Unsa Senf

Wenn schon neu, dann richtig

26.05.2022, 10:12 Uhr von:  Sascha Nicolai
Umbau am Stadion. Man sieht Betonteile, einen Kran und einen Betonmischer. Eine Baustelle.

Neuer Trainer, neuer Mannschaft. Ein guter Ansatz, aber noch nicht genug gedacht. Borussia Dortmund hat viele Baustellen, auch neben dem Platz.

Bei Borussia wird gerade aufgeräumt – im großen Stil. Der über die Jahre hinweg immer inhomogener zusammengestellte Kader soll entrümpelt werden und weil man nicht davon überzeugt war, dass Trainer Marco Rose der richtige Übungsleiter für die neue Borussia sei, wurde er gleich mit vor die Tür gesetzt. Der Nachfolger ist ein alter Bekannter: Rose-Vorgänger, Pokalsiegertrainer und jetzt Ex-Technischer Direktor Edin Terzic. Von ihm erwartet man nicht nur einen sportlichen Aufschwung, sondern auch nicht weniger als eine erneute Emotionalisierung des Vereins, der einst Adrenalin und „Echte Liebe“ beschwor, in den letzten Jahren aber immer mehr in die Egalität des ewigen Vizes abrutschte. Guter Ansatz, aber leider absolut nicht weit genug gesprungen. Wenn man schon dabei ist, den BVB neu auszurichten, dann darf es sich nicht nur auf den rein sportlichen Bereich beziehen. Es geht um den Verein als Ganzes.

Die Mannschaft und die Fans

Zugegeben, ein schwierigeres Feld. Borussia Dortmund ist kein beschaulicher Zweitligaverein, bei dem die Spieler nachmittags gemütlich und unbehelligt in einem Straßencafé sitzen können, so dass man ein gewisses Maß an Distanz verstehen kann. Allerdings hat man es am Rheinlanddamm in den letzten Jahren immer intensiver vermieden, dass Fans in Kontakt zu den Spielern kommen können.

Zuallererst sind die da immer stärker zusammengestrichenen Zeiten des öffentlichen Trainings: War früher der „Trainingskiebitz“ ein feststehender Begriff im Fußball, sind die Gelegenheiten immer seltener geworden, der Mannschaft beim täglichen Training zuschauen zu können. Das ist natürlich dem Andrang geschuldet, der im Nachgang der Meisterschaft 2011 immer größer geworden ist – aber so etwas ließe sich regeln. Man könnte zum Beispiel mit einem Anmeldesystem den Zustrom regulieren und so Schulklassen und Privatpersonen einen kontrollierten, aber regelmäßigen Trainingsbesuch ermöglichen. Dabei hat jeder Verständnis, wenn es auch mal ein Geheimtraining sein soll, aber sein wir ehrlich: So überraschend war der Fußball unserer Borussia in den letzten Spielzeiten nicht, als dass man dafür den Großteil der Trainingszeit verwenden musste.

Die ganze Mannschaft steht in einer Reihe vor der Südtribüne und macht die Welle. Auch Trainer Rose und Co-Trainer Maric sind dabei. Manuel Akanji hat seine zwei Kinder dabei. Eins steht neben ihm, das andere ist auf seinem Arm
Die Welle mit den Fans - eine der wenigen Gelegenheiten zur Interaktion von Spielern und Fans

Es gibt viele Möglichkeiten, mit denen Fans und Spieler wieder näher zusammenwachsen können, statt gefühlt in parallelen Universen nebeneinanderher zu existieren. Die früher üblichen Besuche bei Fanclubs könnten zum Beispiel wieder deutlich stärker belebt werden. Sicherlich ist der Einsatz von Ex-Spielern im Rahmen der Fanbetreuung eine schöne Sache, aber viele Fans würden gerne mal ungezwungen und im lockeren Rahmen mit ihren Stars sprechen. Man kann wieder verstärkt Testspiele gegen regionale Gegner machen, mit dem Fanprojekt stärker zusammenarbeiten etc. Es gibt nahezu unendlich viele Berührungspunkte, wenn man sie denn suchen würde.

Auch der Verein ist gefragt, Fans mehr auf Augenhöhe zu begegnen. Es gibt über den Fanrat, die Fandelegiertenversammlung und nicht zuletzt die Fanabteilung beim BVB vermutlich mehr Schnittstellen als in vielen anderen Vereinen – allerdings muss das auch als Kommunikationskanal auf Augenhöhe verstanden werden, statt diese Institutionen in wirklich relevanten Fragen eher als Kommunikator bereits getroffener Entscheidung in die Fanschaft zu nutzen.

Vereinsgefühl

Es gab vor einigen Jahren den Versuch, den neu verpflichteten Spielern die Stadt Dortmund zu zeigen und ihnen zu verdeutlichen, dass Borussia Dortmund mehr ist als das Stadion, der Flughafen und eine am Reißbrett entworfene Uferpromenade am Phönixsee. Es ist eine Stadt mit Geschichte und vor allem die jüngere Geschichte ist eng mit Borussia Dortmund verbunden. Man muss nicht lange herumfahren, um auch abseits der Spieltage irgendjemanden zu sehen, der ein Trikot anhat, eine BVB-Mütze trägt oder sich beim Bäcker mit seinem Nebenmann über die neusten Neuigkeiten „beie Brussia“ unterhält. Man kann den Spielern ziemlich einfach zeigen, dass hier der Verein im Alltag der Menschen eine viel größere Rolle spielt, als in vielen anderen Vereinen. BVB ist nicht nur samstags 15.30 Uhr Stadion, sondern nahezu 24/7. Natürlich müssen sich die Spieler auch darauf einlassen, aber wenn sie es tun, kann man ihnen schon das Besondere an ihrem Arbeitgeber vermitteln.

Choreographie aus dem Spiel gegen Frankfurt. Die obere Hälfte der Süd hält rote Tafeln, die untere weiße hoch. In groß das Stadtwappen mit schwarzem Adler auf gelben Grund. Im unteren Bereich die Rheinoldikirche, der U-Turm und das Hafenamt
Die Stadt Dortmund und Borussia - untrennbar verbunden

Auch intern lässt sich vieles verbessern. Vor ein paar Jahren gab es in der Halbzeit eine Serie „Profis gegen jung“, bei denen verschiedene Aufgaben wie Ball hochhalten, Zielschießen etc. von Kickern aus der ersten Mannschaft und Steppkes aus den U-Mannschaften erfüllt wurden. Die Profis wurden im Training gefilmt, die Nachwuchskicker durften ihr Können auf dem Rasen präsentieren. Für die Fans war so etwas viel schöner als irgendwelche grenzdebilen Spielchen der Werbepartner, für die Vertreter der U-Mannschaften sicherlich eine tolle Sache und auch die erwachsenen Ballkünstler schienen ihren Spaß zu haben. Es wirkte rund, einheitlich – wie ein klassischer Verein. Und es ist schade, dass es bei einer einmaligen Auflage blieb.

Generell wäre es überlegenswert, wenn die Profis regelmäßig die U-Mannschaften besuchen, ihnen Tipps geben und einfach greifbarer sein würden. Sie sind die Vorbilder, denen die unteren Jahrgänge nacheifern. Der positive Nebeneffekt wäre, dass man so viel mehr „Vereinsgefühl“ entwickelt und am Ende vielleicht Profis hat, die nicht sofort am besten schon mit 18 Jahren „die nächste Stufe“ erreichen wollen und denen es am Ende egal ist, ob sie bei uns, den Blauen oder irgendeinem anderen Verein ihr Profidebüt geben.

Authentizität

Es ist noch nicht lange her, da war „echt“ das entscheidende Wort in der Kommunikation. Es musste alles echt sein und dann auch noch im positiven Sinne. Nun kann man dem Verein nicht vorwerfen, dass er auch eine Marketingstrategie verfolgt, aber dann auch bitte glaubwürdig und nachvollziehbar.

Vergangene Woche wurde beispielsweise Salih Özcan verpflichtet. Die Pressemitteilung zitierte den Spieler mit folgenden Worten:

Die Energie von Borussia Dortmund, die man förmlich spüren kann, plus die Möglichkeit, regelmäßig in der Champions League spielen zu können, haben mich letztlich zu meiner Entscheidung geführt.

Das einzige, was man hier förmlich spürt, ist, dass es sich hierbei um eine durch die PR-Abteilung konstruierte Aussage handelt. Niemand,wirklich niemand sagt so einen Stuss mit der Energie, wenn man dabei nicht eine vorbereitete Aussage von einem Zettel abliest.

Banner am Mittelstreifen der BVB "Eure Kritik ist angekommen - unsere Geduld ist am Ende". Die Schrift ist in schwarz, das Banner in gelb. Davor und daneben sieht man Bäume
In der Kommunikation mittlerweile mehr Missverständnisse als Verständnis

Das ist nur ein Beispiel für eine Außendarstellung des BVB in Interviews, oder via Social Media, die nicht einmal mehr ansatzweise echt wirkt, sondern einfach nur nach Plastik müffelt. Handwerklich mag das allem entsprechen, was marketingmäßig so angesagt ist und sicherlich überlegen sich da einige PR-Fachleute in der Geschäftsstelle, wie man den „Content“ möglichst viral an den Consumer bringt – mit einer authentischen und sympathischen Außendarstellung hat das allerdings weniger zu tun. Wenn der BVB echt wirken möchte und nicht wie ein zweitklassiger Staubsaugervertreter, muss einfach viel öfter dargestellt werden, was wirklich ist und nicht wie es gemäß eines Crashkurses für Werbefachleute sein sollte.

Identifikation ist ein viel bemühtes Wort im Fußball. Man kann sich aber nur mit echten Personen identifizieren und nicht mit Pappaufstellern. Selbst dann nicht, wenn sie ein schwarzgelbes Trikot tragen. Das gilt genauso für alle, die am Rheinlanddamm die Außendarstellung vom BVB im Wesentlichen mitprägen. Das Gefühl der Authentizität ist in vielen Bereichen verloren gegangen und einem Businessansatz gewichen, der auf viele Fans vor allem teflonartig bzw. austauschbar wirkt.

Es gibt sicherlich noch viele Maßnahmen und Stellschrauben, mit denen der BVB sich wieder neu als „greifbarer“ Verein aufstellen kann. Am Ende führt das zu einem Ziel, dem wir jetzt schon seit 2014 hinterherlaufen, ohne ihm näher zu kommen: der Emanzipation von Jürgen Klopp. Die Zeit mit ihm war großartig und nichts soll seine Verdienste um den BVB schmälern, aber es war auch in einem hohen Maße ungesund, wie sich der Wertekern und seine Vermittlung auf eine einzige Person konzentriert haben. Dieses Vakuum konnte niemand füllen und zukünftige Versuche werden auch weiterhin scheitern. Es geht nur, wenn das Borussia-Gefühl wieder personenunabhängig von vielen Schultern getragen wird. Dafür müssen aber auch wieder alle das Gefühl bekommen, ein Teil von Borussia zu sein.

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