Völkerwanderung geht am Nachwuchs vorbei
Der Teufelskreis bei den Spielsportarten: Junioren kommen nur ganz selten zum Einsatz, die Nationalteams leiden darunter.
Wenn es um die Zukunft von Nationalmannschaften geht, hebt Gerhard Mayer-Vorfelder sehr schnell seine Stimme: «Nie, niemals werden Nationalteams verschwinden», erklärt der designierte Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. «Schließlich haben wir im nationalen Bereich nur noch wenige Identifikationsmöglichkeiten.» Damit war für ihn sehr schnell die Frage beantwortet, unter die das Deutsche Olympische Institut in Berlin einen Workshop gestellt hatte: «Verschwinden nationale Auswahlmannschaften in einer offenen Gesellschaft?»
Schaut man sich in Deutschland die Spielsportarten Fußball, Handball, Basketball und Eishockey an, so lautet die Frage eher: Warum schaffen es die deutschen Teams fast ausnahmslos nicht mehr, in der Weltspitze oder auch nur in der europäischen Spitze vorne mitzuspielen?
Im Fußball das EM-Desaster, im Basketball seit dem EM-Sieg 1993 Platz sieben als bestes Ergebnis, die Volleyball-Männer bei Olympia nicht dabei, die Handballer gerade bei der WM wieder im WM-Viertelfinale gescheitert, die Eishockeymannschaft nach Absturz in die B-Gruppe jetzt zumindest wieder in Gruppe A.
Die «offene Gesellschaft». Nach dem Bosman-Urteil, das EU-Ausländern einen Wechsel innerhalb Europas erlaubt, habe im deutschen Sport eine «Völkerwanderung» eingesetzt. «Das Problem der Klasse von Athleten ist in aller Radikalität aufgebrochen», sagt der Bielefelder Sportsoziologe Claus Cachay.
Eine Studie zeigt besorgniserregende Ergebnisse. Immer weniger deutsche Spieler stehen im Kader der Bundesligisten, ihre Einsatzzeiten werden immer geringer. Im Eishockey gaben 37,5 Prozent der befragten jungen Akteure an, nie gespielt zu haben, im Handball 41,9 Prozent, im Basketball 46,9 Prozent, im Fußball sogar 81,8 Prozent. Beim deutschen Nachwuchs stellten die befragten Trainer vor allem die Mängel fest, die eben durch mangelnde Spielpraxis entstehen: es fehlen Durchsetzungskraft, Übersicht und mentale Stärke. Die Verstärkungen aus dem Ausland haben das Niveau in den deutschen Ligen gewaltig gesteigert. «Aber die Nationalmannschaft hat nichts davon», meint Rainer Gossmann, der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes. Von etwa 415 Spielern in der Deutschen Eishockey-Liga sind 138 Deutsche, im Ausländer-Kontingent finden sich allein 133 Kanadier.
Abgesehen davon, dass sich einige Ligen Selbstbeschränkungen bei ausländischen Spielern auferlegt haben, ist der Ruf nach stärkerer Reglementierung wieder lauter geworden. Nicht zuletzt nach dem Vorstoß der Sportministerkonferenz, Nicht-EU-Ausländer unterhalb der jeweils 1. Liga nicht mehr verpflichten zu dürfen. Bekäme dadurch der deutsche Nachwuchs wirklich mehr Einsatzchancen, werden die Spieler dadurch besser, steigert dies dann langfristig das Niveau der Nationalmannschaft? Gossmann: «Vor allem muss sich Nachwuchsförderung wieder lohnen. Ich glaube auch hier, dass wir viel positiver nach vorn blicken können. Wir haben zum Beispiel die Situation rund um unsere Deutsch-Kanadier in etwa bewältigt, Nationen wie Frankreich oder Italien bekommen jetzt das Problem mit dem Alterungsprozess der Italo-Kanadier oder Franko-Kanadier, den bisherigen Leistungsträgern. Die letzten Ergebnisse haben gezeigt, dass der konsequente Weg mit dem Einbau der jungen Spieler absolut richtig ist. Mit der Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2001 im eigenen Land haben wir eine große Chance, für einen weiteren positiven Schub sorgen zu können. Die WM ist sehr wichtig für die Außenwirkung.»
Für die Klubs ist die Finanzierung das A und O. «Investition in die Jugend bringt kein ,Return of Investment», wie es Otto Reintjes, der Generalmanager der Basketball-Bundesliga, ausdrückt. Alba Berlin, einer der Topvereine der BBL leistet sich sogar den Luxus, ganz auf eine eigene Jugendförderung zu verzichten. Die Hauptstädter vereinbarten stattdessen lieber eine Kooperation mit dem TuS Lichterfelde.
Interessant hierbei ist ein Eintrag im Gästebuch des TuS Lichterfelde: Mein Sohn hat 5 Jahre lang in Deutschland gespielt und hatte nichts davon.Der deutsche Basketball wird nie was werden. Hier spielt er in der Englewood High School. In ein paar Monaten wird er für Florida State spielen. Der deutsche Basketball ist Scheisse. Zum Glück habt ihr ein paar gute Ausländer. Das ist mein Kommentar zu euch und dem deutschen Basketball. Tschüss
Tzudin Skalonjic Jacksonville fl usa, - Monday, January 29, 2001 at 03:45:06 (MET)
Lösungsansätze. Die Situation im Fußball, wo Bundesligisten als Voraussetzung für die Lizenzerteilung inzwischen ein Jugend-Internat vorweisen müssen, ist für die anderen nur ein Traum. «Es müssen Anreize für die Klubs geschaffen werden, zum Beispiel über einen Solidartopf», meint Gossmann. Wer Jugendspieler fördert und ausbildet, müsse selbst gefördert bzw. dann auch entschädigt werden, wenn ein Nachwuchsspieler den Klub vor einer bestimmten Zeit verlässt, fordert Reintjes.
«Verbandszuschüsse oder Ausbildungserstattungen» schweben ihm vor. Regionale oder nationale U 22-Teams müssten am Spielbetrieb in 2. Liga oder Regionalliga teilnehmen. «Da sind wir schon einen Schritt weiter», sagt Götz Moser, Präsident des Berliner Volleyball-Verbandes. Die besten deutschen Juniorinnen spielen in der 1. Liga als VC Olympia Berlin. Vor einer Woche gelang dem jungen Team der erste Sieg.
"Wenn ein Talente-Programm greift, wirkt es sich auch auf die jeweiligen Nationalmannschaften aus. Und die der Fußballer bleibt allen Unkenrufen zum Trotz der Deutschen liebstes Kind", verwies "MV" auf seiner Wahlkampf- Station in Berlin darauf, dass er als Präsident das wichtigste Team im Land zumindest politisch bestimmt. Sprachs und beförderte Michael Skibbe zum sportlichen Chefstrategen des größten Sportfachverbandes der Welt.
Und um dessen Zukunft zu sichern, will er als DFB-Boss tief in die Schatzkiste greifen: Zwölf Millionen Mark jährlich wird es für "U 11" und "U 12"-Junioren geben, 800 000 Mark fließen in die sportbetonten Schulen. "Mit seiner Kompetenz im Leistungsbereich wird er den DFB nach vorn bringen", urteilte Dr. Theo Zwanziger, bisher als Präsident des DFB-Sportfördervereins des öfteren mit dem Thema "Nachwuchsförderung in den Amateurvereinen" konfrontiert.