Demo für den Erhalt der Fankultur Fanszenen-Safari in Leipzig
Länderspielpause. „Schon wieder?!“ denken einige, andere sind nach vier Auswärtsspielen in Folge sogar froh darum – Zeit für die Familie, wichtige Termine oder Entspannung? Warum aus meinem entspannten Sonntag nichts wurde? Fragt die Innenminister:innen und Verbände.
Freitag Vormittag kam die offizielle Nachricht, mit der ich schon seit einigen Tagen rechnete:
Die Fanszenen Deutschlands machen wieder gemeinsame Sache!
Aufruf zur gemeinsamen Demo in Leipzig gegen die Pläne der Politik.
Mir war schnell klar, dass ich hinfahren werde und deswegen kann ich euch jetzt hier einen kleinen Erlebnisbericht schreiben:
Am Vortag kamen nochmal kurz Zweifel auf, ob ich wirklich fahren soll. Eine halbe Stunde später ist das hinfällig. Ein Beitrag des Dachverbands der Fanhilfen über ein Schreiben von DFL und DFB an die Vereine lässt wieder etwas Wut aufsteigen, angesichts der ganzen Geheimniskrämerei und der vollkommen unnötigen Forderungen. Ich fahre, komme was wolle! Um 5 Uhr morgens werden erstmals laut die Innenminister:innen verflucht, weil ich nun am kalten Bahnhof stehen muss statt im warmen Bett zu liegen. Aber das Ziel ist trotzdem klar: Leipzig.
Kurz vor 11 treffe ich in Leipzig ein. In allen Ecken des Bahnhofs tummeln sich schon Fußballfans. Manche sind deutlich erkennbar, andere dezenter, einige neutral unterwegs. Man erkennt sich trotzdem irgendwie, beäugt sich, nickt sich zu. Freund oder Feind, heute ist alles egal, wir sind für ein gemeinsames Ziel hier! Schnell noch mit Getränken versorgt und ab zum Treffpunkt. Der platzte schon eine halbe Stunde vor der ausgemachten Zeit aus allen Nähten. Fans in sämtlichen Farben tummeln sich durcheinander, die Übergänge zwischen so manchen Gruppen sind fließend. Vorbei an einer großen Gruppe in Blau-Weiß: Hertha. Union steht auch irgendwo ums Eck. Direkt darauf Osnabrück mit einer ordentlichen Kapelle. Vorbei an Augsburgern, der Schickeria aus München, mitten durch die Fans von Alemannia Aachen. Jena werkelt am Lautsprecherwagen. Fast sämtliche Ostvereine sind erwartungsgemäß stark vertreten.
Aus der Masse heraus ist es schwer alles zu überblicken, wir schlängeln uns trotzdem ein paar Mal über den Platz. Alles begleitet von dem ständig über uns kreisendem Polizeiheli. Mit jedem Mal erblickt man eine neue Gruppe, zum Beispiel der kleine, blau-weiße Haufen vor dem mexikanischem Restaurant. Ich muss tatsächlich zwei Mal hinschauen: Kickers Emden! Gegen 11:45 ertönen aus einer Gasse heraus Gesänge, kurz darauf kommt eine große Fraktion Stuttgarter ums Eck, mit ordentlich Material dabei. Im Schlepptau die Freunde der Szene E aus Reutlingen. Und als ich gerade die Frage äußere, ob jemand schon die Hamburger gesehen hat, tauchen auch die wie aus dem Nichts auf. Mittlerweile ist der Platz bis zum Rand gefüllt. 15 Minuten später kommt langsam Bewegung rein, eine große Union-Fahne weht, die ersten Gruppen fangen also an sich aufzustellen. Wir gesellen uns zu den Kölnern, dort tummeln sich auch schon ein paar Boruss:innen. Insgesamt vielleicht so 15-20 Leute, schätzungsweise größtenteils Umland-Fans.
Mit einer Seelenruhe stellen sich alle Gruppen nach und nach auf. Wir reihen uns hinter dem Lautsprecherwagen ein, also ungefähr in der Mitte des Demozugs. Immer wieder geht es langsam voran im Spalier aus anderen Fanszenen. Links von uns Lok und Halle, rechts erblicke ich Fortuna Köln und einige Andere. Auch ein leicht kurioses Gefühl. Bis die ganze Aufstellung komplett ist und der Zug offiziell loszieht, soll fast eine ganze Stunde vergehen.
Abmarsch
Zu Beginn wird eine Schweigeminute gehalten - für alle verstorbenen Ultras, Fans und Begleiter:innen im Kampf für den Erhalt der Fankultur. Während es den ganzen Vormittag schon ungewohnt ruhig war für so eine große Masse an Fußballfans, wird es nun absolut still in Leipzig. Selbst das Baby, welches irgendwo rechts am Straßenrand gerade anfangen möchte zu weinen, verstummt direkt wieder. Anschließend werden kurz die Demoregeln und der weitere Ablauf verkündet. Ursprünglich war wohl geplant alle Gesänge vom Lautsprecherwagen aus zu koordinieren, aber das ist wegen der schieren Masse an Fans und der Länge des Zuges nicht mehr möglich. So sollte jeder Demoblock einfach auf seine eigene Art und Weise lautstark auf die Forderungen aufmerksam machen. Und los geht’s!
Nach kurzer Strecke nochmal ein Halt auf Höhe des Hauptbahnhofs. Hier wollte man nochmal versuchen ein gemeinsames „Gegen alle Stadionverbote“ anzustimmen. Nachdem der erste Versuch scheiterte, weil das ewig weit entfernte Ende des Demozuges den Stop nicht mitbekam, wurde schnell improvisiert. Kurzerhand teilte sich der ganze Zug von vorne bis hinten in der Mitte. Nun wurde die Forderung lautstark der jeweils anderen Seite entgegen gebrüllt. Als der farbenfrohe Zug aus verschiedenen großen und kleinen Fanszenen dann weiter zog konnte man abwechselnd aus allen Entfernungen immer wieder verschiedene thematische Gesänge hören. Die geplante Zwischenkundgebung auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz muss kurzfristig auf Grund der Demogröße übersprungen werden. Und während ich nach 2/3 der Strecke beim Anblick des ersten Polizeihunds am Straßenrand gerade den Gedanken äußern will, dass das Polizeiaufgebot zwar massiv, aber nicht komplett übertrieben ist – schließlich hab ich noch nicht mal eine Reiterstaffel gesehen! – gibt eine Nebenstraße den Blick auf gleich zwei Wasserwerfer und ein gepanzertes grünes Fahrzeug frei. Ein kurzes Lachen kann ich mir aufgrund des Timings nicht verkneifen. (Auch die vermissten Reiterstaffeln waren reichlich anwesend, wie ich später am Straßenbild noch feststellen werde.)
Fanszenen Wimmelbild
Immer wieder recken Leute ihre Köpfe, drehen sich nach hinten um, treten zur Seite heraus um einen kleinen Blick auf das Wimmelbild aus Fanszenen zu erhaschen, welches sich seinen Weg durch Leipzig bahnt. (Den besten Blick über das Geschehen haben wohl die Schaulustigen und Medien, die sich am Straßenrand oder auf irgendwelchen Dachterrassen platziert haben. Aber auch in einer Kurve der Route kriegt man einen halbwegs guten Blick auf die weiter hinten befindlichen Blöcke.)
Vor dem Kölner Block kann ich über den Lautsprecherwagen hinweg dutzende Fahnen von Rot-Weiß Erfurt und Hannover 96 sehen, direkt zwischen uns und dem Energie Cottbus Block laufen die Fanszenen von Eintracht Trier und dem VfB Oldenburg. Hinter dem heimischen Block von Lok Leipzig erblicke ich noch Saarbrücken, Freiburg, Heidenheim, TuS Koblenz, Lautern, Zwickau, Babelsberg, Bielefeld, Sandhausen und viele mehr. Auch als die Demo wieder am Startplatz ankommt und sich nochmals alle über den Platz verteilen ging die Fanszenen-Safari weiter: Ah, der KSC ist auch da! Da kommen Aue, Kiel und die Chemnitzer. Gegenüber vom Platz steht der Hansa Mob. Sechzig! Ich bezweifel stark, dass ich alle 50 Fanszenen vor Ort erblickt habe, das war fast unmöglich.
Abschließend gibt es noch eine kurze Rede, in der klargestellt wird, was hier heute erreicht wurde und was man fordert. Die Teilnehmerzahl wird verkündet: 20.000 Fans verschiedener Vereine! Später lese ich, dass die Polizei von knapp 8.000 ausgeht. Sorry liebe Polizei, ich glaub ihr müsst zum Augenarzt, denn das waren weitaus mehr! Nochmals hallen kurz lautstark einige Forderungen durch die Leipziger Innenstadt, bevor sich vom Lautsprecherwagen aus bei allen Teilnehmenden und Organisatoren bedankt wird und die Demo aufgelöst wird. Jedoch nicht ohne einen kleinen Seitenhieb gegen die daheimgebliebenen Fanszenen.
Das wars! Feierabend! In alle Richtungen vermischen sich nun die verschiedenen Leute, um zügig Ihre Heimreise anzutreten. Die fünf Stunden Heimfahrt werden genutzt um die ersten Videos, Bilder und Berichte zu sichten und die ganzen Eindrücke zu verarbeiten.
Fazit
Am Ende war es mal wieder wirklich beeindruckend wie die diversen, teils verfeindeten Fanszenen plötzlich zusammenkommen und gemeinsam für das große Ganze einstehen können. Den ganzen Tag über habe ich nicht eine einzige kleine Pöbelei oder mehr mitbekommen. Es waren alle nur da um ihren gemeinsamen Standpunkt klarzumachen. Das Ganze war ein deutliches Zeichen an Politik, Polizei und Verbände, aber auch an die Vereine.
Kurz besonders hervorheben möchte ich noch die vielen „kleineren“ Fanszenen: Starke Nummer, da teilweise sogar mehr Leute hinzustellen, als so manch großer Klub! Und dann muss natürlich noch viel Lob raus an alle an der Organisation beteiligten Personen. Was da innerhalb von kürzester Zeit auf die Beine gestellt wurde gebührt einfach massivsten Respekt!
Am Ende bleibt nur noch eins zu sagen:
Der Fußball ist sicher – Schluss mit Populismus – Ja zur Fankultur!
Für mehr Infos zu den aktuell diskutierten, völlig überzogenen Forderungen der Politik und Verbände besucht gerne derfussballistsicher.de. Informiert euch, teilt es und unterschriebt die Petition. Diese möglichen Maßnahmen gehen früher oder später uns alle etwas an!
Von Lina
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