Es ist 23:11, als ich am Freitagabend betrunken vor Glückseligkeit stocknüchtern aus dem Gästeblock torkelte. Was war das bitte für ein Spiel? Der Daheimgebliebene fragt sich vermutlich gerade, ob ich noch alle Latten am Zaun habe ob der eher bescheidenen Leistung auf dem Platz. Die meine ich nicht, die meine ich heute absolut überhaupt gar nicht. Zum Spiel habe ich heute genau zwei Sätze zu sagen: wir haben 1:0 gewonnen. Das ist schön, aber alles Weitere könnt ihr beim Kicker nachlesen.
Hier und jetzt geht es mir um das Drumherum, das für ein Freitagabendspiel in Augsburg sowas von unwürdig, weil viel zu großartig war. Aber ist es nicht das Unvorhersehbare, das diese Fahrten so schön macht?
Schon weit vor dem Spiel startete der Gästeblock geschlossen und laut in seine Aufwärmphase. „Ich wünsch’ mir Spiele ohne Leiden“ - ein Lied, das uns noch bis Mitternacht begleiten sollte. Auf der Heimseite gedachte man mittels riesiger Choreo zwei verstorbener Augsburger Ultras. Durch ein Seil, das sich in einem Teil selbiger verfing, war der optimale Ablauf für viel zu lange Minuten in Gefahr. Der Gästeblock litt mit, jeder schien sich in diesem Moment nichts sehnlicher zu wünschen, als dass dieses verdammte Seil nachgab. Die Gebete wurden nach einer gefühlten Ewigkeit endlich erhört und das Stadion hielt kurz inne und gedachte den verlorenen Freunden. Zusammen.
Auf unserer Seite flogen kurz darauf die altbekannten Tennisbälle, um die DFL daran zu erinnern, dass im Bezug auf die Entfernung zu freitäglichen Auswärtsspielen eigentlich einmal eine 300km Regel eingeführt wurde. Scheinbar hatte man bei diesem Spiel in Erdkunde nicht so gut aufgepasst. So wie man eben noch für die Heimkurve einstand, kam der Support nun von der anderen Seite und so pushte man sich während des „scheiß DFL“ Wechselgesangs gegenseitig zu noch mehr Lautstärke. Zusammen.
Kurz darauf fiel jemand neben mir um wie eine Bahnschranke. Er war alleine hergekommen und doch so gar nicht allein. Vom Podest aus wurde die Versorgung koordiniert, Reihe für Reihe leistete ihren Beitrag zum Miteinander. Leider gab es noch weitere dieser Zwischenfälle, die nicht dem Alkohol geschuldet waren und mit jedem Mal agierte man mehr und mehr Hand in Hand. Zusammen. Gute Besserung euch!
Warum die Stimmung an einem Freitagabend in Augsburg so gut war? Ich kann es euch nicht sagen. Man nahm alles mit, was kam. Die Stimmung war ausgelassen, man sang ein einziges Lied über mehrere Minuten, mischte wild zwischen Neuem und Alten. Augsburg war schon damals magisch, als wir bei 30 Grad im Mai 30 Minuten am Stück „Borussia Dortmund wird Meister und Schalke steigt ab“ sangen. Ich hatte das Gefühl, heute brauchte es nicht einmal Vorsänger und schon gar keine motivierenden Worte, der Block belebte sich selbst wieder und schaffte eine Dynamik, die ich schon lange nicht mehr erlebt hatte. Fackeln und Blinker und trugen ihren Teil dazu bei. Weder in der Halbzeit noch nach Spielende dachte irgendjemand um mich herum ans Aufhören.
Die Mannschaft hatte leider keine Zeit, diesen Wahnsinn auch nur für zwei Minuten zu huldigen, musste man doch schnell seinen Flieger zurück nach Dortmund bekommen. Mit dem Flieger nach Augsburg. Sky Interviews am Mittelkreis und in der Kabine. Was sind schon die Fans. Can und Kovac versuchten sich an einer kurzen Entschuldigung, aber das interessierte schon lange nicht mehr. Auf dem Podest beriet man noch über das nächste Lied, da übernahm der Block schon wieder das Zepter. Na, wie wär‘s mit „Spiele ohne Leiden?“ Jaaa! 15 Minuten lang steigerte man sich zum fünften Mal in dieses Lied hinein, setzte mit jedem Durchgang nochmal einen drauf. Die Trommler baten um Verschnaufspause, die Arme glühten, die Kehle brannte, aber all das spielte keine Rolle an diesem warum-auch-immer schönsten Abend seit Langem. Die VIPs, die eigentlich schon beim Essen sitzen sollten, die Ultras von Gegenüber, die Greenkeeper, alle starrten sie gebannt auf den Gästeblock. Um 22:40 genauso wie um 23:11, keiner bewegte sich irgendwo anders hin. Mittlerweile kannte ich auch den Letzten um mich herum mit Namen. Und die von der anderen Seite des Wellenbrechers jetzt auch, man feierte sich gegenseitig für einen großartigen Schlagabtausch beim „BVB“-Wechselgesang. Den Effzeh feierte man zum krönenden Abschluss auch noch, genauso wie die Freunde vor den Toren.
„Ich wünsch‘ mir Spiele ohne Leiden ebbte noch lange nach. Im Bus, am Parkplatz und vielleicht auch still und heimlich beim ein oder anderen Augsburger Sitznachbar, der zwar gut sichtbar seine Augen verdrehte, sein im Takt wippender Fuß verriet ihn am Ende aber doch.
Ich denke, dass der ein oder andere mit mir zusammen noch lange von diesem Abend zehren wird. Danke Dortmund für Tage wie diese.