Wenn Polizisten zu Tätern werden
... haben viele den Reflex, die Schuld bei den Opfern zu suchen. Das ist gefährlich und verstärkt das Problem.
Fußballspiele werden von einem Großaufgebot der Polizei begleitet. Auch wenn es sicherlich einzelne Fans bzw. Gruppierungen geben mag, die sich in der Vergangenheit um eine besondere Beobachtung beworben haben, darf man schon die Frage nach der Verhältnismäßigkeit bei der Masse an überwiegend friedlichen Fans stellen: Stichwort Wasserwerfer, oder wenn selbst bei Spielen ohne Konfliktpotenzial eine übertriebene Polizeipräsenz aufgefahren wird.
Man muss nicht so tun, als würden sich Fußballfans nie danebenbenehmen. Man muss aber auch nicht so tun, als würden bei der Polizei nur feine Menschen in Uniform rumlaufen. Leider gibt es Fehlverhalten auf beiden Seiten. Keinem ist an dieser Stelle mit Pauschalisierungen geholfen.
Dennoch spielen auch jene Polizist:innen eine zentrale Rolle, die tatenlos zusehen, wenn ihre Kolleg:innen im Schutze der Uniform gewalttätig werden. Denn wer Täter:innen schützt, macht sich mitverantwortlich.
Polizeigewalt beim Hamburger Derby
Und so kam es jüngst im Rahmen des Hamburger Stadtderbys am Freitag zu erschreckenden Szenen noch vor Spielbeginn außerhalb des Stadions. Auf einem Video, das schnell in den sozialen Netzwerken kursierte, sieht man mehrere Fußballfans am Boden liegend. Ein Mann rückt dabei besonders in den Fokus: er liegt bäuchlings auf dem Asphalt, zwei Beamte drücken ihn zu Boden, er ist sichtbar wehrlos und versucht teils seinen Kopf mit seinen Händen zu schützen. Einer der Polizisten in voller Montur schlägt mit dem Ellbogen auf den Hinterkopf des Mannes und boxt ihm mehrfach in die Nierengegend. Es liegt sichtbar keine Notwehrhandlung vor, denn von dem am Boden Liegenden geht keinerlei Gefahr aus.
Zum Glück – muss man leider sagen – wurde das Ganze auf Video festgehalten. Denn viel zu oft kommen Polizist:innen, die ihre Überlegenheit in solchen Situationen missbrauchen und gewalttätig werden, ungeschoren davon. Obwohl vielfach gefordert, gibt es nach wie vor keine unabhängige Aufklärungsstelle, an die sich Opfer von Polizeigewalt wenden können. Polizist:innen ermitteln (wenn überhaupt) gegen Polizist:innen. Eine Hand wäscht die andere – Korpsgeist lässt grüßen. Zudem gibt es keine bundesweit geltende Kennzeichnungspflicht. Diese würde die Anonymität, mit der Beamt:innen gerade in einem Großaufgebot agieren, senken und die Transparenz stärken.
Man darf gespannt sein, wie dieser Fall nun seitens der Behörden aufgearbeitet wird. Denn eines ist klar: Das Video zeigt unverhältnismäßige Gewalt durch einen Polizisten gegenüber einem wehrlosen Bürger. Das Vertrauen in eine umfassende Aufklärung dürfte jedoch gerade in der Fußballfanszene, die sowas bundesweit Spieltag um Spieltag beobachten kann, stark getrübt sein.
„Ja, aber…!“
Erschreckend ist jedoch nicht nur das Verhalten von Polizist:innen, die ihre Kolleg:innen gewähren lassen, sondern auch die Reaktionen in den sozialen Netzwerken. Wer sich gegen Polizeigewalt positioniert, wird nicht selten mit Aussagen konfrontiert, die so oder so ähnlich lauten:
„Was war denn vorher? Das Video zeigt ja nur einen Ausschnitt! Wahrscheinlich hat derjenige es verdient, sonst würde der Polizist nicht so handeln.“
Wer so argumentiert, hat das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit nicht verstanden. Selbst wenn (Konjunktiv!) der attackierte Fußballfan sich im Vorfeld gewalttätig verhalten haben sollte, ist dies zwar zweifellos zu verurteilen, aber dennoch: er liegt wehrlos am Boden. Es ist die Aufgabe der Polizei, denjenigen in einem solchen Fall zu verhaften. Anschließend kann der Festgenommene einen Anwalt hinzuziehen und vor ein Gericht gestellt werden. Das Gericht entscheidet dann wiederum über die Schuldfähigkeit und legt ggf. ein Strafmaß fest. Das hat kein:e Polizist:in unmittelbar vor Ort zu entscheiden und auch eine Prügelstrafe gibt es in Deutschland zum Glück nicht. Es gibt also keinerlei Rechtfertigung für die Tat des Polizisten in dem vorliegenden Video.
Wer jedoch die Schuld beim Opfer sucht, entzieht dem uniformierten Täter die Verantwortung. Das ist gefährlich – nicht nur für Fußballfans, sondern auch für alle anderen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, die in Kontakt mit der Polizei kommen*. Einer Polizei, deren Beamt:innen wiederholt die Erfahrung machen, dass sie für Fehlverhalten im Amt (um es mal vorsichtig auszudrücken) nicht belangt werden und somit tun können, was sie wollen.
*nein, dafür braucht man selbst nicht gewalttätig oder kriminell werden
Das Ermüdende an Diskussionen rund um Polizeieinsätze ist leider, dass viele nicht verstehen, dass Kritik an der Polizei nicht gleichzusetzen ist mit der Rechtfertigung möglicher Taten im Vorfeld. Man kann auch Kriminalität und Gewalt verurteilen und gleichzeitig das Verhalten der Polizei kritisch hinterfragen. Das scheint für viele Menschen in der aktuellen Diskussionskultur jedoch unvorstellbar.
Gerne wird mit „mangelndem Respekt“ argumentiert. Dabei könnte die Polizei sehr viel Respekt und Vertrauen gewinnen, indem sie entschieden gegen Straf- und Gewalttäter:innen in den eigenen Reihen vorgeht und sie nicht durch Korpsgeist schützt.
Eine gute Zusammenfassung sowie einen Augenzeugenbericht zu den Vorfällen beim Hamburger Derby lest ihr beim St. Pauli-Blog MillernTon.
„Es ist selten, dass ich in solche Situationen gerate, wie die erlebte. Es ist selten, dass ich das Gefühl habe, dass die Situation auch für mich, obwohl komplett unbeteiligt, gefährlich ist. Das war so eine Situation.“