Wieder eine Kopfverletzung, wieder weitergemacht
Wieder eine Kopfverletzung, wieder weitergemacht... Meine Ansicht zu Bellinghams Knockout und dem Verhalten in der Folge.
Junge, Junge, ich habe Judes Knockout im ReLive gesehen... Da war mir in Vertretung schlecht. Ich habe mir auch mal den Kopf angeschlagen: mit Schwung unter die massive, geöffnete Schranktür. Mir wurde "nur" schwindelig, ich war nicht ohnmächtig. Und ich hab es ignoriert, weitergemacht. Ich war ungefähr in Judes Alter. Meine Eltern waren im Urlaub/kurz vor der Rückkehr, ich war alleine zu Hause und wollte noch das Bad putzen (der Wäscheschrank war's), die Betten neu beziehen, die Wäsche erledigen... Mir fehlte jemand, "für den ich hätte ausgewechselt werden können" und ich konnte offensichtlich nicht klar denken.
Ein paar Stunden später platzte mein Kopf vor Schmerzen und mir war speiübel, nichts ging mehr. Meine Verabredung am Abend hat mich nur noch direkt ins Krankenhaus gefahren. Schwere Schädelprellung nannte es die Notaufnahme, hat mir ein paar Tage Arbeitsunfähigkeit eingebracht. Von meinen Eltern gab es eine Standpauke: Für ein bisschen Klarschiff riskiert man nicht seine Gesundheit!
Jude wird sich von seiner Mutter vermutlich ebenfalls etwas angehört haben und vielleicht können die Nachbarn in Brackel bestätigen, dass Mama Bellingham am folgenden Morgen eine lautere Unterredung mit unserer medizinischen Abteilung hatte. Meine Eltern hätten selbst jedem Laien, der mich nicht ins Krankenhaus gebracht hätte, die Leviten gelesen! Und hier geht es um medizinisch gebildete Leute. Sich für diese Entscheidung ein paar deutliche Worte einzufangen, wäre mehr als berechtigt.Jude ist zwar nicht mein Sohn, aber jeder Spieler ist ein bisschen Familie und daher nehme auch ich es übel, dass man ihn zurück auf den Platz gelassen hat! Für 15 Minuten Fußball riskiert man nicht so viel. Arbeitgeber haben ihren Mitarbeitern gegenüber eine Fürsorgepflicht, schlagt das doch bitte mal nach, Borussia: Es geht hier nicht darum, einem 18jährigen seine Entscheidungsfähigkeit abzusprechen, sondern ihn notfalls vor sich selbst zu schützen. Bei Menschen mit (schweren) Kopfverletzungen schaltet sich oft der Instinkt/Autopilot ein, rationales Denken ist aus.
Was mich zum Spieler selbst bringt: Lieber Jude, bei allem Respekt, es ist ein verflucht schmaler Grad zwischen Aufopferung für Dein Team und mangelndem Vertrauen in Deine Mitspieler. Ich bin mir sicher, dass Du es unter normalen Umständen genauso bedacht hättest, dass Du weißt, dass Deine Teamkollegen den Extra-Meter für Dich gelaufen wären, aber das aufgrund des Knockout eben nicht so sehen konntest. Eigentlich würde ich Dir ein Gespräch mit Norbert Dickel empfehlen, um Dir klar zu machen, dass ein Spiel "das Team nicht im Stich lassen zu wollen" Deine Karriere beenden und Langzeitfolgen nach sich ziehen kann, die kaum abzuschätzen sind. Der "gute" Ausgang bei ihm, ist lediglich der Tatsache geschuldet, dass es nur sein Knie war, mit einem Hirnschaden sähe die Sache ganz anders aus. Leider kann ich Dir nicht zu dieser Unterhaltung raten, weil ausgerechnet Norbert Dickel, der es besser wissen MUSS, Deine Rückkehr auf den Platz im Netradio gefeiert hat. Aus der Erinnerung zitiert: "Wir werden morgen lesen, dass Jude mit einer Gehirnerschütterung gespielt hat. ... Das ist mein Junge." Es lässt mich fassungslos zurück...
Natürlich ist es in dem Moment selbst eine Ausnahmesituation für jeden, aber zumindest in der Folge, kann man sein Handeln überdenken und sinnvollerweise Aussagen revidieren, Nobby. Marco Rose erklärt auf der Pressekonferenz vor dem Auswärtsspiel in Köln, dass Bellingham auch am Freitag (!) noch getestet würde, um verantwortungsvoll zu handeln. So wie er sich vor seine Spieler stellt, stellt er sich auch vor sein medizinisches Team, indem er kritisiert, dass man sich "aus der Entfernung...mit Chips auf der Couch" ein Urteil anmaßt. Die Einstellung, jedem Teil des Teams den Rücken zu stärken, finde ich wirklich gut. Eventuelle interne Diskussionen gehören nicht auf eine Pressekonferenz, aber ich hoffe sehr, dass es diese Diskussionen gibt! In der selben Pressekonferenz wird die Frage gestellt, ob es nicht kritisch sei, frisch genesene Spieler zur Nationalmannschaft abzustellen. Der Stellenwert von Beinen und Köpfen ist noch lange nicht der gleiche, denn Jude Bellinghams Nominierung für die englische Nationalmannschaft wird nicht als Beispiel genommen.
Mir bleibt nur, alle Beteiligten - Spieler, Trainer, Staff, Kommentator*innen und Presse - zu bitten: Geht in Euch. Überdenkt Eure Einstellung. Es geht nicht, dass ein Weitermachen auch in der Zukunft noch positiv bewertet wird. Sprecht mit Expert*innen und bitte, Borussia, einigt Euch im Verein auf eine Linie und schreibt die fest, damit es keine Diskussionen gibt. Ihr müsst nicht auf ein Concussion Protokoll der Verbände warten, Ihr könnt das alleine. Mit mittlerweile fünf Wechseln sind die Möglichkeiten doch andere als es noch mit dreien der Fall war! Dann ist eben Borussia Dortmund der einzige Verein, spielt im Zweifel zu zehnt das Spiel zu Ende und riskiert nicht die Zukunft eines Spielers.