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Ist die Nachgiebigkeit gegenüber der Europäischen Union ein zu hoher Preis für den Fußball? - Streit um Spielerverträge spaltet Verbände und EU

03.02.2001, 13:00 Uhr von:  BoKa

Nun also doch: Der europäische Profifußball steht vor [s]einer Zerreißprobe. Mit dem Streit über die zukünftige Gestaltung der Vertragswerke der Spieler, denen die Europäische Union (EU) mehr Rechte einräumen will, haben sich die seit Jahren bestehenden Konflikte zwischen dem Internationalen Fußball-Verband (FIFA) und der Europäischen Fußball-Union (UEFA) auf der einen und der Europäischen Union auf der anderen Seite in dieser Woche weiter verschärft. Der Auseinandersetzung droht die Eskalation.

Mario Monti: Scharfer Hund

Zwar höflich im Ton, aber knallhart in der Sache - so geht EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti im Streit um die Transferregeln für Profifußballer vor. Das geplante "Gipfeltreffen" mit dem FIFA- Präsidenten Joseph Blatter und UEFA-Chef Lennart Johansson dürfte die letzte Gelegenheit sein, den sich zuspitzenden Brüsseler Wettbewerbs- Konflikt auf dem Verhandlungsweg gütlich beizulegen.

Daran lässt das zweiseitige "Einladungsschreiben", das Monti und die Kommissarinnen Viviane Reding und Anna Diamantopoulou nach Genf und Zürich schickten, keinen Zweifel. In dem Brief wird ebenso diplomatisch wie ummissverständlich mit möglichen Folgen eines Scheiterns gedroht: "Die Welt des Fußballs braucht dringend einen stabilen und sicheren rechtlichen Rahmen. Falls es diese Sicherheit nicht gibt, wäre dies schädlich für alle Beteiligten in diesem Bereich", heiß es in der vorliegenden Briefkopie. "Der Graben ist auf jeden Fall tiefer geworden", erklärte Gerhard Mayer-Vorfelder, derzeitiger geschäftsführender Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). Der Stuttgarter gehört seit dem 30. Juni 2000 [wieder] den Exekutivkommissionen der UEFA und der FIFA an.

Fifa Präsident Blatter, Uefa Präsident Johansson; erbitterte Widersacher!

Nach einer scharfen Kritik an dem Vorgehen der FIFA, die den Brüsseler Behörden ein mit der UEFA ungenügend abgesprochenes Diskussionspapier vorlegte, verlangte der europäische Dachverband am 17. Januar eine Krisensitzung. Die FIFA willigte ein, und so trafen sich die Vertreter beider Verbände ultimativ bereits zwei Tage später in Zürich. Joseph Blatter hatte in der Vorwoche in seinem umstrittenen Positionspapier den Spielern ein einseitiges Kündigungsrecht zugestanden und damit für eine heftige Kontroverse zwischen FIFA und UEFA gesorgt.

Nach einem Krisengipfel in Zürich musste Blatter den Rückzug antreten. Freilich nicht ohne Folgen für sein ohnehin schon arg ramponiertes Image. Die Verärgerung in den einflussreichen und finanzkräftigen europäischen Ligen ist immens groß. Zur Wahrung der Interessen der deutschen Profi-Clubs, setzt BVB-Präsident Gerd Niebaum gar auf die Hilfe von Bundeskanzler Gerhard Schröder. "Wir haben großes Vertrauen in den Bundeskanzler, dass er im Interesse des gesamten Sports den Schulterschluss mit den Regierungschefs aller starken europäischen Nationen hinbekommt, so dass am Ende doch die Vernunft siegt".

BVB-Präsident Gerd Niebaum

"Das ist eine wenig ausgewogene Empfehlung", kritisierte auch BVB-Manager Michael Meier die FIFA-Vorschläge aus Dortmunder Sicht. "Es werden nur einseitig die Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigt", sagte Meier. "Es ist ein Anachronismus, dass die FIFA bei ihren Beratungen die europäische Profispieler-Gewerkschaft Fifpro mit an den Tisch holt, aber die Vereine übergeht. Wir müssen mit an den Verhandlungstisch", erklärte "Mr. Bean" leicht erzürnt. Sollten ihre Pläne Gesetz werden, wäre Borussia Dortmund bereit, vor dem Europäischen Gerichtshof gegen dieses Kündigungsrecht zu klagen, denn die gesamte Liga läuft Sturm gegen die Pläne zur Neuregelung der Transfer-Bestimmungen der Brüsseler Bürokraten. Vorsorglich hat inzwischen "Doc" Niebaum ("Die EU ist mit ihren Überlegungen auf einem falschen Weg") die Initiative ergriffen und sich bedingungslos hinter die Spielergewerkschaften gestellt. Der Präsident droht den trägen Funktionären der EU-Kommission sogar mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg.

Außerordentliches Kündigungsrecht für Fußballprofis?

Europaweit zeigen sich quer durch alle Ligen die Vereinsvertreter darüber empört, dass die FIFA ohne deren Mandat selbständig weitgehend den Wünschen der EU folgen will. Das Zugeständnis der FIFA ans realitätsfremde Brüssel, über ein außerordentliches Kündigungsrecht für Fußballprofis konkret reden zu wollen, gefährdet in den Augen der Klubs nach Abschluss eines Vertrages die planbare Rechtssicherheit.

In Brüssel aber betrachten die hohen Kommissare auch den "Fußball-Profi" juristisch als gewöhnlichen Arbeitnehmer, allerdings schon mit außergewöhnlichen Einkünften. Ihm wollen sie zukünftig das Recht einräumen, in Sonderfällen seinen Vertrag mit dreimonatiger Kündigungsfrist zu beenden, hier zum Beispiel, wenn er weniger als 20 Prozent aller Saisonspiele bestritten hat. Damit ist nach Ansicht der Klubs und der UEFA dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Spieler könnten Vorwände suchen, um ihre Kontrakte nicht erfüllen zu müssen. Die Vereine müssten um ihre Investitionen in die hohen Ablösesummen fürchten. Dabei sind es diese Unsummen wie beim 116-Millionen-Mark-Transfer des Portugiesen Louis Figo von Barcelona nach Madrid, die die EU auf den Plan gerufen haben.

Dass der aktuelle Konflikt zu einem Bruch zwischen UEFA und FIFA führen könnte, liegt in der schlechten Beziehung der beiden Verbände begründet. Seit 1995 liefert man sich reichlich rufschädigende Auseinandersetzungen. Inhaltliche Fragen spielten oft eine eher untergeordnete Rolle. Und in wichtigen Fragen offenbarten beide zuweilen eine erschreckende Ahnungslosigkeit. Am 15. Dezember 1995, dem Datum, das die Welt des Profifußballs erschüttert hat, wurde die FIFA ebenso unvorbereitet getroffen wie die UEFA. In Luxemburg fällte an diesem Tag der Europäische Gerichtshof das berühmt-berüchtigte "Bosman-Urteil", um auch im Profisport mehr Freizügigkeit im Sinne der Arbeitnehmer durchzusetzen. Seitdem besitzen die Spieler erheblich mehr Rechte - und natürlich auch utopisch angestiegene Verdienstmöglichkeiten.

Joseph S. Blatter, Wolf im Schafspelz!

Die internationalen Verbände lieferten sich seitdem hartnäckig eine Auseinandersetzung um den Einfluss im Welt-Fußball. Die UEFA machte sich zum Sprecher auch der Kontinental-Verbände aus Amerika, Asien, Afrika und Ozeanien und unterbreitete der FIFA ein Konzept namens "Vision-Papier", wie der Welt-Fußball zu leiten sei. Sepp Blatter, schweizer Multifunktioner mit "Bauernschläue" und heutiger FIFA-Präsident, hatte zu diesem Zeitpunkt schon eilfertig die Fronten gewechselt. Als FIFA-Generalsekretär war er von der UEFA noch 1994 zum Gegenkandidaten des früheren Präsidenten Joao Havelange (Brasilien) aufgebaut worden. Vier Jahre später aber ließ sich der Schweizer gegen die Stimmen der UEFA und gegen deren Kandidaten Lennart Johansson (Schweden) zum FIFA-Boss wählen.

Dass die EU nun die FIFA als Ansprechpartner für eine weitere Reform des Transferwesens betrachtet, verleiht den Zürchern ein neues Machtmittel gegenüber der am Genfer See ansässigen UEFA. Die Europäer sitzen in der Klemme. Von den Vereinen, die noch vor zwei Jahren mit einer Gründung einer eigenen Euro-Liga drohten, wird der Verband unter Druck gesetzt, dass Transferwesen in den Grundzügen zu retten. Der Dortmunder Jurist Dr. Niebaum nannte die von der EU angedachte Regelung, den Profis kurzfristige Kündigungsfristen einzuräumen, "einen unzulässigen Eingriff der EU in die privatrechtliche Vertragsfreiheit", der den "bezahlten Sport gegenüber anderen Wirtschaftszweigen grundlos benachteiligen" würde. Als einen "konstruktiven Beitrag" bezeichnete Niebaum den bei der Konferenz des Weltverbandes der Spielergewerkschaften (FIFPro) in Rom vorgelegten Kompromiss-Vorschlag.

Allerdings geht ihm diese Empfehlung des deutschen Vertreters Florian Gothe, wonach längerfristig abgeschlossene Verträge frühestens im dritten Jahr kündbar sein sollen, noch nicht weit genug. "Den Vereinen muss die Möglichkeit bleiben, auch unkündbare Vier- oder Fünfjahresverträge abzuschließen, falls sie dies wünschen. Dabei denke ich vor allem auch an die Existenz kleinerer Vereine, die sich materiell oftmals nur durch den Abschluss langfristiger Verträge vor einem sportlichen und finanziellen Aderlass schützen können". Dennoch sei der Vorschlag ein Schritt in die richtige Richtung. "Es ist bemerkenswert, dass die FIFPro sich offenbar mehr um die Interessen der Vereine sorgt als der Weltfußballverband", sagte Niebaum ähnlich wie Michael Meier in Anspielung auf die undurchdachten Vorschläge von FIFA-Präsident Sepp Blatter.

Verzicht auf einseitiges Kündigungsrecht der Spieler?

Derweil sieht es in der Tat wirklich so aus, als habe die deutsche Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV) mit einem bemerkenswerten Konzept möglicherweise für einen Durchbruch in den festgefahrenen Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission sowie den internationalen Fußballverbänden, FIFA und UEFA, über ein neues Vertrags- und Transfersystem gesorgt. Dass von VdV-Präsident Florian Gothe erarbeitete Modell ist in Rom von den Vertretern von 26 Spielergewerkschaften durchweg positiv begrüßt und befürwortet worden.

Wichtigster Punkt ist ein Verzicht des bisher von der FIFPro geforderten "einseitigen Kündigungsrechts" für Spieler und die Anerkennung von längerfristigen Verträgen, die grundsätzlich für die Laufzeit der beiden ersten Vertragsjahre nicht kündbar sein sollen. Bei Anerkennung eines Kündigungsrechtes für Vereine und Spieler frühestens ab dem dritten Vertragsjahr sollen Kündigungsfristen von je drei Monaten per 30. Juni und per 31. Dezember ermöglicht werden.

"Die FIFPro hat anerkannt, dass für Spieler und Vereine eine akzeptable wirtschaftliche und personelle Planungssicherheit zu gewährleisten ist. Nach allen Totengräber-Szenarien der vergangenen Wochen bin ich nunmehr überzeugt, dass die vertraglichen und wirtschaftlichen Grundlagen in unserem Fußball erheblich an Stabilität zunehmen können", sagt der ehemalige Profi Florian Gothe.

Die FIFPro erwartet vor der Fortsetzung der Gespräche mit der EU den Abschluss eines internationalen Abkommens des Fußballs zwischen Gewerkschaft, FIFA und UEFA. Nach dessen Abschluss könnten auf Länderebene Vereinbarungen in Form von Tarifverträgen auf der Grundlage des jeweils nationalen Arbeitsrechtes geschlossen werden, das in Deutschland Zeitverträge bis zu fünf Jahren als statthaft ansieht.

Für den VdV-Präsidenten steht außer Frage, dass ein ordentliches Kündigungsrecht sowohl den Spielern als auch den Vereinen ab dem dritten Vertragsjahr eingeräumt werden muss. Bei der Kündigung durch den Verein seien die Spieler "angemessen abzufinden", wobei neben dem Grundgehalt möglicherweise auch Prämienzahlungen zu berücksichtigen wären. Erfolgt die Kündigung durch den Spieler, sei dessen wirtschaftlicher Wert in der Bilanz des Vereins für eine Entschädigungs-Leistung entscheidend zu berücksichtigen. Die Zahlung einer Ablösesumme beim vorzeitigen Vereinswechsel eines Spielers sieht Gothe keineswegs so abnorm an wie mancher Politiker in Brüssel. Das "Herauskaufen" von Arbeitnehmern aus laufenden Verträgen sei "kein Phänomen des Fußballs allein. Innerhalb des deutschen Fußballs hat sich die Transfer-Kompensation bewährt".

Müssen sich was einfallen lassen: FIFA und UEFA

Streitpunkt zwischen FIFA und FIFPro könnte noch die Ausbildungs- und Förderungsentschädigung (AFE) für junge Spieler werden. Während die Verbände eine AFE für Spieler bis zum 23. Lebensjahr fordern, will die Gewerkschaft alle Spieler ab dem 18. Lebensjahr gleich gestellt sehen. In der Frage eines internationalen Transferverbots für Kinder und Jugendliche erkennt Gothe keine Zuständigkeit der Politik: "Nach bundesdeutschem Verfassungsrecht liegt die umfassende Verantwortung für Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 18. Jahren ausschließlich bei den Eltern. Die VdV hat ernsthafte Zweifel, ob dieses Primat des Elternrechtes sportrechtlich und/oder EU-rechtlich beeinflusst werden kann." Eine Lösung sieht Gothe in einer "fußballspezifischen internationalen und nationalen Regelung" mit einem "nachhaltigen Sanktionssystem zur Ahndung von Verstößen."

EU Kommissar Monti will das endlich vom Tisch haben

Die EU-Kommission jedoch wiederholte bisher immer gebetsmühlenartig, die Verhandlungen mit dem Internationalen Fußball-Verband (FIFA) und der Europäischen Fußball-Union (UEFA) seien auf einem guten Weg, obwohl es zwischen den Verbänden zu erheblichen Streitereien gekommen war.


In dem aktuellen "blauen Brief" heißt es allerdings ernüchternd, in den vergangenen Wochen habe es überhaupt keinen Fortschritt gegeben. "Wir wissen, dass die Materie kompliziert ist", schreiben die Kommissare, aber wir denken, dass Lösungen gefunden werden können, wenn unser Willen zum Erfolg von den Fußball-Verantwortlichen - darin sind die Vertreter der Spieler eingeschlossen - geteilt wird. Die Kommissare erinnern die Verbandschefs daran, dass in Brüssel mehrere Wettbewerbs-Beschwerden gegen die FIFA-Regeln vorliegen. Die Kommission ist verpflichtet, diesen begründeten Klagen nachzugehen. Die Zeit drängt, denn die Kommission will das Dauerthema endlich vom Tisch haben: «Die Spielzeit läuft ab», kommentiert ein EU-Mitarbeiter trocken. Selbst in dem äußerst komplizierten und langwierigen Wettbewerbsstreit um die Formel 1 habe es unlängst einen Durchbruch gegeben.

Bei einem anderen "wunden Punkt" werden die Brüsseler Kommissare in ihrem Brief ebenfalls ganz deutlich: Der Dialog zwischen Fußball- Ligen, Verbänden und Clubs auf der einen Seite und Spielern auf der anderen Seite geht Brüssel nicht weit genug. Die "Fußballfamilie" habe bisher nicht alle Möglichkeiten ergriffen, bei diesen Kontakten weiter zu kommen, lautet der Vorwurf.

Das Schreiben geht nicht auf die Punkte ein, an denen es noch hakt. Es ist in Brüssel allerdings kein Geheimnis, dass vor allem die künftige Mindestlaufzeit von Verträgen sowie die Möglichkeiten der einseitigen Kündigung umstritten sind. Vorstellungen, Spielern erst nach drei Jahren ein Kündigungsrecht einzuräumen, dürften sich in Brüssel so nicht durchsetzen lassen. Insider sprechen von Fristen von "einem Jahr oder etwas mehr". Die Laufzeiten von Verträgen könnten dabei von einem bis fünf Jahren reichen. Fraglich ist auch weiterhin, wie Entschädigungen für Clubs berechnet werden, wenn ein Spieler einseitig seinen Vertrag bricht.

Der Brief nennt explizit nur einen Bereich, in dem es deutliche Fortschritte gab: der Ausgleich - besonders an kleinere Vereine - für die Ausbildung von Profispielern, die später zu einem anderen Club wechseln. Bei Transfers kann sich die Kommission nach ergänzenden Angaben ein Mindestalter von 16 Jahren vorstellen - allerdings versehen mit Bedingungen. So sollte grundsätzlich eine Erlaubnis der Eltern vorliegen. Sind wir also gespannt darauf, wie die ?Brüsseler Schachzüge des Winkeladvokatentums? den Fußballsport aus den Angeln zu heben gedenken.

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