkeit zu Lasten Kaiserslauterns. Calmund setzte zum Befreiungsschlag an und berief den in Fachkreisen als großen Motivator bekannten und aus Kölner Zeiten als Lautsprecher bezeichneten Christoph “Cassius” Daum an den Rhein. Ein Glücksgriff, wie sich gleich auf Anhieb zeigen sollte! Denn er, der im Duisburger Hinterhof beim schwatzgelben Hamborn 07 das zocken erlernte, machte den verwöhnten und verhätschelten Herren Profis Beine. Von Stund an hieß es: “Ausrichten nach ganz oben”. Nun, nachdem er dann ein ums andere mal unter dem eminenten Druck des Erfolges an der Meisterschale kratzte, litt sein in Unterhaching so sehr verwundestes Trainerherz dermaßen, dass er laut mit seinem Vereinswechsel ins schöne Dortmund liebäugelte. Calmund, sichtlich auf den Plan gerufen, verkündete hastig wie eilfertig, dass man sich ja nun wirklich „nich inne Hose machen müsse“, wenn Borussia Dortmund käme. “Was will er denn ausgerechnet da?” Tja, aber in Dortmund zeichnete sich eine andere - und wie wir heute wissen - glücklichere Dauer - Lösung ab. Der Job des Bundestrainers für Daum ging wie bekannt auch verloren und zu allem Überfluß verließ “Calli” den Boden der Gemeinsamkeit und schubste den Busenfreund aus seinem allmächtigen Schoß hinfort. Calmund, der in seiner Eigenschaft als Manager bereits so lange im Amt, dass er im Scherz schon für ein Gründungsmitglied von Bayer 04 gehalten werden könnte, hat nach eigenen Angaben neben kübelweisem Spott und Häme der fiesen Kolumnistengarde, seine wohl schwerste Niederlage infolge menschlicher Enttäuschung erlitten. Das sich Christoph Daum zum “Koksen” verleiten ließ, ging dem schwergewichtigen Bayer- Macher ganz heftig unter´s dicke Fell.
Ganz still und heimlich aber hatte inzwischen der DFB- Ligasekretär Wolfgang Holzhäuser den Weg von Frankfurt die A3 heruntergefunden, tauschte seinen vergleichsweise kleinen E-Dienst-Mercedes gegen einen standesgemäßeren der S-Klasse ein und bekleidete beim Werksclub das Amt des Finanzgeschäftsführers. Ein Bombentransfer, der Bayer quasi über Nacht einen großen Fundus von “weitreichenden” Strategieinformationen und excellentes Now-how brachte! So erweitert man sich intelligent in der Entscheidungsträgerebene... zur Nachahmung empfohlen!
Mit Toppmöller geht´s jetzt endlich voran
Da hieß es natürlich jetzt, einen möglichst ”sauberen” und kompetenten Sportlehrer zu finden, der dem angeknacksten Image postwendend wieder auf die Sprünge half. Der Korschenbroicher “Fußballfachmann” Berti Vogts war bei den Vereinsoberen zunächst eher gelitten, als der Revenicher “Draufgänger” Klaus Toppmöller, zumal dieser in dieses leider inzwischen übliche, schmierige 2 Mio. Ablöse- Ränkespiel involviert war, was der FC Saarbrücken nun meinte veranstalten zu müssen. Als sich dann aber Berti samt hochmodernem Trainerstab mit Littbarski, Schumacher und Rolf ins Abseits manövriert hatte, wurde der Marschallstab schlußendlich nun doch dem 50- jährigen Pfälzer übergeben. Seither läuft´s unter “Toppi´s” Regie ausgesprochen rund. Das latente Torwartproblem wurde schon zur Winterpause mit Hansjörg Butt aus Hamburg definitiv gelöst. Auf seine Intervention hin, wurde aus Bochum mit Yildiray Bastürk sein einstiger “Ziehsohn” - inzwischen türkischer Nationalspieler - geholt, aus Wolfsburg kam der Perspektivspieler Zoltan Sebescen, um aus Bernd Schneider etwas mehr rauszukitzeln. Nach den ebenfalls im Winter verpflichteten Diego Placente und vor allen Dingen einem 60.Mio-Lucio schauen sich bereits die italienischen Späher um. Ach für die kommende Saison haben die Leverkusener wie man hört, schon wieder die Angel weit ausgeworfen. So bietet man sich im Poker mit Borussia Dortmund eifrig ein Kopf-an-Kopf Rennen um Werder Bremen´s Mittelfeldrenner Torsten Frings und hat zudem das U21-Sturmtalent von 1860 München, Daniel Bierofka bereits fest verpflichtet.
Doch Klaus Toppmöller, der “Junge von der Mosel”, hat viel gelernt und hält sich im Erfolg auffallend angenehm zurück. Scheinbar vorbei die Zeit, als er sich mit vollmundigen Sprüchen a la “By bye Bayern” in seiner Frankfurter Zeit zuhauf entblödete. Er fixiert sich, gelehrt und geläutert durch diese negativen Erfahrungen nicht auf die zahlreichen Fernsehkameras, sondern allein auf das Geschehen rund um den Ball. In der Tat, die sportlichen Perspektiven könnten überhaupt nicht besser sein, rennt man doch in der Bundesliga von Sieg zu Sieg und hat offensichtlich diesmal die Schale akriebischer im Auge, als je zuvor! Das man die Lehrjahre in der Champions-League auch zu größerer innerer Konstanz verinnerlicht hat, bringt zusehends weitere mentale Stärke. Die Nationalmannschaft - seit jeher eine Domäne der Bayernspieler, wird in diesen Zeiten vom Bayer-Gerippe nahezu allein zusammengehalten: Nicht weniger als 6 Spieler (Nowotny, Ramelow, Ballack, Neuville, Schneider und “der Schwatte” Ulf Kirsten als “Edeljoker”) dokumentieren anschaulich den erfolgreichen Club vom Rhein im Kreise der DFB-Kicker! All das hat man sich schließlich peu-a-peu erarbeitet und ein Ende ist derweil (noch) nicht in Sicht.
Als WM-2006 Protagonisten, die sowohl zuerst ihren Cheftrainer Daum, als auch ihren Sportdirektor Völler unter Tränen in die nationale Pflicht ziehen lassen wollten - bzw ließen, dürfen sie sogar am Bayerkreuz auf WM-Länderspiele hoffen. Der Chemiekonzern mit eigener Champions-League-Abteilung, ist sich seinen Ambitionen derart sicher, dass sie bereits Pläne zur weiteren a la Pflichtenheft geforderten “Professionalisierung” der schmucken 22.500 Zuschauer fassenden BayArena in der Schublade haben, während die FIFA-Regeln eine Kapazität von 40.000 Sitzplätzen vorschreiben. Man ist eben guter Dinge, auch wenn es dem Vernehmen nach bei den edlen Herren des OK ein verstecktes Stadion-Ranking gibt. Darin heißt es klipp und klar: Gladbach oder Leverkusen...
Sowieso überhaupt “Leverkusen”, werden viele sagen? Dieses immer ausverkaufte (ist es das wirklich?) VIP-Schmuckkästchen zwar am Autobahnkreuz zwischen der A1 und A3, aber ohne vernünftige Verkehrsanbindung an die dortige Fußball-Infrastruktur gelegene Stätte fanatischen Enthusiasmus? Im Volksmund heißt es doch immer: „Bayer 04? - Die haben doch gar keine Fans, die ha´m nur dienstverpflichtete Werksangehörige!“ Sicher - einen sog. “Stimmungsblock”, wegweisend für die ganze Bundesliga haben sie dort immerhin bereits verwirklicht. Damit ist die schwarz-rote Fanszene rund um den größten Arbeitgeber der Region schon einen Riesenschritt weiter, als überall woanders im weiten Rund. Da die Sing- und Supportbereitschaft generell in Deutschland nachgelassen hat, schuf man bei Bayer zusammen mit aktiven Fanclubs den “Aktionskreis Stimmung”, der sich nun ausschließlich um stimmungsfördernde Maßnahmen (z.B.Choreos) kümmert. Der neutrale Betrachter erkennt: Leverkusens aktive Fans sind zwar wenig, aber gut organisiert und zuweilen effektiv. Aber ob das reicht?
Auch das Mitte der 90´er Jahre erbaute BayHotel direkt am Stadionkopf war ein ebenso strategisch guter Schachzug, wie die erste Etablierung eines Mc Donalds- Fastfood- Restaurants(!) in einem Fußballstadion, dessen Pächter übrigens ein echter Gentleman ist und auf den bekannten Namen Henry Maske hört!
Kurzum:
Bayer Leverkusen hat den Respekt, den sie jetzt überall erfahren, absolut
verdient. Was haben sie für Rückschläge hinnehmen müssen - und sie haben
sich immer wieder berappelt. Mit viel Fleiß, der Manpower des “Paten” und
einem in der Liga wohl als Non-plus-ultra anerkannten Scouting-Systems, darf man
in dieser Saison auf den ganz großen Wurf hoffen. Wenn es der BVB nicht doch
noch verhindern kann...