Spielbericht Profis

Die Rückkehr des Rumpelfußballs - oder: Warum wir nur singen, wenn wir gewinnen

28.01.2001, 00:00 Uhr von:  Jens
Die Rückkehr des Rumpelfußballs - oder: Warum wir nur singen, wenn wir gewinnen
Tor von Nerlinger

Das wäre also geschafft: das erste Spiel des neuen Jahrtausends (oder auch Korinthenkacker-Millenium genannt) haben wir glücklich aber verdient gewonnen. Mir wurde geraten zu diesem Spiel nur den Sammer-Spruch: „Mund abputzen, nach Hause fahren!“ zu verwenden und mir den Rest zu sparen. Doch da würde ich dem geneigten Leser zu viel wichtiges verschweigen...

Doch vor Beginn des Spiels steht zunächst einmal unser aller Event-Manager Norbert D. im Mittelpunkt. Was würde ihm heute einfallen? Und es kam, wie es kommen mußte, Norbert heuerte die supitolle Band „Soundconvoy“ an. Diese durften ihren nächsten Schinken unters Volk bringen und sangen voller Inbrunst „Blau, von den Bergen kommen wir“. Was das mit Fußball zu tun hat? Eben, nichts. Wie so vieles andere auch, was inzwischen rund um Borussia veranstaltet wird. Das die Masse der Fans diesen Schrott dann nicht mitmachte, ließ Hoffnung in mir aufkeimen. Doch kaum schrie der grenzdebile „Sänger“ sein altbekanntes abgekupfertes „Hey Baby“ in die Menge, kollabierte diese auch schon und krakelte ihrerseits was das Zeug hielt „Hey Baby“ zurück. Leute, denkt doch mal drüber nach. Das hat nichts, aber auch wirklich gar nichts mit Fußball zu tun. Wollen wir diesen Deppen noch immer die Bühne für ihre kümmerliche Karriere bereiten? Ich für meinen Teil habe jedenfalls die Schnauze gestrichen voll, von all diesen Karel Gotts, Soundconvoy, DJ Ötzi und wie sie alle heißen. Schlimm ist das in meinen Augen vor allem deshalb, weil unsere altbekannten Lieder wie „Heja BVB“ einfach nicht mehr gespielt werden. Wo bleibt unsere Tradition, Herr Dickel?

Jürgen Kohler

Doch zurück zum Spiel. Kurz vor Spielbeginn wurde bekannt gegeben, daß Neuzugang Tomas Rosicky wegen einer Mandelinfektion nicht würde spielen können. Warum manch Schwachmat bei dieser Bekanntgabe nichts besseres zu tun hat, als zu pfeifen, oder Rosa „Weichei“ zu schimpfen, ist mir nicht klar. Was soll das? Der Junge ist nicht härter, nur weil er 25 Mio. gekostet hat. Diese Ablöse hat nicht zu bedeuten, daß er ab sofort immer spielt, nie verletzt ist oder mindestens 100 Tore macht. Im übrigen erklärte Matthias Sammer auf der anschließenden Pressekonferenz ganz klar, daß Rosa spielen wollte, die Ärzte davon aber abrieten und er, Sammer, sich diesem Rat anschloß. Also nichts mit Weichei. Dazu fehlte dann auch noch Billy Reina, den ein Magen- und Darmvirus außer Gefecht setzte. Sammer erklärte dazu, daß diese beiden kurzfristigen Ausfälle (Billy war schon Freitag abend bekannt, Rosa erst Stunden vor Spielbeginn) sein Konzept gehörig durcheinander gewirbelt hatten. So mußte er für Lars Ricken zweimal eine neue Position finden. Erschwerend kam für ihn noch hinzu, daß die Amateurspieler, die im Trainingslager noch mit den Profis gearbeitet hatten, allesamt zum Punktspiel der Amas in Babelsberg weilten. Auf die Frage von eines bekannten Reporters, ob das im Nachhinein nicht falsch gewesen wäre, die Jungprofis an Eddie Boekamps Truppe abzugeben, die übrigens 3:1 in Babelsberg siegte, sagte Sammer grinsend: „Wieso? Wir haben doch alles richtig gemacht....“

Aber auch Energie-Coach Geyer hatte vor dem Spiel Sorgen. So stellte sich sein Angriff quasi von selbst auf, nachdem auch Schwalbenkönig Franklin eine Grippe erwischte. „Brutalo“ Christian Beeck war ja bekanntlich vom DFB auch noch der Rest seiner ohnehin lachhaften Sperre erlassen worden und sollte gegen uns eigentlich wieder vor die Knochen des Gegners treten dürfen. Doch Geyer verzichtete auf ihn, nicht aber auf eine stark defensive Grundordnung.

Borussia begann trotzdem druckvoll, ohne jedoch wirklich gefährlich zu wirken. Die einzigen Torchancen während einer schwachen ersten Halbzeit hatten Ricken (Volleyschuss, 23. Minute) und Bobic, der an einer guten Hereingabe von Ricken wieder einmal vorbeirutschte. Sörensen schloß eine tolle Einzelleistung mit einer schwachen Flanke ins Niemandsland ab, das war es vorerst schon mit Borussias Herrlichkeit. Dagegen starteten die Cottbuser ein ums andere Mal gefährliche Konter aus ihrer gut stehenden Deckung. So hatte Helbig schon nach 3 Minuten eine erste Chance, als ihm Kohler im letzten Moment den Ball vom Fuß grätschte. In der 40. Minute vergab dann Latoundji das mögliche 0:1. Die erste Halbzeit war also durchaus als ausgeglichen zu bezeichnen, ohne dabei ansehnlich zu wirken. Der strömende Regen tat ein übriges diesem miesen Kick den (un-)passenden Rahmen zu bieten.

Micky "Erster Alles!" Stevic auf dem Mond

In der zweiten Hälfte startete Borussia wesentlich furioser und man merkte der Mannschaft gleich an, daß sie die spielerische Schwäche nun durch Kampf ausgleichen wollte. So hatte Bobic in der 55. Minute eine gute Einschußmöglichkeit, die er jedoch erneut nicht nutzen konnte. Die erste gut getretene Stevic-Ecke verwandelte Nerlinger dann mit einem wuchtigen Kopfball zum 1:0, der Bann war gebrochen (65.).

Nur eine Minute später wurde ein Cottbuser Angriff abgefangen und der anschließende Konter führte über Evanilson, Sörensen, Ricken und Bobic zum 2:0. Doppelschlag! Die Hütte bebte. Trainer Geyer reagierte sofort, brachte den als Joker vom FC Valencia verpflichteten Stürmer Sabin Ilie für Latoundij, doch Energie lag gebrochen am Boden. Obwohl jetzt die so dringend gesuchten Räume da waren, konnte der BVB dies jedoch nicht mehr zu weiteren Toren nutzen. Der starke Ricken vergab herrlich freigespielt vor Piplica noch eine weitere Möglichkeit. „Nach dem 0:2 fehlten Moral und Kraft“, analysierte FCE-Trainer Eduard Geyer. „Wenn man als Aufsteiger auswärts drei, vier gute Möglichkeiten auslässt, darf man sich nicht wundern, wenn man verliert.“

Nerlinger im Laufduell

Fazit: Der BVB gewann verdient, ohne dabei zu glänzen, oder gar spielerischen Glanz zu vermitteln. Vor allem die erste Halbzeit erinnerte an längst vergessen Tage der Skibbe-/Krauss-Ära. Defensiv stand die Mannschaft stabil und hatte in Kohler ihren besten Mann. Offensiv hinterließ Lars Ricken wieder mal einen guten Eindruck und auch Sörensen machte nach schwachem Beginn Appetit auf mehr. Ein paar Worte noch zu den „Publikumslieblingen“ Stevic und Bobic: Stevic war defensiv heute zweifellos einer der besten Spieler, er verlor kaum einen Zweikampf. Wenn er doch nur endlich sein „Balkan-Maradona“-Ego ablegen würde. In meinen Augen ist er ein vorbildlicher Kämpfer im defensiven Mittelfeld. Er scheint sich jedoch häufig auch als Spielmacher zusehen, jeder Ball wird gefordert (was ja grundsätzlich positiv ist) und jede Standardsituation wird von ihm ausgeführt.

Sammer erklärte in seiner Analyse, daß es ihn wahnsinnig gefreut habe, daß das 1:0 nach einer Ecke gefallen wäre. Es sei bewundernswert, daß ein Spieler bei diesem Wetter jeden Ball nehme und immer wieder in den Strafraum schlage. Die entstehende Unruhe im Stadion bei jeder Standardsituation könne er nicht nachvollziehen und empfindet sie als störend und vor allem kontraproduktiv. Die Ecke werde davon schließlich nicht besser. Trotzdem darf man die Frage stellen, warum immer wieder Stevic zur Ecke traben darf und regelmäßig die Bälle zu kurz oder zu lang in den Strafraum ballert. Sammer sagte dazu, daß bei kurz getretenen Ecken auch Mitspieler Fehler machen, da sie sich nicht an ihre Aufgaben halten, wenn der Ball kurz in den 16er kommt.

Neben dem Totalausfall eines kreativen Mittelfeldes fiel auch die Sturmschwäche erneut ins Auge. Bobic hatte zwar 3 Torchancen (damit immerhin fast die Hälfte aller heutigen BVB-Chancen), von denen er eine nutzen konnte, doch Zweikämpfe gewann er kaum. Nach vorn geschlagene Bälle konnte er selten gewinnen, geschweige denn halten.

Die Stimmung im Stadion dürfte einen erneuten Tiefpunkt erreicht haben, was aber sicher auch ursächlich mit dem schwachen Spiel der Mannschaft zu tun hat. Erst als der Sieg feststand, wachte die Tribüne auf und feierte die Mannschaft. Unterstützung der schwächelnden Mannschaft war dagegen Fehlanzeige. Zum Thema „Hey Baby“ & Co. habe ich ja schon weiter oben einiges geäußert und möchte das nicht noch weiter ausführen.

Jubel rund um Nerlinger beim 1-0

Hat Borussia nun Meisterschaftschancen oder nicht? Gehe ich mal von den Leistungen des Tabellenführers und unserer Borussia von diesem Wochenende aus, würde ich keinen als ernsthaften Meisterschaftskandidaten bezeichnen. Aber so einfach ist Fußball Gott sei dank nicht. Auch die Bayern bekleckerten sich Samstag Nachmittag nicht mit Ruhm und gewannen glücklich. Den Vorstadt-Meineidern genügten zwei Sonntagsschüsse und eine solide Defensivleistung gegen harmlose Rostocker. Für alle Meisterschaftskandidaten gilt es also, sich zu steigern, wollen sie ernsthaft Meister werden. Wie den meisten von uns, würde auch mir ein internationaler Platz ausreichen, wir haben die letzte Saison nicht vergessen.

Aufstellungen und Noten

Borussia Dortmund: Lehmann - Evanilson, Wörns, Kohler, Dede - Stevic, Nerlinger, Heinrich (89. Nijhuis) - Sörensen (78. Metzelder), Bobic, Ricken

FC Energie Cottbus: Piplica - Sebök - Hujdurovic, Vata - Reghecampf, Scherbe, Miriuta, Akrapovic, Kobylanski - Helbig, Latoundij (68. Ilie)

Schiedsrichter: Fröhlich (Berlin) - Zuschauer: 61 500

Tore: 1:0 Nerlinger (65.), 2:0 Bobic (66.)

Eckstöße: 7:0 - Chancenverhältnis: 8:2

Gelbe Karten: Reghecampf, Kobylanski, Akrapovic

Noten:

Borussia Dortmund: Lehmann (3) - Evanilson (4), Wörns (3), Kohler (2), Dede (4) - Stevic (3,5), Nerlinger (3), Heinrich (4) (89. Nijhuis) - Sörensen (3) (78. Metzelder), Bobic (5), Ricken (2)

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