Unsa Senf

Rosige Zeiten ohne Verletzungen?

11.04.2022, 07:51 Uhr von:  DocKay
Wir sehen Marco Rose gehend beim Spiel gegen Köln. Er wirkt nachdenklich, hält die rechte Hand leicht unterhalb des Herzens
Marco Rose ist in seiner Situation nicht zu beneiden. Als Cheftrainer trägt er allerdings die Gesamtverantwortung für den Spielbetrieb.

Seit langer Zeit beobachten wir die Situation beim BVB aus sportmedizinischer und sportwissenschaftlicher Sicht. Eine Thematik, die viele Fragen unbeantwortet lässt.

Volker und ich bewegen uns seit Jahren im Spitzensport und in der sportmedizinischen Betreuung von Bundesligavereinen und Nationalmannschaften. Auch wenn eine Beurteilung aus der Distanz manchmal schwierig erscheint, gibt es doch Fakten, die Anlass dazu geben, die Situation beim BVB zu hinterfragen.

Blicken wir auf die vergangene Saison zurück, so wiederholen sich beim BVB die Spielerverletzungen, und das nicht zum ersten Mal. Unser Trainer ist immer wieder gezwungen Veränderungen in der Mannschaft vorzunehmen. Auf der anderen Seite trifft er mit seinem Team Entscheidungen im Trainingsverlauf der Saison, die nicht immer nachvollzogen werden können.

Bellingham kniet mit seinem Gegenspieler auf dem Rasen in entgegengesetzter Richtung. Der Ball liegt vor ihnen.
Bellingham gibt in jeder Situation das Maximale und ist als junger Spieler bereits ein Vorbild.

Grundsätzlich muss etwas zu der medizinischen Betreuung eines Spitzenclubs im Sport gesagt werden. Eigentlich sitzt man als Sportmediziner immer zwischen zwei Stühlen. Man ist dem Spieler gegenüber verantwortlich und muss seine Entscheidungen im Hinblick auf seine Gesundheit treffen. Dies ist aus ethischen Gründen vorrangig. Auf der anderen Seite sieht man sich dem Druck des Vereins und dem Trainer gegenüber. Dieser möchte natürlich mit den besten Spielern seines Teams den maximalen Erfolg erzielen. Hinzu kommt auch die Unberechenbarkeit des Spielers. Verschiedene Spielertypen erfordern unterschiedliche Entscheidungen. Auf der einen Seite gibt es den Spieler, der in sich geht und vielleicht zu vorsichtig mit Verletzungen umgeht. Auf der anderen Seite haben wir die Spieler, die Verletzungen eher bagatellisieren. Der Spieler entscheidet für sich, wieder spielen zu wollen, oft entgegen dem ärztlichen Rat. Wir erleben dies immer wieder insbesondere bei Kopfverletzungen von Spielern. In diesem Zusammenhang darf der Spieler nie selbst entscheiden, ob er wieder spielen kann. Diese Entscheidung trifft einzig und allein der Mannschaftsarzt und diesem muss so viel Respekt entgegengebracht werden, dass ein neutraler Beobachter vollkommen überflüssig wird.

In den vielen Jahren meiner sportmedizinischen Betreuung von Spitzensportlern ist mir ein weiteres Phänomen aufgefallen. Durch die Veränderung der Weiterbildungsordnung in Richtung Orthopädie und Unfallchirurgie sind klassische orthopädisch-sportmedizinische Krankheitsbilder auf der Strecke geblieben. So ist es mir unverständlich, dass Mannschaftsärzte gelegentlich massenhaft Spezialisten hinzuziehen, um eine Diagnose bei einem verletzten Spieler zu stellen. So kompliziert ist die Sporttraumatologie nicht. Dies zeigt meines Erachtens vielmehr die Schwächen des Mannschaftsarztes. Dieser muss sich auch mit einem Medizintourismus seiner Spieler auseinandersetzen. Oft werden hinter seinem Rücken angebliche Spezialisten aufgesucht, die sich gerne im Rampenlicht sehen und schnell einmal Diagnosen aus "Klugscheißerei" über den Haufen werfen, ohne der Sache dienlich zu sein. Manchmal glaubt man in diesem Zusammenhang, dass im Süden und in der Schweiz eine bessere Sportmedizin betrieben wird als bei uns. Dies ist vollkommen absurd. Die klassischen sportmedizinischen Verletzungsmuster wurden durch Sportorthopäden dieses Landes beschrieben. Man hat sie meines Erachtens über die Jahre einfach vergessen. Wenn man sich an sie erinnert, wird man plötzlich zum Spezialisten. Gelegentlich führt die Verletzungsdauer auch dazu, dass die Zeit die Wunden heilt und man einfach zum richtigen Zeitpunkt der behandelnde Arzt ist. Auch diese Erfahrung habe ich schon gemacht!

Marius Wolf steht wieder nach medizinischer Behandlung. Neben ihm Haaland und der medizinische Stuff
Auch Marius Wolf hat die Kurve bekommen und durch Kampfkraft überzeugt.

Einer meiner früheren Lehrmeister hat einmal gesagt:

Nur wenn du die Sportart analysierst und die Belastungsformen im Training und Wettkampf kennst, ist es dir möglich, die Verletzungsmuster frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden


Prof. Dr. Schneider

Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Immer wieder musste ich feststellen, dass es für Übungsleiter, Athletiktrainer und den ganzen Staff leicht ist, gesunde Spieler zu trainieren. Alle aber haben ein Problem damit, den verletzten Spieler wieder an die Belastungsgrenze heranzuführen. Und auch dies ist beim BVB immer wieder ein Kern des globalen Versagens. Ich möchte hier keine Namen nennen, aber ihr wisst selbst, welche Spieler immer wieder von Verletzungen betroffen waren und sind. Hier liegt meiner Meinung nach ein erhebliches Verbesserungspotential im gesamten Umfeld des Spielers. Ich persönlich kann mich an hochrangige Bundesligatrainer erinnern, die mich gebeten haben das Rehabilitationstraining des verletzten Spielers aktiv zu begleiten, um erneute Verletzungen zu vermeiden.

Auf dem Boden liegt Reyna umgeben von seinen Mitspielern
Reyna klebt die Verletzungsseuche an den Füßen. Ein Beispiel, das hinterfragt werden muss.

Insgesamt finde ich, liegt das Hauptproblem aus der Sicht von Volker und mir im Vorbereitungsprogramm auf die Saison, aber auch bei Entscheidungen der Belastungssteuerung im Saisonverlauf. Klar kommen jetzt wieder die üblichen Argumente mit Belastungssituation, Kürze der Vorbereitungszeit etc. Diese Probleme haben aber andere Clubs auch und die führen nicht die Tabelle der langen Verletztenliste in der Bundesliga an. An diesem Punkt sind wir definitiv Spitze und uneinholbar!

Dabei sind mir die Worte des Trainers Marco Rose in der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen den VfB Stuttgart in Erinnerung:

Du musst bereit sein, Wege zu gehen, Attacken nach vorne zu setzen und zu kämpfen. Du musst bereit sein, immer wieder zu sprinten und die Geschwindigkeit nach vorne und nach hinten zu suchen und das über 90 Minuten


Marco Rose

Und das kannst du nur mit einer entsprechenden Vorbereitung und dem Willen, dein Bestes zu geben, und das bis zur letzten Minute. Das erreichst du nicht, wenn du in Coronazeiten Videos postest, wie du mit einem Softball im Wohnzimmer kickst. Wenn du diese Form der Belastung und des Kampfes annimmst, dir jeden Tag den „Arsch aufreißt“, dann brauchst du nicht so viele Mediziner, die dir helfen müssen, vielmehr Mediziner, die dich bremsen. Und wenn die dann noch mit niedrigem „Salär“ mittrainieren, relativiert sich das Ganze auch noch.


Manuel Akanji wird am Boden sitzend behandelt. Reus schaut zu
Und immer wieder grüßt das Murmeltier

Liebe Borussen, egal in welcher Verantwortung ihr auf oder neben dem grünen Rasen steht, ihr müsst alle aus eurer Komfortzone herauskommen. Hoffentlich bleiben einige Komfortspieler am Ende dieser Saison auf der Strecke und wir jubeln über die, die sich für unseren BVB den „Arsch aufreißen“. Die "Schönspielerei" muss endlich ein Ende haben. Dann wird auch ein Ende der Verletztenmisere eintreten.

Mein Dank geht natürlich an Prof. Dr. Volker Höltke für die immer wieder fruchtbaren Flurgespräche. Die Kombination aus Orthopädie, Sportmedizin und Sportwissenschaft ist eine perfekte Basis zur gemeinsamen Analyse. Die aktuelle Situation beim BVB ist mit unserem schwarzgelben Herzen nicht immer leicht zu ertragen.

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