BVB vs. VfB Stuttgart Zeitspiel
Zum 50. Geburtstag des Westfalenstadions wünschte ich mir drei Punkte in einem würdigen Rahmen am schönsten Ort der Welt. Am würdigen Rahmen scheiterte es schon mal nicht.
„Die stehen schon bis zur Möllerbrücke!“
Ich verdrehte die Augen und stopfte mir mein Brötchen etwas schneller in den Mund. „Bring mir eins mit!“ nuschelte ich ins Telefon, doch er hatte schon aufgelegt. Toll, nicht mal zum Abendspiel konnte man in Ruhe frühstücken. Mit solch einem Ansturm auf die Westfalenstadion-Shirts hatte wohl keiner gerechnet. Ich beeilte mich also und erspähte schon von weitem die Menschenmasse, die sich bis in die Seitengassen um sich selbst drehte. Verrückt.
Optimal gekleidet für die große Jubiläumsfeier ging es dennoch rechtzeitig in Richtung Westfalenstadion, wo die Vorbereitungen für die Choreo bereits in vollem Gange waren.
Wenige Stunden zuvor noch hatte der BVB sich den nächsten Fauxpas geleistet, indem er ein Westfalenstadion-Gemälde direkt vor dem Nordwesteingang fix überpinseln ließ und Feuerwerkzündler von Dienstag mit Betretungsverboten beglückte. Schade schade BVB, das Feuerwerk hätte sich doch sicher ähnlich gut vermarkten lassen wie die Choreo von den dann wieder besten Fans der Welt, oder nicht?
Im Block angekommen brachten umpositionierte Wellenbrecher 10.000 Südtribünenmenschen kurzzeitig aus der Fassung. Die ganze Ordnung dieser Tribüne war kurzzeitig aus den Fugen, denn die gewohnte im Kopf eingespeicherte Navigation zum 3. Wellenbrecher von links brachte uns dieses Mal nicht zu unserem angestammten Platz. Die allgemeine Verwirrung ließ sich schnell lösen und so begann die Verbereitung der Choreo. Ich betete insgeheim, dass auf alle Tribünen Verlass sei, als die Ergebnisse der anderen Plätze eingeblendet wurden. Kölle sicherte sich nach langer langer Durststrecke drei Punkte gegen die Bochumer. Geil! Und Bayern verliert in Heidenheim, geil! Moment mal - WAS?
Zum Einlauf der Mannschaft unterstützte die Dortmunder Philharmonika das Stadion lautstark - ein schönes Zusammenspiel, das mit viel Applaus verabschiedet wurde. Zudem gedachte man zwei verdienten Borussen und auf der Süd mittels Spruchbändern auch drei Fans, die ebenfalls ihren Kampf verloren hatten. Die Gedenkfackel und ein „You‘ll never walk alone“, das anders war als sonst, ließen mich schlucken. Das erste Spiel, bei dem ich mir von Papa kein Gepöbel anhören konnte, wie man so widerlich nach Bier und Qualm stinken kann und dass dieser Kreisligafußball ja mal wieder unerträglich war. Ruhet alle in Frieden, Borussen!
Kurz vor Spielbeginn dann unser großer Auftritt: die Osttribüne zeigte ein Papptafelmeer, das die Aufschrift „Westfalen“ trug und die Westtribüne ergänzte es durch „Stadion“. Auf der Süd erstrahlte hinter einer detailreichen Blockfahne eine goldene 50. Tage zuvor hatte ich noch gewettert, wie man die letzten Westfalenstadion-Choreos denn bitte noch toppen wollte. Ähm, so.
Der Gästeblock bestaunte das Kunstwerk stumm, kämpften sie doch gerade mittels schwarzem Rauch und Stimmungsboykott für den Erhalt von 50+1. Für Stuttgart gab es auf dem Rasen ebenfalls einiges zu gewinnen, sollte Bayern in Heidenheim verlieren. Wie utopisch war das noch eine Stunde zuvor? Sie konnten gleich ziehen und dem Traum Champions League damit noch ein Stück näher kommen. Stuttgart international - verrückt oder? Passend dazu erinnerte ein Spruchband im Gästeblock daran, dass sogar Lautern international spielen könnte. Noch verrückter, oder?
Dass es ein Kackspiel werden würde, war von vorne herein klar. Stuttgart spielt derzeit sauguten Fußball, wir nur manchmal und beide Mannschaften hatten große Ziele vor Augen. Es war ein mühsamer Kampf auf dem Platz, aber kein ungleicher. Dortmund versemmelte die ein oder andere Hundertprozentige, Stuttgart tat sich gleichermaßen schwer.
Die Süd eröffnete die zweite Halbzeit mit einer leuchtenden Pyroshow über die gesamte Tribüne. Das Feuer erreichte die Mannschaft allerdings nicht.
Die Erlösung für die Schwaben(schweine) erfolgte in der 64. Minute durch Guirassy. Der Gästeblock eskalierte - Stuttgart international in the making. Warum sich die Sympathien für diesen Verein in Grenzen hielten, bewiesen sie in den nächsten 30 Minuten eindrucksvoll. Nicht nur einer der Stuttgarter Spieler testete den Dortmunder Rasen auf Liegequalität, um kurz danach putzmunter zum nächsten Angriff aufzubrechen. Abstöße vom Tor dauerten mindestens zwei Minuten und den Auswechselspielern konnte man beim Verlassen des Platzes die Schuhe besohlen. Die Pulsader eines jeden um mich trat hervor, wutentbrannt über so viel Kackverhalten. Wer 30 Minuten vor Abpfiff auf Zeit spielt, dem gehörte der Hintern versohlt, wenn der Schiri es schon nicht tat. Das Wutbarometer der Süd näherte sich der Temperatur einer Pyrofackel.
Die Kommentare der Möchtegernexperten vor dem Fernseher, die die Dortmunder Stimmung als schwach betitelteten, gehören an dieser Stelle kurz korrigiert. Wenn das Mikrofon von Sky für euer gefühlsechtes Stadionerlebnis falsch steht, heißt das nicht, dass das im echten Leben wirklich so ist. Und auch nicht, wenn der Gästeblock nachfragt, warum wir H*ren so leise sind. Also Ball flach halten, die Stimmung war nämlich alles andere als schlecht. Lediglich die Beteiligung des restlichen Stadions ließ zu wünschen übrig. Mangelnde Beteiligung konnte man der Mannschaft währenddessen nicht vorwerfen. Die Schlussviertelstunde war fast durchgehend in Dortmunder Hand, nur das Tor sollte keiner mehr treffen. Lieber schlecht gewinnen als gut verlieren, schon klar. Trotzdem sendete die Süd verdienten Applaus in Richtung Rasen, um die Mannschaft für Madrid zu motivieren.
Es war ein schöner Fußballabend zu Ehren des schönsten Stadions der Welt. Danke an alle, die dazu beigetragen haben.