Der richtige Mann, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort
Was ist er hochgesprungen, als ob es nie eine schwere Knieverletzung gegeben hätte. Der Chronist notiert die 82. Minute im Westfalenstadion: 1:0, Borussias Siegtreffer durch Jörg Heinrich, ausgerechnet jenen Mann für dessen Rückkehr sich der BVB-Chefcoach so vehement eingesetzt hatte. Die Fäuste geballt gen Himmel gestreckt, die Augen geschlossen und das Gesicht strahlt pure Freude aus. Ja, Matthias Sammer ist Trainer aus Leidenschaft. Jeder von den Kameras eingefangene Gesichtsausdruck verrät seinen Seelenzustand. Und das ist für den Fußball in unserem Land auch gut so, denn solche „Typen“ sind Mangelware.
Lange hatte sich der Europameister von 1996, der bereits während der letzten fünf Spiele der letzten Saison als „Junior-Partner“ von Udo Lattek die Mannschaft betreut hatte, gegen die Verantwortung gesträubt. BVB-Präsident Gerd Niebaum allerdings ignorierte seine Einwände geflissentlich und erklärte den ehrgeizigen Sammer kurzerhand zum „Wunschtrainer“. Und nüchtern betrachtet, hat der Mann das wohl beste für seinen Farben getan, wonach die riesige Fangemeinde lange gelechzt hatte: Er hat einem eingefleischten Borussen und besessenem Fußballfreund einfach die sportliche Verantwortung gegeben! Und die von „Matthes“ behutsam ausgesäte Saat, sie trägt erste Früchte.
Neue Richtlinien für BVB-Profis
Die ihn von Anfang an begleitende „Welle der Euphorie“ konterte der ehemalige BVB-Abwehrchef stets mit Worten wie: "Für Vorschusslorbeeren gibt es keine Punkte. Außerdem steht der Name Sammer nicht für Revolution."
Gleichwohl überraschte der „Rotschopf“ die Mannschaft nach seinem Amtsantritt sofort am 3. Juli mit unliebsamen Änderungen. Ein Lauftrainingslager Anfang Juli in Österreich sorgte bei einigen konditionsschwachen Fußball-Millionären für Kurzatmigkeit. Auf dem Trainingsgelände und an Spieltagen herrschte sogleich Handy-Verbot und liebgewonnene tägliche Begleiter, wie Coca Cola- und Schokoladen-Konsum waren fortan verpönt. Um der in Dortmund seit Jahren grassierenden Grüppchenbildung Herr zu werden, legt Sammer Wert auf eine stetig wechselnde Sitzordnung beim Essen. "Das Arbeitsklima hat sich wesentlich verändert", lobte ausgerechnet der „Lorant-erfahrene“ Mittelfeldspieler „Micki“ Stevic als erster die Maßnahmen des Trainer-Neulings. Und er verrät damit die neue Akzeptanz in der Truppe. Wer nicht mitzieht, fliegt. Frag nach bei „Ewigtalent“ Vladi But, der allen Quertreibern zur Mahnung jetzt sein Ränzlein packen darf.
Tja so ist er eben, gradlinig und schnörkelos. "Sammer ist ein positiv Verrückter, der geht mit seiner Taktiktafel noch ins Bett", charakterisierte sogar „Altmeister“ Udo Lattek seinen früheren Co-Trainer.
Tatsache ist, Sammer ist ein akribischer Arbeiter, der nichts dem Zufall überlässt. Seine Vorstellungen von Fußball sind eine Mischung aus althergebrachtem „mit richtiger Einstellung und festem Willen kämpfen“ und postmodernem, wie statistisch ausgewerteten Spielanalysen, gezielter medizinischer Belastungsüberwachung, Spezialtrainings zur gezielten Schwächebekämpfung, weitsichtiges Scouting oder der gezielten Jugendförderung im eigenen Umfeld. Nie hat sich ein Trainer so konstant und engagiert bei den Regionalligaspielen von Amateuren und Jugend sehen lassen. Die „Youngster“ spüren so förmlich, dass sie die ganz große Chance haben es schaffen zu können, wenn sie sich entsprechend reinhängen.
Auch Auftrieb für den Börsengang
Sammer, der zweieinhalb Jahre gegen die Sportinvalidität gekämpft hat, gehörte in der abgelaufenen Spielzeit offiziell noch zum Spielerkader des BVB. Selbst als er neben Lattek das Training leitete, wollte er von einem Ende seiner Laufbahn als Spieler nichts wissen. Seinen größten Erfolg als Spieler feierte Sammer bei der Europameisterschaft 1996 in England. Schon damals galt Sammer als Führungspersönlichkeit, dessen Wort auch bei Bundestrainer Berti Vogts großes Gewicht hatte. Ein Jahr später führte er Borussia Dortmund zum Champions-League-Sieg. Bereits in der DDR, wo Sammer für Dynamo Dresen spielte, absolvierte er 23 Länderspiele. Unmittelbar nach der Wende wechselte er im Sommer 1990 zum VfB Stuttgart und schaffte als erster Fußballer aus der ehemaligen DDR den Sprung in die DFB-Nationalmannschaft, wo er 51 Länderspiele absolvierte.
Mit dieser immensen Erfahrung, seinem Vater Klaus (DFB-Jugendtrainer) und dem unendlich scheinenden Wohlwollen der großen BVB-Familie im Rücken, wäre es doch geradezu fahrlässig, würden wir nicht schon bald wieder an neue Kapitel großer Borussentriumpfe glauben, oder?