BVB trotzt Ostseewind und Hansa: Mit glänzender Perspektive geht´s in die Rückrunde
Das auswärtsstärkste Team der Liga hat wieder zugeschlagen: Borussia Dortmund hat mit einem verdienten 2:1 (1:0)-Sieg bei Hansa Rostock seinen Sturmlauf auf die Spitze in der Fußball-Bundesliga unbeeindruckt des Durchhängers Mitte der Woche in Köln fortgesetzt. Der Sieg war zu keiner Zeit gefährdet, zu souverän präsentierte sich der Tabellenvierte über weite Phasen des Spiels.
Das beste vorweg: Es regnete nicht. Aber bei dem berühmt-eisigen Nordostwind von der Ostsee erwischten die stark ersatzgeschwächten Dortmunder, die heute auf sieben verletzte oder gesperrte Stammspieler verzichten mussten, einen Auftakt nach Maß. „Billy“ Reina schloss schon den ersten gefährlichen Angriff mit der psychologisch wichtigen Führung – allerdings kurios wie glücklich – zum 0:1 ab (7. Min.). Nerlinger passte in den Lauf von Addo, der von halbrechts an Pieckenhagen vorbeispielt, der eigentlich besser postierte Bobic verpasst und Reina ist dann vor Yasser am Ball. Der Rostock-Keeper kommt erst hinter der Torlinie an die Kugel. Der 28 Jahre alte Borussen-Stürmer war auch in der Folgezeit gefährlichster Unruheherd in der Hansa-Deckung, in der mit Radwan Yasser ein gelernter Mittelfeldspieler den verletzten Manndecker Kai Oswald ersetzte. Borussia war von Anfang an präsent, bestach durch eine kluge Raumaufteilung und gestattete der Heimmannschaft erst gar keine nennenswerten Angriffe. Die vom umsichtigen Oliseh (der hat wohl seine Position gefunden, wie´s aussieht) geschickt organisierte Abwehr stand zunächst excellent und die Zuordnung stimmte. Besonders Wörnsi degradierte Baumgart zur Bedeutungslosigkeit und Alfred Nijhuis bekämpfte den baumlangen Viktor Agali mit Haken & Ösen und entschied 68% dieser Duelle gegen den so hochgelobten 12 Mio. Stürmer für sich. Respekt!
In der 14. Minute dann eine schöne Ballstafette über den halben Platz und Fredi Bobic´s Schuß wird zur Ecke abgeblockt. Nur 3 Min. später legt Otto Addo (die Pause hat ihm gut getan) per Absatzkick für Christian Nerlinger (starke Partie!), aber dessen Schüsschen entwickelt sich zum Roller. Dann in der 18. Minute flankt „Eva“ von rechts stark nach innen, Bobic haut sich rein, mäht aber Rayk Schröder um - Freistoß! Weiterhin spielt nur der BVB. Wiederum eine hochkarätige Chance für die spielbestimmenden Westfalen. Heinrich spielt einen hohen Ball in den Strafraum. Bobic zieht per Drop-kick aus neun Metern ab, aber Pieckenhagen steht gut und klärt.
Borussia dominiert Hansa nach belieben
Die 14.000 zumeist hanseatischen Zuschauer erkannten sehr schnell, dass ihre Mannschaft nicht gerade eben viele Bäume ausreißen würde und so wurde mal kurzerhand in einer Art „Ersatzbefriedigung“ die Dortmunder Reizfigur schlechthin, Jens Lehmann mit dem Schimpfkanonaden-Sammelsurium eingedeckt. Spitzenreiter bei den unflätigen Gesängen war aber der Hit: „Auf die Fresse“, wenn einer der zahlreichen Zweikämpfe der Hanseaten verloren ging und ihr Spieler daraufhin „das Grün“ knutschte.
Borussia war Herr im Haus. In der Die wie geschockt wirkenden Hausherren benötigten eine gute halbe Stunde, bis sie überhaupt erstmals die Dortmunder Abwehr überwinden konnten und halbwegs gefährlich vor dem Tor auftauchten. Rene Rydlewicz hämmert bei einem Freistoss aus 25 Metern drauf. Der abgefälschte Schuss streicht etwa einen Meter am Gehäuse vorbei und ist für Lehmann aber kein Problem. Zuvor aber hatte der Hansa-Torwächter allerdings in aller höchster Not etwa 20 Meter vor der Hütte gegen den durchgestarteten Reina klären müssen (26.). Und dann das unfassbare. Nur eine Minute später hätte auch er nichts machen können. Dieser wirbelnd-wuselnde „Liebling der BVB-Fans“ hat das Ding zum 0:2 auf dem Fuß. Bobic (endlich mal im Spiel) überlupft gefühlvoll Yasser und der Ball landet bei „Billy“. Der zielt aus etwa 20 Metern über den herauslaufenden Pieckenhagen, aber zu unserm Entsetzen auch knapp vorbei am Tor! Den mitgereisten „Schwatzgelben“ erstarb der Torjubel auf ihren unterkühlten Lippen... Ungläubige Blicke allenthalben! In der 33. Minute erwarten dann die in ihren Gefühlen hin und hergerissenen BVB-Fans auf den Elfmeterpfiff, aber Heinemann hat Agali´s „Schwalbe“ gegen Lehmann (der ihn nicht berührt!) genau gesehen! Gut so. Warum er den allerdings dann nicht verwarnt, bleibt wohl sein Geheimnis.
Weiter geht’s. Bei einem der zahlreichen guten Konter in der 37. Minute spielt Addo über die Abwehr der Rostocker schulmäßig auf Bobic. Der Stürmer nimmt den Ball auch irgendwie mit, aber seine technischen Unzulänglichkeiten verhindern (s)ein Tor. Kurz vor der Halbzeit entschärft Pieckenhagen noch einen direktern Freistoss von Lars Ricken aus 30 Metern.
Lehmann kann´s einfach nich lassen...
Von solch klaren Chancen konnten die Gastgeber im ersten Abschnitt nur träumen (Friedhelm Funkel: "Wir haben heute eine sehr gute Dortmunder Mannschaft gesehen, die abgebrüht und sehr clever von hinten heraus gespielt hat und nicht umsonst das auswärtsstärkste Team der Liga ist). Die Hansa-Stürmer liefen sich immer wieder in der gut gestaffelten Dortmunder Abwehr fest, so dass BVB-Keeper Jens Lehmann einen weniger arbeitsintensiven Arbeitstag verlebte. Ein weiterer Freistoß von Christian Brand strich zwei Minuten vor dem Halbzeitpfiff knapp am Gehäuse von Lehmann vorbei. Aber Borussia kommt zunächst wieder sehr konzentriert aus der Kabine. Zum Auftakt in die zweite Halbzeit entsteht gleich eine gute Chance für Dortmund. Ricken flankt gefühlvoll von links in den Strafraum und Fredi Bobic nimmt den Ball direkt aus zwölf Metern. Sein Schuss geht allerdings genau auf den gut postierten Hansa-Torwart. Der ahnt da noch gar nicht, dass seine nächste Ballberührung unmittelbar aus den Maschen seiner Bude erfolgt, denn ein ganz genau getimter Pass von Oliseh über 50 Meter erreicht Otto Addo, der dem Schwedenhappen Jakobsson weit entlaufen ist. Der Ghanaer überloppt Martin Pieckenhagen aus 15 Metern. Drin! Ein Traumtor! 0:2! Borussia baut die Führung völlig verdient aus und Otto tanzt mal wieder eine seiner berühmten „Jubel-Kreationen“ an der Eckfahne. Addos gekonnter Heber über Pieckenhagen hinweg schien schon zwei Minuten nach Wiederanpfiff die Entscheidung zu bedeuten, aber unser toller Jensi Lehmann brachte den bereits geschlagenen Kontrahenten noch einmal ins Spiel zurück. Der BVB-Torhüter wurde bei einer Flanke von Agali im 5-Meterraum angesprungen und ließ den Ball entgleiten, Hansas Sturmführer setzte der Kugel nach und Lehmann blieb offenbar kein einziger Ausweg, als den Nigerianer an der Wade zu Boden zu zerren. Den fälligen Strafstoß verwandelte Rydlewicz zum Anschlusstreffer (53.). Otto Addo zog dann in der 58. Minute volley ab Danach versuchten die spielerisch enttäuschenden Platzherren, zumindest noch den Ausgleich zu erzielen. Die Rostocker Bemühungen waren jedoch zu einfallslos, um die sattelfeste Borussen-Abwehr ernsthaft in Verlegenheit zu bringen. In der Schlussphase einer nun kämpferischen Partie hat Borussia Dortmund noch zwei sehr gute Einschuß-Chancen. Zuerst flankt Guiseppe Reina von rechts in den Strafraum. Bobic, in einer Kopie seines Haching-Tores probiert einen Seitfallzieher, kommt auch noch aus sechs Metern „etwas“ an den Ball und scheitert kläglich. Gerade für ihn, der nahezu die gesamte Begegnung über wieder an der Musik vorbeilief, hätte Matthias Sammer doch gut daran getan, mal den Jungspund „Emma“ Krontiris einzuwechseln, von dem er ja so viel hält! Aber er ließ Durchspielen. Und so vergibt nach herrlichem Solo der völlig entkräfte Otto Addo in der Schlussminute den „Matchball“ (90.).
Fazit: Borussia gewann verdient und demonstrierte über weite Strecken, dass unser Trainer einen sehr guten Weg eingeschlagen hat (O-Ton Matthias Sammer: Ich hätte meiner Mannschaft diese Leistung heute nicht mehr zugetraut und bin stolz auf sie). „Matthes“ hat nach der fatalen Ba*ern-Klatsche seine „taktische Meinung“ überdacht und die Konsequenzen aus der Torflut gezogen. Ergebnis? Das Team steht kompakter in der Defensive und spielt von hinten heraus immer besser ihre überfallartigen Angriffe. Das auswärtsstärkste Team der Liga zu sein, bringt dem BVB [BTW] auch so langsam wieder einen „Ansehens-Bonus“ ein, der die jeweilige Heimmannschaft zu einer vorsichtigeren Marschroute zwingt! Auch das kommt unserm Spiel natürlich entgegen. Aber es ist auch eine Frage des neuen Selbstbewusstseins! Zweifellos werden wir in der 2. Halbserie noch wesentlich stärker sein, wenn erst unsere Rekonvaleszenten (Reuter und Metze), oder unsere „Winterneuzugänge“ (Sörensen, Casey und natürlich der ominöse Mr. X) in den Spielbetrieb einsteigen können. Zum Abschluß des für uns so arg strapaziös und gebeutelten Fußballjahrs 2000, schenkten sie uns noch einen Sieg „für unter´n Weihnachtsbaum“. Wir dürfen nun ruhig beseelt und voller Vorfreude in die kürzeste Pause aller Zeiten hineingehen, denn unsere Jungs werden auf einem CL-Quali-Platz überwintern. Eine erstklassige Basis für die Rückrunde, die Lust auf „mehr“ macht - oder?
Noten und Aufstellung
Dortmund:
Lehmann (4) Wörns (2) Oliseh (2) Nijhuis (2,5) Evanilson (3,5) Nerlinger (3) Addo (2,5) Heinrich (4) Ricken (3,5) Reina (2) Bobic (4,5)
Schiedsrichter: Bernd Heynemann, Magdeburg (3). War stets auf Ballhöhe und sah auch die Schwalbe von Agali. Allerdings ging dem Elfmeter ein Foulspiel an Lehmann im Fünfmeterraum voraus, das er nicht sah.
Tore: 0:1 Reina (7.), 0:2 Addo (47.), 1:2 Rydlewicz (57., Foulelfmeter)
Zuschauer:
14.000
Gelbe Karten: Lehmann (4.), Ricken (3.)