Unsa Senf

"Sitzen ist für den Arsch"

07.09.2022, 12:48 Uhr von:  DocKay
Blick auf die Südtribüne. Die Choreo zeigt einen Schädel und en BVB  Emblem mit der Unterschrift "Bis in den Tod"

Die Geschichte liefert immer wieder Überraschungen, an die wir uns in der Neuzeit erinnern sollten. Vor 30 Jahren beschloss man im Westfalenstadion die Sitzplatzkapazität zu erhöhen, um höhere Einnahmen zu generieren.

Schon damals gab es eine bundesweite Fan-Bewegung, die gegen die Sitzplatzstrategie Front machte. Der damalige BVB-Präsident Dr. Gerd Niebaum sah im Umbau des Westfalenstadions die Chance, durch die Erhöhung der Sitzplatzkapazität dem allgemeinen Trend zu folgen und die Stehplätze zu reduzieren. Die Stadt Dortmund war auf seiner Seite und stellte die Finanzierung sicher. Man wollte die Arena Westfalenstadion als Imagefaktor weiter nutzen, gleichzeitig aber den finanziellen Rahmen erweitern.

Bei allen Überlegungen spielte natürlich auch die Hillsborough-Katastrophe eine Rolle. Eine der größten Katastrophen in der Geschichte des Fußballs mit 97 Toten und 766 Verletzten im Halbfinalspiel um den FA Cup zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest. Sie hatte als Konsequenz, dass schwere Fehler der Polizei dazu führten, in der 1. und 2. Liga des britischen Fußballs die Stehtribünen abzuschaffen. Im Sheffielder Stadion war die Stehtribüne Leppings Lane im April 1989 hoffnungslos überfüllt und die Zäune machten eine Flucht unmöglich. Dieses Ereignis fiel mit dem 15-jährigen Bestehen des Tempels zusammen. Kein Wunder, dass es zu diesem Zeitpunkt nicht von Erfolg gekrönt war, diesem Vorhaben zu widersprechen.

Eins, zwei, drei im Sauseschritt eilt die Zeit-wir eilen mit.


Wilhelm Busch

Mit Beginn der neuen Champions-League-Saison erlaubt die UEFA wieder Stehplätze im europäischen Klubwettbewerb. Für den BVB ist dies sicher ein großer Vorteil, die Gelbe Wand wird natürlich das schwarzgelbe Team wie in der Liga uneingeschränkt unterstützen. Aber woher kommt der plötzliche Sinneswandel der UEFA?

Natürlich ist mit den Jahren der Sicherheitsstandard in den europäischen Arenen angepasst worden. Aber ist dies der einzige Grund? Die Stimmung im Westfalenstadion lebt von den Fans und die Südtribüne spielt dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Das Event Fußball kann nicht allein durch Fußballtouristen gestaltet werden. Ob finanzielle Überlegungen eine Rolle spielen, bleibt abzuwarten, ist aber wahrscheinlich. Aber die Vermarktung der „Ware Fußball“ ist vielleicht auf diesem Wege besser. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass man diesen Schritt für die Fans gegangen ist, die man sonst, wo immer es geht, mit Füßen tritt.

Aber auch der Fußball hat sich in Zeiten von Corona verändert, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen. Und er wird sich noch mehr verändern. Von Seiten des BVB hat man alles versucht, frühzeitig eine faire Lösung zu finden. Inhaber von Stehplatzkarten ohne Option konnten von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen und die Option ziehen, einen Stehplatz bei internationalen Spielen zu ergattern. Aber siehe da, viele haben das Angebot nicht angenommen. Die Gründe werden vielfältiger Natur sein. Aber auch wenn manche es anders sehen wollen, sicher spielt die aktuelle Situation eine Rolle. Der Euro sitzt nicht mehr so locker in der Tasche wie vielleicht vor der Energiekrise. Beurteilen können dies nur diejenigen, denen das Wasser oder das Gas wirklich bis zum Hals steht. Der BVB sollte sich darüber nicht wundern, sondern vielmehr darüber nachdenken, eine Balance zwischen Preisen und der Belastung seiner Stadiongänger zu finden. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, weit weg von Enttäuschungen und fehlendem Verständnis.

Freuen wir uns über ein volles Haus bei den bevorstehenden internationalen Aufgaben. Vergessen wir aber nicht, dass es vielleicht auch anders kommt. Gründe dafür gibt es genug. Hoffen wir, dass die Entscheidung der UEFA von ehrlichen Gedanken geprägt ist. Ich persönlich habe da meine Zweifel. Auf jeden Fall dürfen wir Hillsborough nicht vergessen. Wenn ich mir meine letzten Besuche im Tempel anschaue, erinnere ich mich an manchmal überforderte Ordnungsdienste. Gemäß dem Motto "Sitzen ist für den Arsch" begrüßen wir als Fans natürlich die Entscheidung der UEFA und die Rückkehr der Stehplatzränge, für ein Jahr auf Probe allerdings. Bei internationalen Spielen in europäischen Stadien bleibt aber unabhängig davon die Forderung: Sicherheit vor Zuschauerkapazität! Wir alle können dazu beitragen, dass dies gewährleistet wird und bei uns das Fußballerlebnis auf der Südtribüne zum Fest wird.

Blick auf die Nordtribüne mit dänischen Fans und roter Pyrotechnik
Von konrollierter Pyrotechnik konnte man im dänischen Lager auf der Nordtribüne nicht immer sprechen

Ein berauschendes Fußballfestfest war es dann auch am vergangenen Dienstag gegen den FC Kopenhagen vor 70.700 Zuschauern. Erstmals seit 1998 waren wieder Stehplätze zugelassen und die volle Südtribüne gab alles und sah ein verdientes 3:0 gegen die „hanseatischen Dänen“. Es war ein neuer Zuschauerrekord für internationale Begegnungen auf europäischer Ebene im Westfalenstadion. Der 06.09.2022 hat auf jeden Fall dazu beigetragen, die UEFA zu motivieren, es nicht bei einer einjährigen Testphase zu belassen. Stehplätze gehören zur Fußballkultur genauso wie kontrollierte Pyrotechnik. Freuen wir uns auf den zweiten Akt im internationalen Theater gegen den FC Sevilla.

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