Gianni Infantino ganz unten
FIFA-Präsident Gianni Infantino kämpft um eine WM alle zwei Jahre. Diesmal vor dem Europarat in Straßburg. Die Argumentationsweise ist dabei selbst für seine Verhältnisse mit "schäbig" noch gnädig umschrieben.
Es gab mal eine Zeit, da fand ich Gianni Infantino ganz symphatisch. Da war er allerdings noch nicht oberster Herrscher im Weltfußballverband, sondern moderierte die Verlosung zur Champions League. Ich wusste damals nicht, wer oder was dieser Mann mit dem sympathischen Lächeln und der Kojakfrisur (beim Schreiben deprimiert mich der Gedanke, wie viele Menschen wohl jetzt den Namen „Kojak“ erst googlen müssen) war und wie er zu dieser Aufgabe kam. Vielleicht hat er das Glücksrad im Schweizer Fernsehen moderiert, oder war die eidgenössische Ausgabe des Melitta-Manns. Auf jeden Fall wirkte er wie jemand, den man mögen konnte. Und dann wurde er FIFA-Präsident und ich lernte ihn kennen.
Das Lächeln entpuppte sich als Haifischgrinsen und der Glücksradmoderator als jemand, der für genug Geld seine Oma als Arbeitssklave auf eine katarische Großbaustelle verhökern würde. Nein, so plump ist Infantino natürlich nicht. Er würde eine Beteiligungsgesellschaft gründen, 90 % der Firmenanteile an die katarische Herrscherfamilie verkaufen, sich selbst als Geschäftsführer einsetzen und Oma im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung bei 50 Grad und ohne Lohn Steine für Fußballstadien schleppen lassen.
Aber egal wie tief man die moralische Messlatte bei ihm ansetzt, er schafft es immer noch, im Limbostil darunter her zu flutschen. So durfte er in Straßburg vor dem Europarat über seine Pläne, die WM zukünftig alle zwei Jahre stattfinden zu lassen, referieren. Dabei fing es erst recht unverfänglich an:
Wir sehen, dass Fußball sich in eine Richtung entwickelt, wo wenige alles haben und die Mehrheit hat nichts. In Europa findet die WM zwei Mal pro Woche statt, weil die besten Spieler in Europa spielen."
Nun gut, Fans unserer blauen Nachbarn werden sich zwar eher zur Mehrheit zählen, aber unterm Strich hat er ja Recht. Das meiste Geld mit Fußball wird in Europa verdi… ähm, hier wird der beste Fußball gespielt. Danach drehte er aber das ganz große Rad der Weltpolitik:
Wir müssen den Afrikanern Hoffnung geben, dass sie nicht über das Mittelmeer kommen müssen, um hier vielleicht ein besseres Leben führen zu können. Wir müssen ihnen Möglichkeiten und Würde geben"
Hat er da in diesem Rahmen wirklich die Situation der Flüchtlinge ins Spiel gebracht? Uff, da muss man sich erst einmal setzen und das noch einmal lesen. Indem wir die WM alle zwei Jahre stattfinden lassen, können Afrikaner ein besseres Leben führen. In letzter Konsequenz ertrinken die Menschen also nicht in Schlauchbooten auf dem Mittelmeer, weil sie vor Armut, Hunger und Verfolgung fliehen, sondern weil sie Messi, Ronaldo, Mbáppe und Co. spielen sehen wollen. Wenn die nicht zu den Afrikanern kommen, oder zumindest nicht so oft, dann müssen die Afrikaner eben zu denen. Und mit dieser Erkenntnis wird dann auch klar, warum so viele Flüchtlinge in Belarus über die Grenze nach Polen wollen. Habt ihr schon mal ein Spiel der belarussischen Liga gesehen? Maximal Oberliganiveau.
Selbst wenn man eine äußerst wohlwollende Lesart ansetzt, nach der er eigentlich meint, dass dadurch mehr Geld für die afrikanischen Verbände übrig bleibt, ist das immer noch eine Aussage, bei der einem Frühstück, Mittag- und Abendessen hochkommen. Und zwar gleich das der letzten drei Tage. Das Geld versickert auf privaten Konten und Infantino kann sich bei den nächsten Verbandswahlen wieder etlicher Stimmen sicher sein. So geht Pushback.
Und wenn dann Wut und Zynismus abgekühlt sind, kann man sich zwei Fragen stellen: Ist Infantino wirklich schon so tief gesunken, dass er Leid und Tod instrumentalisiert, um seine TV-Rechte an den Emir zu bringen? Und warum hat man ihm beim Europarat nicht umgehend das Mikrofon abgestellt und ihn mit einem Tritt in den Allerwertesten zur Tür hinausbefördert?
Letzteres empfiehlt sich bei Infantino sowieso. Zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit.