Im Gespräch mit...

Interview mit neuem BVB-Präsidium "Das ist ein Schwert, das schon sehr mächtig ist"

23.02.2023, 18:55 Uhr von:  Malte S. Nicolai
Dr. Reinhold Lunow und Silke Seidel stehen während eines Fototermins im Spielertunnel des Westfalenstadions und schauen freundlich in die Kamera
Haben sich für die kommenden Jahre einiges vorgenommen: Dr. Reinhold Lunow und Silke Seidel
© BVB (Simoes)

Wir haben mit dem neuen BVB-Präsidenten Dr. Reinhold Lunow und Stellvertreterin Silke Seidel, ebenfalls frisch im Amt, gesprochen. Unser Interview dreht sich um ihre Ziele, neue digitale Formate, die Zukunft des Grundwertekodex und die Aufarbeitung in der Handballabteilung.

Reinhold Lunow ist in große Fußstapfen getreten: Ende vergangenen Jahres löste er Dr. Reinhard Rauball als Präsident von Borussia Dortmund ab. Der Internist aus dem Rheinland hat sich zwischen 2005 und 2021 einen Ruf als verlässlicher Schatzmeister erarbeitet und war vor mehr als einem Jahr bereits zum stellvertretenden Präsidenten gewählt worden.

Während Lunow vielen BVB-Fans wohlbekannt ist, hat man Silke Seidel, die neue Vizepräsidentin, bisher eher hinter den Kulissen wahrgenommen. Die Leitende Angestellte der Dortmunder Stadtwerke kam durch den Bau des Trainingszentrums in Brackel zu Borussia Dortmund. Seit 2015 sitzt sie im Aufsichtsrat der KGaA.

Das Führungsduo, das gemeinsam mit Schatzmeister Bernd Möllmann, das Präsidium des BVB e. V. bildet, hat einige Aufgaben vor der Brust: Nach den Missbrauchsvorwürfen bei den Handball-Damen müssen entsprechende Präventionsmaßnahmen getroffen werden, parallel werden Rufe nach einer weiteren Professionalisierung der Abteilung laut. Und die Vereinsmitglieder haben mit dem Grundwertekodex zuletzt zwar ein wichtiges Dokument verabschiedet, doch noch weiß niemand so recht, wie verbindlich das Ganze auch für Geschäfte der KGaA sein wird – und wie sich das Präsidium im Zweifel positionieren wird. Schließlich schwebt über alldem stets die drohende Abschaffung von 50+1 ...

Über diese und einige andere Themen haben wir mit den beiden gesprochen.

schwatzgelb.de: Wie waren denn Ihre ersten Wochen im Amt?

Silke Seidel: Für mich waren sie voller Kennenlern-Termine, aber das war so zu erwarten. Um einige Gesprächspartner habe ich mich bemüht, andere sind auf mich zugekommen. Das war spannend und vielfältig.

Dr. Reinhold Lunow: Bei mir hat sich gar nicht viel geändert – auch wenn ich dachte, die ganze Welt verändert sich, wenn du Präsident bist. (lacht) Trotzdem gibt es natürlich neue Strukturen und Aufgaben. Alles in allem aber in geringerem Maße als gedacht.

Wie darf man sich Ihren Alltag denn vorstellen? Ihre Posten bei Borussia Dortmund sind Ehrenämter, und Sie beide haben Berufe, die eher zeitintensiv sind.

Seidel: Es ist aufgrund der Intensität tatsächlich nicht ganz einfach, beides unter einen Hut zu bekommen. Ich lege mir Termine vermehrt in die Abendstunden und Wochenenden. Das ist wirklich eine Herausforderung. Da ich das aber geahnt hatte, habe ich mit meinem Arbeitgeber ab Anfang 2023 eine Stundenreduzierung vereinbart. Ich möchte zum einen keine Interessenskollisionen, zum anderen den Freiraum, mich mehr der Arbeit beim BVB widmen zu können.

Ich stehe auf der Seite derer, die den alten Fußball erhalten wollen.


Dr. Reinhold Lunow

Komplett neu ist das Ganze für Sie ja nicht …

Seidel: Genau. Seit sieben Jahren bin ich ja auch im Aufsichtsrat der KGaA. Doch durch das Amt im e. V. kommen nun neue Felder hinzu. Und denen möchte ich gerecht werden.

Lunow: Ich bin seit 2005 Teil des Präsidiums und habe da für mich in der Vergangenheit einen Weg gefunden. Ich bin selbständig und kann frei entscheiden, wie viel ich arbeite. Auch weil meine beiden Kinder in den letzten Jahren zu mir in die Praxis gekommen sind, arbeite ich halbtags bis 14 Uhr. Das genieße ich sehr.

Sie, Herr Dr. Lunow, haben sich bei Ihrer Antrittsrede als “Fußalltraditionalist aus Überzeugung” vorgestellt. Was heißt das für Sie?

Lunow: Ehrlich gesagt habe ich mir lange nicht vorstellen können, mal ein Traditionalist zu sein. Das ist ja etwas Konservatives. Doch dazu habe ich mich, was den Fußball angeht, im Laufe der Jahre entwickelt. Der Fußball hat große Entwicklungen hinter sich, nicht immer in die richtige Richtung. Da stehe ich auf der Seite derer, die den alten Fußball erhalten wollen. Mit Sicherheit hat auch mein Engagement fürs Borusseum einen Anteil daran.

Mit der Zeit ist man vorsichtiger geworden.


Silke Seidel (über das finanzielle Vorgehen des BVB)

Gibt es bestimmte Punkte, an denen Sie sagen würden, dass der Profifußball falsch abgebogen ist?

Lunow: Ein gutes Beispiel ist sicherlich die Weltmeisterschaft in Katar und die Entwicklung der FIFA. Ähnliches würde beim BVB nicht passieren.

Dass wir Spiele in Katar austragen werden?

Lunow: Dass Entscheidungen getroffen werden, bei denen offensichtlich ist, dass … sagen wir’s mal so … sportliche Aspekte nicht die entscheidende Rolle gespielt haben. Grundsätzlich besteht diese Gefahr im Fußball häufig, weil es um so viel Geld geht. Aber nicht bei den handelnden Personen hier in Dortmund.

Frau Seidel, wie haben Sie Borussia Dortmund im Rahmen Ihrer Tätigkeit für den Aufsichtsrat kennengelernt?

Seidel: Beruflich bin ich permanent mit Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen beschäftigt und habe auch beim BVB von Anfang an immer ein Auge auf die Zahlen gehabt. So bin ich auch Teil des Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat. Ich habe von Anfang an festgestellt, dass hier Wert auf wirtschaftliches Handeln gelegt wird.

Ich bin weniger durch den Sport, sondern durch meine Tätigkeit im Immobilienbereich zum BVB gekommen. Das Trainingszentrum in Brackel konnte durch den BVB einst nicht mehr gebaut werden, weil die finanziellen Mittel nicht mehr zur Verfügung standen. Diese Aufgabe hat man mir bei der DSW21 übertragen. Seitdem begleite ich den Fortschritt des Trainingszentrums. Deshalb weiß ich auch, wie gigantisch die früheren Pläne waren. Mit der Zeit ist man vorsichtiger geworden und fragt sich: Können wir uns das leisten? Ist das wirklich notwendig? Man schlägt nicht mehr über die Stränge.

Der e. V. soll auch weiterhin eine eigene, selbstbewusste Größe im BVB-Konstrukt bleiben, und nicht nur existieren, um die Lizenzbedingungen zu erfüllen.


Dr. Reinhold Lunow

Wofür möchten Sie denn über Finanzierung und Bauprojekte hinaus während Ihrer Amtszeit im e. V. stehen?

Seidel: Mit meiner Tätigkeit im e. V. nehme ich eine ganz neue Perspektive ein. Begonnen hat das schon vor zwei Jahren, als ich die Koordination für die Modernisierung des Borusseums übernommen habe. In dieser Zeit haben Reinhold und ich uns übrigens auch besser kennengelernt und gemerkt, dass wir gemeinsam sehr gut funktionieren.

Ich bin tiefer in die Geschichte des Vereins eingetaucht und habe außerdem schnell gemerkt, wie stark es hier menschelt. Ich habe gelernt, für wie viele Dinge Borussia Dortmund steht, auch neben dem Fußball. An der Wunschbaum-Aktion, die ich schon 2021 verfolgt habe, oder dem regelmäßigen Putzen der Gedenksteine sieht man, dass Ehrenamtler hier sehr viele wichtige Arbeiten übernehmen. Die Wertschätzung dafür kommt mir, im Vergleich zum Sport, eigentlich noch viel zu kurz.

Schließlich ist Dortmund meine Heimatstadt, und der BVB ist ein Teil davon. Auch wenn ich als Kind nicht im Stadion war.

Lunow: So ein Vorstand muss ja auch nicht komplett homogen sein. Wir sind drei Leute. Ich bin Fan seit dem sechsten Lebensjahr, und, wenn Sie so wollen, ein Fan-Präsident. Reinhard Rauball hat mich damals scherzhaft “Volks-Schatzmeister” genannt. (lacht) Bernd Möllmann ist am Borsigplatz geboren, hat beim BVB Fußball gespielt und ist seit Ewigkeiten im Verein. Da ist es nicht unbedingt notwendig, wenn die dritte Person auch diesen Hintergrund hat. Im Gegenteil: Es ist gut, jemanden dabei zu haben, der anders strukturiert ist. Ich finde das Ergänzende toll. Wir lernen voneinander.

Ich möchte die Wertigkeit der Aktivitäten, die es neben Fußball noch im Verein gibt, stärken.


Silke Seidel

Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Amtszeit gesetzt und welches sind die drei größten Herausforderungen?

Lunow: Ich habe in meiner Antrittsrede gesagt, dass es für mich wichtig ist, dass der e. V. auch weiterhin eine eigene, selbstbewusste Größe im BVB-Konstrukt bleibt, und nicht nur existiert, um die Lizenzbedingungen zu erfüllen.

Seidel: Ich kann mich da nur anschließen. Mein Fokus liegt außerdem auf den Aktivitäten, die es im Verein neben dem Fußball noch gibt. Deren Wertigkeit möchte ich stärken. Das soziale Engagement hat für mich einen sehr hohen Stellenwert, und das wird übrigens durch den Grundwertekodex auch sehr gut ausgedrückt. Der Verein ist Teil der sozialen Gemeinschaft der Stadt und wirkt über Dortmund hinaus.

An welchen Dingen würden Sie festmachen, dass der e. V. als eigenständige Größe innerhalb von Borussia Dortmund, insbesondere gegenüber der KGaA, erhalten bleibt, vielleicht sogar gestärkt werden kann?

Lunow: Rein formal betrachtet hat der e. V. über die Geschäftsführungs-GmbH ja den Hut auf. Wenn man das lebt, dann reicht das schon.

Würden Sie denn sagen, dass das in der Vergangenheit ausreichend gelebt worden ist?

Lunow: Die Frage war jetzt klar. (lacht)

Eines meiner Anliegen ist es, über digitale Angebote mehr Mitglieder in die Vereinspolitik einzubeziehen.


Dr. Reinhold Lunow

Der größte Teil der BVB-Mitglieder kennt die Kompetenzverteilung zwischen e. V. und KGaA wahrscheinlich überhaupt nicht, und zu den Mitgliederversammlungen kommen, Corona mal außen vor, seit vielen Jahren gefühlt die selben rund 1.000 Leute.

Lunow: Die meisten werden Mitglied beim BVB aus Prinzip oder weil sie so an Karten kommen möchten. Und ich finde es auch furchtbar, dass ich auf Fanabteilungs-Veranstaltungen seit 20 Jahren dieselben 30 Leute sehe. Deswegen ist eines meiner Anliegen auch, über digitale Angebote mehr Mitglieder in die Vereinspolitik einzubeziehen. Da haben wir unglaubliches Potenzial. Am Beispiel der Online-Mitgliederbefragung zum Grundwertekodex hat man das schon sehr gut beobachten können. Da habe ich mir übrigens jede einzelne Antwort durchgelesen.

Gibt es da schon konkrete Ideen?

Lunow: Ideen gibt es. Aber ich bin ja Arzt, und kein ITler. (lacht) Sowohl unsere Mitglieder- als auch die IT-Abteilung haben sich schon Gedanken gemacht. Auch mit dem externen Dienstleister, der uns beim Grundwertekodex schon unterstützt hat, bin ich im Gespräch.

Ich habe zum Beispiel noch Jakob Scholz, den Vorsitzenden der Fanabteilung, im Ohr, der während der Mitgliederversammlung sehr explizit mehr Mitgliederbeteiligung gefordert hat. Digitale Formate und Mitgliederstammtisch Beteiligung dieser Art wird es künftig also häufiger geben?

Lunow: Wir müssen uns anschauen, wie die Resonanz ist. Wir hoffen, dass die Mitglieder sich darüber einbringen. Grundsätzlich haben wir durch die Umfrage zum Grundwertekodex gesehen, wie sinnvoll es ist, die Mitglieder einzubinden.

Die KGaA überstrahlt den Verein schon sehr, und der Herrenfußball überstrahlt alles andere.


Silke Seidel

Es geht also um Formate, um zu bestimmten Themen die Stimmung an der Basis abzufragen?

Lunow: Es gibt viele Menschen, die gerne teilnehmen möchten, zum Beispiel an einer AG der Fanabteilung. Etliche können es aber nicht, weil sie zu weit weg wohnen. Hier kann man digitale Formate entwickeln, die das ermöglichen. Während Corona haben wir gelernt, wie man das organisieren kann.

schwatzgelb.de: Ist denn in diesem Zuge geplant, die anderen Abteilungen des eingetragenen Vereins in die Öffentlichkeit zu tragen? Um den Verein hier in der Region mehr zu leben?

Seidel: Da kann ich Ihnen nur Recht geben. Ich habe in der letzten Zeit einfach mal den Verein gegoogelt. Zur KGaA findet man sehr schnell etwas, beim e. V. ist das schon schwieriger. Die KGaA überstrahlt den Verein schon sehr, und der Herrenfußball überstrahlt alles andere. Einzelne Bereiche des e. V. muss man im Internet präsenter machen.

Lunow: Das gehört unter das Primat “selbstbewusste Größe”. Wir müssen auf der Homepage präsenter sein.

Was würden Sie sich denn wünschen?

Seidel: Die einzelnen Abteilungen sollten schneller auffindbar sein. Wir müssen die Möglichkeit haben, Botschaften zu senden. Das könnte dann auch für die AGs gelten. Wie das genau aussieht, müssen wir noch überlegen. Das muss aber aus dem Verein heraus kommen.

Lunow: Um den Vereinsgedanken zu stärken und alle Abteilungen zusammenzuführen, haben wir einen Workshop durchgeführt. Dort wollten wir schauen: Was können wir füreinander tun? Was erwartet ihr vom Vorstand?

Wenn man ganz ehrlich ist, ist das auch eine der Herausforderungen der Fanabteilung.


Dr. Reinhold Lunow (über das Werben neuer Ehrenamtlicher)

Durch Corona sind überall Ehrenamtliche weggebrochen. Ein positives Beispiel ist sicherlich die AG “Uns verbindet Borussia”, die eine wahnsinnige Leistung auch während der Pandemie vollbracht hat. Wie möchten Sie wieder auf die Leute zugehen?

Lunow: Wenn Sie die Wunschbaum-Aktion betrachten, da haben 80 Leute über 200 Stunden ehrenamtliche Arbeit geleistet. Die Bereitschaft ist durchaus noch da. Und durch die Strahlkraft des Fußballs bekommt man viele Leute ins Ehrenamt, die man ansonsten nicht erreichen würde. Wenn wir als BVB da zusammen etwas machen, dann klappt es häufig schon.

Seidel: Der Begriff “Familie” motiviert immer wieder. Das wird auch von vielen wirklich gelebt. Vielleicht müssen wir mehr für unsere Initiativen werben. Ich persönlich habe sie nicht sofort über das Internet gefunden.

Lunow: Wenn man ganz ehrlich ist, ist das auch eine der Herausforderungen der Fanabteilung. Sie ist in den letzten Jahren nicht so präsent gewesen, weil es einfach nicht ging. Da ist noch ein wahnsinniges Potential, Dinge auf den Weg zu bringen.

Wir würden gerne über den Grundwertekodex sprechen, den wir bereits ein paar Mal gestreift haben. Im Vorfeld der Abstimmung auf der Mitgliederversammlung gab es eine Informationsveranstaltung im Strobels, die bereits erwähnte Online-Befragung und schließlich die Veröffentlichung des Kodex-Wortlauts im Mitgliedermagazin. Über das Feedback der Mitglieder während dieses Prozesses hat man als Fan jedoch nichts mehr erfahren. Das war schade.

Lunow: In die Veröffentlichung im Mitgliedermagazin waren die Rückmeldungen der Mitglieder eingearbeitet. Man muss sagen, dass 95 Prozent der Teilnehmenden dem Text zugestimmt haben. Dann gab es noch einige Korrekturwünsche. Einige konntest du nicht gebrauchen, aber andere waren wichtige Eingaben. Dinge, die das Expertengremium nicht auf dem Schirm hatte, und auf die wir in diesem Zuge von einigen Leuten aufmerksam gemacht wurden. Wir haben uns dann zusammengesetzt und das eingefügt. Diesen Vorgang hätte man sicherlich etwas schöner darstellen können.

Der Grundwertekodex ist nicht für ewige Zeiten in Stein gemeißelt.


Dr. Reinhold Lunow

Das, was Sie uns nun erzählen, hätte man sich bereits vorher gewünscht. Stattdessen blieben wichtige Fragen offen: Wie war das Feedback? Was wurde damit gemacht? Wer hat das bewertet? Man hätte dem Prozess mehr Transparenz gewünscht.

Lunow: Ja, das stimmt. Wir waren so unter der eigenen Glocke und gleichzeitig so froh, dass der Grundwertekodex so gut angekommen ist, das haben wir sicher nicht perfekt gelöst. Am Schluss war das sicherlich auch dem Zeitdruck geschuldet.

Man muss aber auch sagen: Der Kodex ist nicht für ewige Zeiten in Stein gemeißelt. Wir können sehr stolz sein auf das, was wir jetzt haben. Wenn aber Lücken entdeckt werden oder die gesellschaftliche Entwicklung weitergeht, können wir den Kodex anpassen. Vieles von dem, was heute drinsteht, war vor fünf Jahren kein großes Thema. Wer weiß denn, was in fünf Jahren ist?

Bedarf es dann bei jeder Änderungen einer Satzungsänderung?

Lunow: Einer Satzungsänderung bedarf das nicht. Der Grundwertekodex ist nicht Teil der Satzung, aber gleichgestellt. Das war Teil der Diskussion. Er steht parallel zur Satzung, hat aber eine ähnliche Bedeutung. Und wenn ich gegen die Satzung verstoße, fliege ich raus.

Was braucht es dann formal für eine Änderung?

Lunow: Für eine Satzungsänderung müsste man fristgerecht einen Antrag stellen und eine Dreiviertel-Mehrheit finden. Beim Grundwertekodex ist das nicht notwendig. Jeder kann sich melden, beim Vorstand oder bei Jakob Scholz, und dann würden wir uns damit beschäftigen.

Wer würde denn die Entscheidung treffen? Die Grundwertekommission?

Lunow: Grundsätzlich entscheidet der Vorstand, die Grundwertekommission berät den Vorstand und macht einen Vorschlag.

Die Änderung würde dann aber final bei der Mitgliederversammlung abgestimmt werden?

Lunow: Genau. Dann würde bei der Mitgliederversammlung darüber abgestimmt werden. Vorher müsste fristgerecht darüber informiert werden.

Am Ende haben wir als e. V. den Hut auf. Wir können unseren Einfluss auf die Geschäftsführung immer geltend machen. Das ist ein Schwert, das schon sehr mächtig ist.


Dr. Reinhold Lunow

Auf der Mitgliederversammlung haben Sie ein Gutachten angekündigt. Das soll über den reinen Grundwertekodex hinausgehen. Worum soll es genau gehen?

Lunow: Es geht um die wichtigen Fragen: Wie ist die Beziehung zwischen KGaA und e. V.? Inwieweit gilt der Grundwertekodex auch für die KGaA?

Am Beispiel der Super League kann man das gut festmachen. Wie kann der e. V. bei einem Angebot zur Teilnahme des BVB an einer Super League einwirken, um das zu verhindern? Das ist ein komplexes rechtliches Gebilde, zu dem unter anderem das Aktiengesetz, Vereinsrecht und die Geschäftsführungs-GmbH gehören. Das alles auf ein rechtliches Fundament zu setzen, war in der Kürze der Zeit bisher nicht hinzubekommen. Das können Sie nicht einfach irgendeinem Anwalt geben. Das müssen schon Menschen machen, die spezialisiert sind und sich mit dem Thema intensiv beschäftigt haben. Wir sind aktuell in der Findungsphase, wen wir beauftragen. Das ist alles nicht einfach.

Es gab nach unseren Informationen schon im Vorfeld der Mitgliederversammlung jemanden, der sich damit beschäftigt hatte …

Lunow: Richtig. Nach Absprache mit der Fanabteilung hatten wir jemanden beauftragt. Der hat das auch gut gemacht. Aber am Ende ist es ein Unterschied, ob Sie eine rechtliche Beurteilung oder eine gutachterliche Stellungnahme haben, und die gutachterliche Stellungnahme war in der Kürze der Zeit nicht zu bekommen. Dann haben wir uns geeinigt, dass wir den Grundwertekodex bereits verabschieden und die gutachterliche Stellungnahme im Anschluss einholen.

Wie lange dauert so etwas?

Lunow: Ich bin kein Jurist, aber kenne Ähnliches aus der Medizin. Das kann dauern. Man darf jedoch nie vergessen: Am Ende haben wir als e. V. den Hut auf. Wir können unseren Einfluss auf die Geschäftsführung immer geltend machen. Das ist ein Schwert, das schon sehr mächtig ist.

Die Ansprüche der Aktionäre sind ein starkes Pfund.


Silke Seidel

In der Bundesliga gibt es viele AGs und GmbHs, das Konstrukt Borussia Dortmund sticht aber trotzdem hervor.

Lunow: Man kann viel über Herrn Niebaum sagen, aber Gesellschaftsrecht hat er beherrscht. Da war er absoluter Spezialist. Auch deswegen ist das BVB-Konstrukt ein so besonderes.

Seidel: Über allem bleibt natürlich das Aktienrecht. Die Ansprüche der Aktionäre sind ein starkes Pfund.

Lunow: Aber genau das muss man klären.

Sie meinen also die Rechte der Mitglieder auf der einen und die der Aktionäre auf der anderen Seite?

Seidel: Genau. Das ist abzuwägen und damit sehr schwierig. Das Aktienrecht ist in Deutschland ein starkes Recht. Das könnte die Kraft der Mitglieder brechen. So weit geht die Diskussion.

Lunow: Unsere Aufgabe ist es aber, die Mitglieder zu stärken.

Berücksichtigen muss man die andere Seite aber trotzdem?

Seidel: Egal, was man erreichen will, man muss die andere Seite mitdenken. Wir müssen die Risiken sehen, weil es zu Klagen kommen könnte. Dann hat man nichts erreicht.

Wobei ein Aktionär beim BVB um die Risiken seines Investments weiß. Er kennt die Gesellschaftsform und weiß, dass sich Hans-Joachim Watzke als Geschäftsführer seit Jahren für 50+1 und gegen die Super League ausspricht. Und schließlich sorgt der Grundwertekodex für mehr Transparenz mit Blick auf die Ziele des BVB. Da würde ein Aktionär doch nicht klagen, wenn Borussia Dortmund sich beispielsweise einer Super League verwehrt. Das hätte er vorher wissen können.

Lunow: Er würde sich, wenn er Geld ausschließlich gewinnorientiert und mit dem Wunsch der aktiven Einflussnahme anlegen möchte, normalerweise nicht Borussia Dortmund aussuchen angesichts unseres Konstrukts. Insofern sind wir sicherlich schon etwas geschützt.

Ich möchte gar nicht daran denken, dass 50+1 fällt.


Dr. Reinhold Lunow

Seidel: Es ist natürlich schwierig. Man kann in Deutschland nur vom BVB Aktien kaufen.

50+1 befindet sich gerade in der Diskussion zwischen Liga, Vereinen und Bundeskartellamt. Angenommen, 50+1 fällt: Würden Sie dann ins Risiko gehen?

Lunow: Fürchterlich. Ich möchte gar nicht daran denken. Das Gespenst ist schon seit Jahrzehnten unterwegs.

Das Bundeskartellamt hat durchblicken lassen, dass 50+1 grundsätzlich vorstellbar ist, nur die Ausnahmen für Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim ein Problem sind. Von BVB-Seite ist die Geschäftsführung der KGaA in den Verhandlungsprozess involviert, Hans-Joachim Watzke ist es darüber hinaus über die DFL. Wie ist denn der e. V. eingebunden?

Lunow: Aki kennt unsere Meinung, und die lässt er auch einfließen. Da habe ich vollstes Vertrauen. Er wird da nicht gegen unsere Haltung tätig sein. Wenn wir mit anderen Vereinen in der Bundesliga gesprochen haben, war die Mehrheit absolut für die 50+1. Da könnte eigentlich nur etwas passieren, wenn es gegen internationales Recht verstößt. Ich habe da etwas die Angst verloren, weil es die ganzen Jahre gut gegangen ist, und ich hoffe, dass es weiter gut gehen wird.

Reinhold Lunow und Silke Seide stehen während eines Fototermins am Spielfeldrand des Westfalenstadions, umarmen sich und lachen herzlich.
© BVB (Simoes)

Wir laufen auf eine schwierige Entscheidung zu. Die Interessenvertreter der drei Ausnahme-Vereine sind nicht ganz unwichtig. In Wolfsburg ist das mit VW ein großer Sponsor, der über den VfL hinaus sehr viel Einfluss hat. Da könnte es wehtun, wenn man sich nicht einig wird.

Lunow: Das ist eine Aufgabe für Leute, die gut einen Konsens finden können. Ich mag mir etwas anderes gar nicht ausmalen. Dafür tue ich alles.

Im Herbst haben schwere Missbrauchsvorwürfe die BVB-Handballabteilung erschüttert. In der Folge hat sich der Verein von Trainer André Fuhr getrennt. Wie ist der aktuelle Stand der Aufarbeitung?

Lunow: Es gibt schon Schutzkonzepte in verschiedenen Abteilungen. Diese wollen wir jetzt aktualisieren und im gesamten Verein implementieren. Das Thema psychische Gewalt war in den Schutzkonzepten nicht enthalten. Das wird in die neuen Konzepte eingebunden. Es wird unter anderem Schulungen für ausnahmslos alle Betreuer geben, außerdem eine externe, unabhängige Anlaufstelle. Da kooperieren wir mit “Anlauf gegen Gewalt” und dem Landessportbund. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, sondern arbeiten mit Menschen zusammen, die sich damit sehr gut auskennen. Das wird in der nächsten Zeit umgesetzt. Dazu wird es eine Informationsveranstaltung geben.

Seidel: In der KGaA gibt es eine neue Mitarbeiterin, die für den Bereich Compliance eingestellt wurde. Diese hat dieses System schon bei der KGaA eingeführt, und das wird nun auch im e. V. implementiert. Mit dem Betriebsrat wurde das bereits getestet und befindet sich gerade in der Umsetzung.

Man wird Betroffenen künftig also sowohl interne als auch externe Unterstützung anbieten können?

Seidel: Genau. Neben internen Ansprechpartnern wird es auch beim Deutschen Handballbund eine Anlaufstelle geben. So kann man sich auch an jemanden außerhalb des Vereins wenden.

Wir sind uns einig, dass es für die Handballabteilung weitere Unterstützung geben muss.


Silke Seidel

Rupert Thiele, der kommissarische Abteilungsleiter, hat im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten Ende vergangenen Jahres eine weitere Professionalisierung der Abteilung gefordert, unter anderem durch hauptamtliche Mitarbeitende. Zwischen den Zeilen wirkte es so, als würde er sein eigenes weiteres Wirken davon abhängig machen. Wie stehen Sie dazu?

Lunow: So, wie es rübergekommen ist, war es nicht gemeint. Wir sind mit ihm und der Abteilung im Gespräch.

Seidel: Vielleicht muss man das auch differenzieren. In der Online-Ausgabe waren die Headlines andere als in der Print-Ausgabe. In der Print-Ausgabe kam es deutlich rüber, dass das so nicht gemeint war.

Lunow: Wir haben auch die ersten Schritte eingeleitet, was eine Verbesserung der Strukturen, Personen etc. angeht. Wir versuchen all das zu ermöglichen, was geht.

Seidel: Wir sind uns einig, dass es weitere Unterstützung geben muss. Wir sind gerade auf der Suche, aber am Ende sind das Ehrenämter. Nicht alle können sich zu 100 Prozent einsetzen, das muss man berücksichtigen. Wir müssen die Strukturen hinterfragen, ob es so noch weitergeht.

Eine Ausgliederung der Handballabteilung würde im Moment keinen Sinn machen.


Dr. Reinhold Lunow

Erst recht, wenn man bedenkt, dass es sich um Profisport und internationalen Wettbewerb handelt. Wir haben aber herausgehört, dass Sie grundsätzlich bereit sind, den Handball beim BVB zu professionalisieren, auch mit hauptamtlichen Kräften?

Seidel: Ja.

Lunow: Na klar.

Ist vor dem Hintergrund des aktuellen Erfolgs der Handballerinnen auch eine Ausgliederung denkbar?

Lunow: Ich habe erlebt, wie die Abteilung von der KGaA 2009 in den e. V. zurückgekommen ist. Grund war damals, dass die Handballabteilung wie auch heute keinen Gewinn machen kann. Nur mit Sponsoren und Zuschauern ist das sehr schwierig. Daher würde das im Moment keinen Sinn machen.

Das ist schon eine Krux. In der KGaA soll man Gewinn machen, im e. V. muss man die Gemeinnützigkeit im Auge behalten.

Lunow: Ja, das stimmt, der e. V. muss die Gemeinnützigkeit im Auge behalten. Wir haben im vergangenen Jahr auf der Jahreshauptversammlung aber beschlossen, dass ein Teil der Mitgliedsbeiträge durch eine Umlage für die Finanzierung von Abteilungen, die nicht primär gemeinnützig sind, verwendet werden darf.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview haben wir kurz vor Weihnachten geführt.

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