Worauf es (jetzt) ankommt
Der BVB hat in Leipzig eine fast schon vernichtende Niederlage erfahren. Die Leistung war indiskutabel und schlicht schwach. Und, wie inzwischen gewohnt, griffen in den sozialen Medien die typischen Automatismen unserer „Fanschaft“. Ich bin es leid.
Bereit seit einigen Jahren beobachte ich mit Sorge die Wahrnehmung des BVB auf Social Media. Und dabei geht mir nicht um die Seiten des BVB selber, die inzwischen auch so austauschbar mit fast jeder Social-Media-Seite eines anderen Fußballvereins sind, dass man beliebig Spieler und Farben wechseln könnte und die Seite würde genauso für Bayern, Gladbach oder Mainz funktionieren.
Darum soll es nicht gehen. Ich rede hier von den Nutzenden, die aktiv den BVB insbesondere auf Twitter und Facebook verfolgen.
Nun ist es inzwischen gut erforscht und kein Geheimnis mehr, dass die Sozialen Medien voll auf Hass stehen. Für alle, die es noch nicht wissen: Die Algorithmen sind so programmiert, dass stark emotionale Posts eher gepusht werden, als rationalere Posts. Hass ist eine der stärksten Emotionen, die wir so haben, sodass diese Emotion besonders schnell viral geht und damit besonders präsent ist. Mehr Klicks = mehr Werbung = mehr Geld. Daher kriegen z.B. Wutbürger*innen viel mehr Aufmerksamkeit als beispielsweise vernünftige, faktenbasierte Nachrichten. So, jetzt sind wir medienkritisch auf einem Stand. Was hat das mit dem BVB zu tun?
Daraus ergibt sich, dass negative Kommentare rund um den BVB deutlich präsenter sind und uns öfter in die Timeline gespült werden. Das Problem haben anderen Fußballfans mit ihren Vereinen aber auch, also keine Besonderheit? Ist der digitale Hass, der sich bei schlechter Leistung auf die Mannschaft, einzelne Spieler oder den Trainer entlädt also „normal“? Leider nur bedingt.
Unsere „Fanschaft“ ist durch den Erfolg der Meisterjahre und die kleineren Erfolge der letzten Jahre naturgemäß angewachsen und das ist mindestens nicht zu verhindern und vielleicht sogar grundsätzlich erfreulich. Je nach Perspektive, die man einnimmt.
Diese Fans sind aber eher besonders aktive Social Media-Nutzer, gehen seltener in Stadion und haben die Krisenjahre nicht erlebt, sodass diese den Verein ganz anders wahrnehmen wird, als die „Kern-Fanschaft“ der rund 60.000 regelmäßigen Stadiongänger*innen, die zu einem Großteil auch die Zeit vor Klopp erlebt haben und die Erfahrung haben, dass Fußball einfach manchmal so ist wie er eben ist. Die Ansprüche der neuen Online-Fans liegen vielfach über denen der Stadion-Gänger*innen, sodass einzelne Niederlagen schnell zu einem Herbeireden von Untergangsszenarien führt. Durch deren starke Präsenz auf Social-Media liest man dann hauptsächlich von diesen Untergangsszenarien und empfindet diese Toxizität als „Hauptmeinung“ der BVB-Fanschaft. Und ich bin ehrlich, wenn ich angepisst von einer Niederlage aus dem Stadion gehe oder auf dem Sofa liege, lese ich auch mal gerne, dass andere auch angepisst sind oder poste sogar selber einen Wut-Tweet. Das ist ein bisschen wie ein Ventil und die Likes, die reinkommen geben einem noch einen kleinen Endorphin-Push.
Kurzfristig fühle ich mich besser, aber mittel- bis langfristig fühle ich mich dann doch miserabel, weil es den Anschein hat, dass alle sehen, dass der Verein nach dieser einen Niederlage nun wirklich den Bach runtergeht und alles hoffnungslos ist.
Ist natürlich Quatsch, aber wir, allen voran die Online-Fans, pushen uns alle gegenseitig in diese Richtung und bestärken uns in diesen Gefühlen. Permanent. Normalerweise verfliegt die erste Wut über eine Niederlage nach ein paar Stunden und man ordnet die Niederlage ruhig ein. Gegen Leipzig? Trainerwechsel-Effekt, viele Verletzte und ein noch nicht ganz so erfahrener Trainer sind Teile der Wahrheit, genauso wie der wirklich fehlende Einsatz. Aber man beruhigt sich nicht mehr. Man liest Twitter und verfällt in das sogenannte „Doom-Scrolling“, bei dem das Lesen schlechter Nachrichten in eine kurzfristige „Sucht“ ausartet. Man kann einfach nicht mehr aufhören.
Lasst uns damit aufhören. Ich spreche hiermit alle Fans an: Die Online-Fans, die Stadiongänger*innen und alles dazwischen. Alle Fans haben Ihre Berechtigung und keine Gruppe ist per se wichtiger als die andere. Doch wir, insbesondere die Online-Fans, erzeugen eine höchst toxische Atmosphäre und lasst uns ehrlich sein: Es überträgt sich auf die Stimmung im Stadion. Bei Rückständen sieht man schnell keine Hoffnung und verliert die Lust am Support. Das schadet am Ende allen! Die Stimmung im Stadion ist mies, die Leistung der Mannschaft wird auch nicht besser und keiner hat mehr Bock auf Borussia.
Ein wenig mehr Positivität und Optimismus tut sicher allen gut. Die Halbwertzeit einer Niederlage sollte für uns viel kürzer sein als die eines Sieges.
Ich sehe schon wieder die „ABER MEINE mEiNunGsFriHEiT“-Kommentare, daher betone ich hier nochmal, dass ich nicht verbieten möchte, dass die Mannschaft und der BVB kritisiert werden können. Sehr gerne lese ich sogar besonders humorvolle "Ausraster": Nach Leipzig schrieb jemand "Klassischer BVB mit Rose an der Seitenlinie." (aus dem Gedächtnis zitiert). Aber lasst das Handy nach Abpfiff mal eine Stunde weg und schreibt nicht eure ersten Emotionen in die sozialen Medien rein, auch wenn es verlockend ist. Einfach mal durchatmen, eine Runde um den Block gehen und Gefühle und Gedanken sortieren. Eine Niederlage, egal wie bitter und schlecht sie auch wahr, ist nicht das Ende des BVB und besonders in der aktuellen Situation, in der man den Mut hatte, einen Trainer mit 100%-iger Identifikation, aber wenig Erfahrung ran zu lassen, sind Geduld und Ruhe gefragt. Versucht euch immer wieder klar zumachen, dieser Terzic stand jahrelang selbst auf unserem Platz, starrte genauso auf den Ticker in seinem Handy.
Trotzdem schwierig, die Impulse unter Kontrolle zu halten, ich weiß, aber darauf kommt es besonders jetzt an. Man will immer sofort alles rauslassen und das kann man für sich selbst ja auch, aber auf Social Media ist der Kreis unverhältnismäßig groß und so ist letztlich niemandem geholfen. Am wenigsten dem BVB und damit uns selbst.