Spielbericht Profis

BVB versöhnt seine gefrustete Anhängerschar

02.12.2000, 00:00 Uhr von:  BoKa
unfassbare Zustände vor dem Eingangsbereich der Untertürkheimer Kurve
unfassbare Zustände vor dem Eingangsbereich der Untertürkheimer Kurve

Borussia Dortmund fügt dem VfB Stuttgart mit 0:2 (0:1) die erste Saison-Heimniederlage zu und schoß die Schwaben damit vor ihrem richtungsweisenden UEFA-CUP-Spiel gegen Rotterdam tief in den Tabellenkeller. Leonardo Dede per Freistoß (5.) und Miroslav Stevic per Foulelfmeter (64.) sorgten für den vierten Sieg der auswärtsstarken Westfalen auf fremdem Platz. Der dabei nicht unbedingt überzeugende BVB wahrte durch diesen Erfolg den Anschluss an die Tabellenspitze.

Wir erinnern uns: Am 29. April 2000 hatte Matthias Sammer (seinerzeit noch im Trainergespann mit Altmeister Udo Lattek im Daimlerstadion mit dem BVB den ersten(!) Sieg des Jahres gefeiert. Routinier Jürgen Kohler und Heiko Herrlich in der Schlussminute trafen da zum 2:1 Auswärtssieg. Wahrlich ein gutes Omen.

Das schwatzgelb.de-Auswärtsteam erlebte zunächst erst einmal unfassbare Zustände vor dem Eingangsbereich der Untertürkheimer Kurve. War man ja bisher von dem dort agierenden Ordnungsdienst einiges gewohnt, so darf man jetzt wohl von absolut unhaltbaren Zuständen sprechen! Jeder(!) BVB-Fan einzeln, musste sich im Bereich des Oberkörpers völlig entblößen und eine strenge Ganzkörper-Leibesvisitation über sich ergehen lassen. Hier wurde offensichtlich mit unseren Fans unter Missachtung jeglicher Menschenwürde eine „Testlauf“ für den bekannt gewalttätigen holländischen Pöbel aus Rotterdam „live im Training on the Job geprobt“...

Hatte man(!) sich danach gerade einmal beruhigt, musste hautnah zur Kenntnis genommen werden, wie stark zerrissen und entzweit sich unsere derzeitige „Fanlandschaft“ darstellt. Die immer mehr auswärts dominierenden „ULTRAS“ spalten zusehends in zwei Lager. Zwar singen und pflegen sie mit viel Humor auf der einen Seite das „traditionalistische Liedgut“ unserer Ahnen(!), bringen aber gleichfalls ebenso viel Energie dafür auf, unseren Torhüter und die vermeintlichen „Modefans“ zu diskreditieren! Einzig deren stimmgewaltige Antwort auf diese „Hey Baby“ Unart: „Das hat mit Fußball nix zu tun“ bereitete uns Schwatzgelben Freude!

Danach wollten wir uns auf´s Spiel konzentrieren und wurden beim Spielereinmarsch mit einem „Sponsoren Feuerwerk“ (von tesion) beglückt, das die Heide wackelt. Da weder der VFB derzeit so gut ist, noch jemand wichtiges Geburtstag hatte, fanden wir das absolut peinlich.

Der BVB gewann diesmal die Zweikämpfe:  Hier Jürgen Kohler gegen Sean Dundee
Der BVB gewann diesmal die Zweikämpfe: Hier Jürgen Kohler gegen Sean Dundee

Aber kleine Sünden straft der Herr sofort, wusste schon das alte Testament. Borussia legte einen Traumstart hin. Nach einem Foul von Endress an „Balkanmaradonna“ Stevic schnibbelte der Brasilianer Dede den Freistoß aus 19 Metern ins obere Torwart-Eck - vermutlich nicht ganz unhaltbar für Timo Hildebrand. „Das war der denkbar schlechteste Start, den man erwischen kann“, analysierte der jetzt wohl zum Abschuß freigegebene VFB-Fußballlehrer Ralf Rangnick nachher. Stuttgart spielte im ersten Durchgang auf eigenem Ground erschreckend schwach, aber auch die Dortmunder blieben abermals den Beweis einer Spitzenmannschaft schuldig. Der Gastgeber wirkte völlig verunsichert. Auch Führungsspieler wie der von Trainer Rangnick angesichts der Personalprobleme und des prekären Tabellenstands wieder begnadigte Krassimir Balakow, Abwehrchef Zvonimir Soldo oder der „möchtegerngroß“ Pablo Thiam waren völlig von der Rolle. Kaum eine Kombination gelang, und das simple Spiel war für Borussia leicht zu durchschauen. Zwar trug der BVB zu dem größtenteils niveaulosen "Gekicke“ nicht unerheblich bei, aber – sie gewannen auch 60 % der Zweikämpfe und kauften damit den Schwaben den Schneid ab. Dennoch steckte die herbe Schelte nach der saublöden 1:2-Pokalniederlage gegen den FC Scha*ke 05 (Die noch immer stark angesäuerten Fans sangen: Wir schämen uns für euch“ oder: „Spott und Schande für diese Profi-Bande“) noch in den leeren Köpfen und müden Knochen. BVB-Trainer Matthias Sammer hatte zudem nach seinem hohen Risiko am Mittwoch eine etwas defensivere Variante gewählt. Für Addo begann der wiedergenesene Heinrich und Oliseh spielte dafür in einer soliden Viererkette.

Erster Freistoss, erstes Tor - Warum nicht öfter??: Leonardo Dede
Erster Freistoss, erstes Tor - Warum nicht öfter??: Leonardo Dede

Immerhin nutzte der schwatzgelbe Tabellenfünfte seine erste und einzige Chance vor der Pause zur Führung. Sonst herrschte im Angriff der Westfalen Funkstille. Der VfB war in der Offensive genau so harmlos: Sean Dundees Schuss aus zwölf Metern parierte Schlussmann Jens Lehmann ohne Schwierigkeiten (35.). Das war's schon von Stuttgarter Seite. Nicht von ungefähr verabschiedeten die etwa 30.000 Zuschauer (davon etwa 3000 Dortmunder) beide Teams mit einem gellenden Pfeifkonzert bei Halbzeit in die Kabinen.

Nach der Pause löste Rangnick die Viererkette auf. Soldo rückte ins Mittelfeld. Der VfB jetzt deutlich im Vorwärtsgang und Balakow auch mal im Blickpunkt. Einen Freistoß legte er überraschend quer auf Carnell, dessen Hereingabe aber die völlig verdutzten Kauf und Ganea verpassten (53.). Den nächsten Freistoß des Bulgaren lenkte Lehmann fahrlässig über die Querlatte (54.). Und kurz drauf unterläuft er völlig ohne Not eine Ecke, bei der jeder pfiffige Keeper wohl auf der Linie geblieben wäre. Jetzt machte der VfB ansatzweise eine Viertelstunde lang etwas Druck, doch die vom umsichtig agierenden Libero Sunday Oliseh geschickt gestellte Abwehrformation trat sehr kompakt auf und geriet eigentlich nie ernsthaft in Gefahr.

"Siehste Trainer, so wird das gemacht"
"Siehste Trainer, so wird das gemacht"

„Lokalmatador“ Fredi Bobic, der an seiner alten Wirkungsstätte nach Verletzungen erst zum fünften Mal im Einsatz war, blieb krass blass. Folgerichtig wechselte ihn Trainer Matthias Sammer nach einer Stunde dann auch gegen den zuletzt Saft und kraftlos wirkenden Otto Addo aus. Durch diese Hereinnahme kam neuer Schwung in die bis dahin fahrigen Konterbemühungen des BVB. Und wieder nutzte Borussia erneut die erste Möglichkeit zum 2:0. Micky Stevic, diesmal einer der stärksten Dortmunder, hämmerte den fälligen Elfmeter sicher in die Maschen (64.). Hildebrand hatte zuvor den nach geschicktem Dribbling frei durchlaufenden Otto Addo im Strafraum von den Beinen geholt. Von diesem Schock erholte sich der VfB nicht mehr. Nach den Negativschlagzeilen der vergangenen Wochen klappte bei den Schwaben so gut wie nichts. Zudem regte sich bei den „teuren Kunden“ auf der Haupttribüne zusehends Widerstand (Scheiß Millionäre, Rangnik raus), was uns sehr bekannt vorkam. Eine Parallele zum Skibbe-Mobbing ist in Stuttgart unverkennbar! Der umstrittene Balakow, diesmal eng beschattet von „Standardkönig“ Stevic, konnte keine Akzente mehr setzen und so blieben Torchancen insgesamt Mangelware. „Meine Mannschaft war viel zu passiv. Wir hatten gerade mal eine halbe Torchance, das ist einfach zu wenig gegen diesen Gegner,“ billanzierte ein völlig enttäuschter Rangnick anschließend in der Pressekonferenz.

Optimale Chancenverwertung: 2 Chancen – 2 Tore

Gegen den VfB mal wieder enttäuschend: Fredi Bobic
Gegen den VfB mal wieder enttäuschend: Fredi Bobic

Anders die Dortmunder. Zwei Möglichkeiten, zwei Tore - die Borussen werteten ihre Chancen zu hundert Prozent aus. „Glückwunsch an meine Mannschaft“, lobte Trainer Matthias Sammer, ließ dann aber auch kritische Töne anklingen: „In der zweiten Halbzeit haben einige Nerven gezeigt.“ Mit seinem früheren Club (mit dem er immerhin 1992 gegen uns erster gesamtdeutscher Meister wurde) hatte Sammer auch Mitleid: „Bei denen ist einfach der Akku leer.“ VfB-Coach Ralf Rangnick sieht aber immer noch keinen Grund, seinen Job aufzugeben. „Von meiner Seite besteht dazu kein Anlass. Aus den nächsten drei Spielen brauchen wir sechs Punkte.“ Wir auch...

Fazit: Der BVB nimmt verdient die Punkte mit in die westfälische Reviermetropole. Drei Tage nach dem schwarzen Freitag in Herne-West präsentierte sich die Mannschaft wesentlich einsatzfreudiger und stand in der Defensive diesmal sicher. Das wir aus dem Mittelfeld heraus kaum gelungene Angriffsaktionen initiieren, ist hier sicherlich kein Geheimnis mehr. Da fehlt es leider an der nötigen Abgeklärtheit und Ballsicherheit, um so einen schwachen Gegner auch mal mit 4 oder 5 Dingern nach Hause zu schicken. Um die rückläufige Form von Lars Ricken muss man sich allerdings wohl wieder Sorgen machen, denn nach zuletzt ansprechenden, engagierten Auftritten, läuft er zur Zeit gerade wieder neben der Musik her. Hoffentlich nur eine Momentaufnahme.

Aufstellungen und Noten:

Borussia Dortmund: Lehmann (4) Wörns (2,5) Heinrich (4) Kohler (2) Evanilson (2,5) Stevic (3) Oliseh (2) Ricken (4) 88. Nerlinger ( - ) Dede (2,5) Bobic (5) 60. Addo (3) Reina (4) 72. Tanko ( - )

Tore: 0:1 Dede (5., direkter Freistoß), 0:2 Stevic (64.)

Schiedsrichter: Edgar Steinborn, Sinzig (3)

Gelbe Karten: Hildebrand - Kohler, Dede

Zuschauer: 30.000

Super Mannschaft mit Sammer beim Feiern
Super Mannschaft mit Sammer beim Feiern

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