Spielbericht Profis

Derbysieg - Zwischen "17 Jahr, Derby-Star" und "für Marco"

18.09.2022, 20:33 Uhr von:  Nina T.
Die Mannschaft vor der Südtribüne

Ein bittersüßer Derbytag mit einem großartigen Fan-Marsch, voller Hütte und den emotionalsten Höhepunkten zum Abschluss: Wer vorne im Stau im Auto sitzen wollte, darf sich richtig ärgern.

Am Derby-Morgen war an eine Nahrungsaufnahme nicht zu denken. Derbys sind mein Bungee Jumping. Die Übelkeit, Nervosität und die Angst vorm Fallen…

Um 11:00 Uhr begann die Versammlung auf dem Alten Markt. Eine Stunde später war der Platz rappelvoll. Zwei Jahre Corona haben wohl viele Dortmunder vergessen lassen… Ich wurde oft angesprochen, was denn los sei, wann denn das Spiel wäre, gegen wen wir spielen würden? Man hätte es dem "Scheiß S04", das immer wieder über den Platz wehte, entnehmen können - aber zumindest bei mir waren die Rückmeldungen durchweg positiv! Uns wurde viel Glück gewünscht, dass das Wetter hält und niemand beschwerte sich über das Gedränge.

Auf geht’s

Südtribüne mit Schals
Geschlossenes Bild vor Anpfiff

Um ca. 12:30 Uhr kam Bewegung in die Menge: Der Slalom Lauf zum Stadion begann. Es ging an der Volksbank und der Deutschen Bank vorbei zur Kleppingstraße - für einen Fan-Marsch vergleichsweise im Jogging Tempo - und von dort aus nach rechts auf den Wall zur Hohen Straße. Hier gab es den ersten größeren Stopp mit Gesängen und eine großartige Mitmach-Quote. Weiter ging es über die Hohe Straße und zum Vincke Platz, meine Nervosität bekam ich nun langsam in den Griff, die Vorfreude gewann Oberhand. Es machte einfach großen Spaß, bei Gesängen, mit Rauchtöpfen und Fackeln gemeinsam zu laufen. Auf der Lindemannstraße wurde dann klar, dass das schon ein massiver Marsch war: Vom Stopp der Spitze unter der B1 Brücke bekam man weiter hinten nichts mit. Aber ein bisschen wie am Fließband, gab jeder Teil des Fan-Marschs einmal ordentlich Gas unter dieser Brücke. "Das war schon mal laut." Allerdings! Die Aussichten für unsere Performance im Stadion waren vielversprechend. Die Baustellen auf der Strobelallee zerstückelten dann leider den ankommenden Marsch, aber so lief vermutlich der Einlass wesentlich flüssiger.

Im Stadion

Ich verpasste meine Verabredung unter der Südtribüne, möglicherweise hatte der Rauch beim Fan-Marsch meine Verbindung zum Satelliten gekappt. Eine Stunde vor Spielbeginn nahm ich also mit ausreichend Getränken und endlich ein wenig zu essen meinen Platz im Block ein. Der übliche Austausch war jedoch angespannter als vor anderen Spielen, beim Derby ist halt - unabhängig von Tabellenpositionen oder Kaderqualität - immer die Rasierklinge Dance floor. Die Gefahr zu überdrehen ist groß, Jude Bellingham sagte im Feiertagsmagazin "Beat the opposition, not the occasion.". Sich nicht vom Anlass überwältigen lassen, sondern sich nur auf den Gegner konzentrieren: In den letzten Derbys vor Corona gelang uns das nicht immer, entsprechend lauerten diese Erinnerungen in unseren Hinterköpfen.

Beim Warmmachen ging die Stimmung schon gut hoch. Zum "You'll Never Walk Alone" versuchte der eigenartig besetzte Gästeblock (erst nach 15 Minuten rückten dort noch einige schwarze Hoodies nach) dazwischen zu funken, durch die Performance aller Tribünen, jedoch erfolglos. Auch die Aufstellung hatte gut Wumms! Wir waren bereit.

Anpfiff

Pyroshow auf der Südtribüne
Pyroshow auf der Südtribüne

Die Choreo zu Spielbeginn bestand aus Fackeln und Rauchtöpfen, vorwiegend gelb. Den Fotos zufolge sah das mega aus, weiter oben auf der Tribüne, bekamen wir jedoch eine Idee, was man in einem Sandsturm noch so sieht. Aber auch am Derbytag gilt natürlich: Für die gute Sicht sind wir nicht da! Also blieben wir trotzdem laut.

Als die Sicht sich aufgeklärt hatte, sahen wir eine dominante Borussia, die selten wirklich zwingend wurde, aber die Blauen auch kaum über die Mittellinie oder in den eigenen Strafraum kommen ließ. Spannend wurde es in der 19. Minute, als Alex Meyer gegen Larsson raus kommen musste und der Schwede zu Fall kam. Letztlich gab es keine Berührung und Larsson war beim Zuspiel im Abseits. Man hat ja trotzdem immer Sorge, dass der Kölner Keller einen etwas anderen Blick auf die Dinge hat… Viel Lärm um nichts. In der 20. Minute kassierte van den Berg die erste gelbe Karte des Spiels für ein Foul an Donny Malen. Die Ränge bewiesen gutes Fingerspitzengefühl und feuerten an, ohne zu übertreiben, aber auch ohne dem, bis auf Fackeln und ein Nordkurve-Banner, seltsam farblosen Gästeblock eine Chance zu lassen. In der 28. Minute vertrat sich Marco Reus im Zweikampf mit Flick und signalisierte sofort, Hilfe zu benötigen. Kollektiver Herzstillstand. Ich war in diesem Moment auf dem Weg zur Toilette und wir hörten bange die "Marco Reus"-Sprechchöre, als die Auswechslung von Marco für Gio Reyna über die Stadionlautsprecher kam, fluchten wir alle laut. Unseren Kapitän, in seiner brillanten Form, nach einer halben Stunde im Derby zu verlieren, war eine Katastrophe! Nach der Schrecksekunde lautete die Parole jedoch sofort: Also jetzt "für Marco!".

Jetzt erst recht

Marco Reus wird vom Feld getragen
Bitter: Marco Reus musste früh raus

Ich verpasste die Sternstunde des Gästeblocks, der Marco Reus auf der Trage mit höhnischem "Auf Wiedersehen" verabschiedete… Leute, Leute, ein Rest Anstand wäre angebracht gewesen.

Die Mannschaft hatte sich wohl ebenfalls die Parole "für Marco" auf die Fahne geschrieben und erarbeitete sich in der 33. Minute die beste Chance bisher, einen Kopfball von Jude Bellingham nach Vorlage von Donny Malen. Wir erhöhten den Druck in der Viertelstunde vor der Halbzeit wieder deutlich, mit Chancen von Gio Reyna, Marius Wolf und Tony Modeste. Beide Stürmer bekamen noch gelbe Karten, Terodde in der 39. und Anthony Modeste in der 45.+3 Spielminute.

Nach der Pause

Jude Bellingham im Zweikampf
Jude Bellingham im Zweikampf

Unsere Borussia kam fokussiert und ohne Wechsel aus der Halbzeit: In der 46. Minute spielte sich Donny Malen gleich durch mehrere Blaue, allein der Abschluss war wenig platziert und konnte von Schwolow geklärt werden. Nach 50 Spielminuten bekamen die Blauen den Ball nicht weg, sodass Jude Bellingham aus fünf Metern zum Schuss kam, den Yoshida noch soeben blocken konnte. Ein blauer Entlastungsangriff endete in der 53. Minute mit einem Foul von Terodde an Mats Hummels. Viel kam nicht von den Blauen, zumindest ich hatte früh das Gefühl, man beschränke sich hauptsächlich auf das Halten des 0:0 - komischer Ansatz für ein Derby, zeigt aber auch, welchen Schaden die letzten Jahre bei unseren Rivalen angerichtet haben. In der 56. Spielminute versuchte es Thomas Meunier aus der Distanz, traf den Ball aber nicht richtig, sodass sein Abschluss einige Meter am Tor vorbei ging. Der erneut extrem fleißige, aber glücklose Tony Modeste schrammte in der 57. Minute an einer zweiten gelben Karte vorbei, als er Schwolow anlief, der jedoch schon den Ball nach vorne geschlagen hatte, bevor Tony ihn abräumte. Eine Minute später wechselten die Blauen doppelt, es kamen Polter und Karaman für Terodde und Larsson - früher kannte man die Spieler des Rivalen irgendwie besser. Nach einer halben Stunde kamen wir zu einer großartigen Gelegenheit durch den ebenfalls äußerst engagierten Julian Brandt. Der Abschluss von Gio Reyna konnte jedoch leider von Mohr ins Toraus geklärt werden.

Der erste ernsthafte Torschuss der Blauen: Nach 62 Spielminuten kam Karaman aus 14 Metern sehr frei zum Abschluss, aber Nico Schlotterbeck blockte erfolgreich.

Schluss mit lustig

Doni Malen im Zweikampf
Doni Malen im Zweikampf

In der 64. Spielminute wechselte Edin Terzic Youssoufa Moukoko für Tony Modeste und Karim Adeyemi für Donny Malen ein. Ich weiß nicht, warum, aber in dem Moment dachte ich mir: “So, Freunde, das war’s jetzt. Schluss mit lustig.” Und fühlte mich 60 Sekunden später direkt bestätigt, als Thomas Meunier - nebenbei: Auch nicht schlecht, welches Programm er nach zwei Tagen Pause nach Manchester schon wieder abspulte - Youssoufa steil schickte und der aus spitzem Winkel nur knapp an Schwolow scheiterte. Das Visier war nun offen und das übertrug sich auch auf die Tribünen: Niemand musste mehr großartig zum Mitmachen animiert werden. Dadurch ergaben sich zwar Räume für die Blauen, die sie aber nicht recht zu nutzen wussten. Bei uns hingegen fehlte weiter die letzte saubere Aktion. In der 76. Minute wechselten die Blauen Bülter für Kral ein, es ging allerdings weiter nur darum, ob die Defensive hält: Bei einem dieser ausgesprochen gründlich vorbereiteten Abschläge von Schwolow zeigte dann auch Schiedsrichter Felix Brych mal auf seine Uhr.

Derbyheld

Komplettes Ausrasten auf der Südtribüne nach dem 1:0
Komplettes Ausrasten auf der Südtribüne nach dem 1:0

In der 79. Spielminute platzte das Westfalenstadion! Es gab keinerlei artikulierten Jubel, nur Brüllen, wir haben sogar das “J” vor dem “Aaaahaaa” vergessen. Wir haben uns beim Abklatschen die Handgelenke verstaucht, es musste einfach so viel raus!

Nach einer wunderschönen Flanke von Marius Wolf sprang Youssoufa Moukoko im Fünfmeterraum höher als Yoshida und Mohr und köpfte den Ball über die Linie. Wir führten. Endlich. So hoch verdient. 1:0.

Das dreimalige Ausrufen des Torschützen war in der Situation absolut angebracht und wurde mit jedem Mal lauter! Was für ein Moment… Es hielt niemanden mehr.

Gerade fertig mit dem Feiern, fiel in der 81. Minute fast das 2:0! Gio Reynas klasse Abschluss aus 15 Metern ging nur knapp am Tor vorbei, touchierte sogar noch den Pfosten. Die Blauen wechselten in der 81. Minute noch Zalazar für Krauß ein, vermutlich taktisch, um das Ergebnis zu halten.

Alle zusammen

Derbyheld Moukoko wird von seinen Teamkollegen geherzt
Derbyheld Moukoko wird von seinen Teamkollegen geherzt

Für die letzten Minuten war allen klar, dass die Jungs nach dem kräftezehrenden Mittwoch unsere Unterstützung brauchten. Die Tribünen gingen bei jeder Aktion voll mit!

Karim Adeyemi bekam in der 83. Minute eine gelbe Karte für ein taktisches Foul an Zalazar, der sich noch mit Karim anlegen wollte. Der Block, der am nächsten war, sprang geschlossen von den Sitzen auf und schüttelte wütend die Fäuste.

In der 84. Spielminute wechselten wir Emre Can für Julian Brandt und Thorgan Hazard für Gio Reyna ein. Emre stellte sich mit seiner ersten Aktion, in der 85. Minute, direkt mit einer gelben Karte vor. Den Mann hatten wir wohl schon beim Warmmachen ordentlich auf Betriebstemperatur gebracht.

Wir hielten zusammen die Blauen von unserem Tor weg, es war richtig toll anzusehen und natürlich stach auch Jude Bellingham immer wieder dabei hervor - offensichtlich liegen ihm auch Derbys vor ausverkauftem Haus.

Es wurden 3+1 Minuten Nachspielzeit angezeigt und beinahe wäre Yousouffa zum doppelten Derbyhelden geworden: Nach einer Ecke stieg er wieder höher als alle anderen, bekam aber dieses Mal nicht genug Druck hinter den Ball. Ich wusste gar nicht, dass unser Kleiner so ein Kopfball-Monster ist!

Die letzten drei Minuten des Spiels spielte unsere Mannschaft ausgesprochen abgezockt herunter, wir hatten so viel Ruhe im Spiel, dass uns auf den Rängen der Abpfiff erst mit Verzögerung auffiel.

Dafür dann aber umso lauter: Geschafft! Derbysieger!

Nachspiel emotional

Die Mannschaft steht vor der Südtribüne
Eine gelöste Mannschaft nach Abpfiff

Unsere Mannschaft wurde mit lautem Applaus und Jubelrufen vor der Südtribüne begrüßt. Aber zunächst ging ein Gruß raus an Marco Reus, flächendeckende Sprechchöre mit dem typischen, rhythmischen Klatschen und den hochgereckten Armen, in die auch die Mannschaft einstimmte. Das war sehr schön zu sehen! Noch ein lautes “Dortmunder Jungs” oben drauf! Mein neuer Kumpel, das kleine Guerreirochen, war auch wieder da: Mit Papa, Geschwistern und anderen Kindern von der Tribüne gekommen, da wird definitiv keiner Schalker, so, wie da ausgelassen gehüpft wurde! Natürlich waren auch alle “Derbysieger, Derbysieger! Hey, Hey!” und wir alle “lieben Borussia Dortmund”. Nicht zu vergessen, “Die Nummer eins im Pott sind wir!” und natürlich die Sieger-Welle.

Hach, schön war’s…

Aber auch noch nicht vorbei: Unsere Mannschaft winkte auch dem Gästeblock freundlich bei der anschließenden Ehrenrunde. Und Edin Terzic lief an der Mittellinie entlang über den Platz, was laute “Komm! Komm!”-Rufe auslöste. Er holte mit Sebastian Geppert wenigstens einen seiner Co-Trainer dazu und beide hatten sichtlich Spaß an “ihrer” Welle und einem eigenen “Dortmunder Jungs”.

Wer zu diesem Zeitpunkt das Stadion schon verlassen hatte, tut mir ehrlich leid.

Es war der perfekte Abschluss für diesen (beinahe) wunderbaren Derbytag!

Gute Besserung, Marco Reus!

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