Spielbericht Profis

99 (?) Fackeln auf der Südtribüne

08.09.2022, 09:25 Uhr von:  Nina T.
99 (?) Fackeln auf der Südtribüne

Borussia Dortmund startet in die internationale Saison. Aber nix grandiose CL-Nacht, eher so After Work Party. Unser Rundum-Bericht zum Champions League Heimspiel gegen den FC Kopenhagen.

Nach 25 Jahren, durfte die Südtribüne zum ersten Mal in dieser Größe international ganz legal Stehtribüne sein… Endlich nicht mehr über Sitze stolpern! Allein die Vorfreude meiner Schienbeine war riesengroß. Endlich volle Kapazität, endlich mal mit allen! Mein Fan-Herz überschlug sich bei dem Ausblick. Dazu ein Gegner, der die Bezeichnung auch verdient, mit dem klar ist: Wir werden uns keine Auszeit beim Support nehmen können. Die Handflächen werden brennen, die Stimme wird weg sein und vielleicht kommt sogar Muskelkater dazu. Ich hatte BOCK.

Anreise spezial

Choreografie im Gästeblock

Wermutstropfen 1: Anstoß um 18:45 Uhr, Anreise mit Feierabendverkehr und natürlich geschickte Planung des Fan-Marschs des Gegners. Wann fällt denn mal auf, dass die Ruhrallee-Route die B54 und die B1 blockiert und überdurchschnittlich viele Fans bei der Anreise behindert? Und natürlich die Herausforderung, sich - als Uninteressierte*r - aus dem Trubel, um die Fanfreundschaften herauszuhalten. (Zwischen Fans von Borussia Dortmund und Brøndby IF - daher auch die Brøndby-Flagge auf der Südtribüne - besteht eine tiefe Fanfreundschaft und das “Schalke” zu Bröndby ist eben unser Gegner FC Kopenhagen, der eine Fanfreundschaft zum Hamburger SV pflegt, wie auch die große HSV-Flagge belegte.)

Wir haben uns also noch eine Stunde früher als üblich auf den Weg gemacht, damit wir glatt durchkommen. Von der Sperrung des Knotenpunkts B1 und B54 haben wir noch die Vorbereitungen gesehen, die Fußwege waren bereits voller als sonst und natürlich galt es die traditionellen Polizeiketten auf dem Vorplatz und der Strobelallee zu umwandern. Trotzdem waren wir selbst aber entspannt um ungefähr 17:00 auf der Tribüne.

Vorspiel

Schalparade auf der Südtribüne

Mama zeigte sich gerade noch begeistert: "DAS ist doch mal ein Gästeblock, nicht sowas wie am Freitag.” Auch zu diesem frühen Zeitpunkt war dieser schon ordentlich gefüllt und gut was los.

Wermutstropfen 2: Da ging es allerdings auch schon zügig rund, nagelt mich bitte nicht auf die Reihenfolge fest, ich schreibe leider erst gute 24 Stunden später und kann nicht mehr mit Sicherheit sagen, wer angefangen hat: Aus dem Gästeblock flogen jedenfalls mehrfach Feuerwerkskörper auf die Osttribüne und in Richtung unserer Spieler bei der Platzbegehung. Die anwesende Polizei drohte mit Blocksturm, zog sich dann jedoch wieder zurück. Eine oder mehrere unserer Fangruppen agierten oder reagierten zunächst von der Seite der Westtribüne und attackierten den Gästeblock in kleineren Gruppen ebenfalls mit Feuerwerkskörpern. Diese Aktion wurde durch das Eingreifen der Polizei beendet und man floh über die Westtribüne. Die zweite Runde unserer Fans diente dann immerhin der “Verteidigung” Unbeteiligter. Es steht zu vermuten, dass der Gästeblock in dem Moment sowohl die Fans der Osttribüne als auch unsere Spieler mit Leuchtraketen beschoss. Man startete von der Südtribüne und attackierte von unterhalb der Osttribüne. Einige Gäste überwanden auch die Zäune Richtung Ost. Natürlich schritten die Polizeikräfte zügig ein und verschlossen im Nachgang mit einer Kette aus Beamt*innen den Durchgang zwischen Ost- und Südtribüne. Bei einer Gelegenheit schimpfte jemand lautstark auf Dänisch über die Stadionlautsprecher. In der Folge wurde den Blöcken in direkter Nachbarschaft zum Gästeblock zunächst freigestellt, in den Oberrang auf der Nordtribüne zu wechseln, später wurden sie angewiesen. Wahrscheinlich hatten nicht allzu viele von sich aus Lust, Ihre hervorragenden, teuren Plätze gegen den sicheren Oberrang zu tauschen. Nicht ganz unverständlich, finde ich, waren sie doch nun absolut schuldlos. Man muss nicht nachvollziehen können, warum diese Attacken zwischen “verfeindeten” Fanszenen so wichtig sind - mir persönlich verschließt sich zum Beispiel auch, warum man sich im sportlichen Wettkampf beim Boxen etc. professionell die Fresse vor Publikum poliert - was aber klar sein sollte: Lasst die, die damit nichts am Hut haben, die einfach nur für Ihre Mannschaft da sein und ein Spiel sehen wollen, da raus!

Marco Reus gegen Carlos Zeca

Stadionsprecher war an diesem Tag übrigens Danny Fritz, da - Wermutstropfen 3 - Norbert Dickel sich bei einem Unfall verletzte und stationär im Krankenhaus behandelt werden muss. (Anm.: Nobby hat sich bereits per Instagramm gemeldet und erklärt, es gehe ihm den Umständen entsprechend gut und man würde sich hervorragend um ihn kümmern.) Von Herzen gute Besserung, Nobby! Achte erstmal auf Dich, Danny hat Dich sehr gut vertreten, auch wenn er sich zur Mannschaftsaufstellung nicht vor die Süd getraut hat.

Aufstellung

Alexander Meyer startete im Tor für Gregor Kobel, der sich für einen traditionellen Muskelfaserriss “entschieden hatte” und nicht für die neuerdings so angesagte Schulterverletzung, und wurde auch gleich mal mit Greg verwechselt. Schnell wechselten die Sprechchöre zu "Alex Meyer". Nicht ganz zu Unrecht: Auch er war eine absolut würdige Vertretung. Herzlichen Glückwunsch zum Königsklassen-Debüt!

Niklas Süle und Nico Schlotterbeck, ebenfalls “Herzlichen Glückwunsch!”, spielten in der Innenverteidigung, Mats Hummels bekam eine Pause.

Als Außenverteidiger starteten ein engagierter Thomas Meunier und ein glänzend aufgelegter Raphael Guerreiro.

Auf der Doppelsechs waren Jude Bellingham und Salih Özcan, noch ein CL-Debütant - das neueste Dreamteam.

Davor startete die Dreierreihe aus Julian “on fire” Brandt, Kapitiän Marco “Mr. 1:0” Reus und Thorgan Hazard, der leider an diesem Abend für die frühe, verletzungsbedingte Auswechslung zuständig war. Gute Besserung, Toto!

Im Sturm Anthony Modeste - einfach beeindruckend, was er noch so alles kann, außer Tore schießen! Auch ihm herzlichen Glückwunsch zum Champions League Debüt.

Korrekt, wir starteten mit vier Spielern, die noch nie in der Königsklasse gespielt hatten.

Marco Reus bejubelt den wichtigen Führungstreffer

Das YNWA und die Mannschaftsaufstellung zeigten dann, welchen Unterschied die volle Kapazität der einen und motivierte Besetzung der anderen Tribünen so ausmacht. Der Stimmung hatten die Vorfälle jedenfalls, wenn überhaupt, kaum Abbruch getan. Die Namen kamen laut. Eigentlich keine Steigerung möglich, trotzdem war der Höhepunkt dabei - kein Wermutstropfen! - die Einblendung von Sebastién Haller auf der Tribüne: Eruption aller Tribünen.

Die erste Halbzeit

Kopenhagen begann auf den Rängen mit einer blauweißen Choreo aus Plastiksäcken, einem großen Banner und vielen Fackeln. Geht ja nix über viel Plastik bei schwülen 26°. Immerhin motivierte das ihre Mannschaft, die in der allerersten Minute mit einem Distanzschuss abschloss, der nur knapp am Kasten von Alex Meyer vorbei ging. Eingeschüchtert waren unsere Gäste also leider nicht.

In der 09. Minute dann die erste dicke Chance aus zehn Metern für unseren BVB, leider traf Tony den Ball nicht perfekt. Es war aber unser Startschuss für mehr Spielkontrolle! Wir erarbeiteten uns Chancen und klärten souverän am eigenen Strafraum.

Der Gästeblock zündelte weiter und erkundigte sich mit einem Banner: "Traut ihr euch heute?”.

In der 21. Minute kam, wie oben angekündigt, Gio Reyna - eigentlich viel zu früh - für den verletzten Toto Hazard. Ich nehme es vorweg, er hielt die 70 Minuten hervorragend durch. Nach 27 Minuten gab es die erste gelbe Karte für Kopenhagen, als Khocholava unseren Tony umgrätschte. Eine Minute später versuchte es Salih mit einem Schuss aus der zweiten Reihe, auch der ging nur knapp am Tor vorbei. Es folgten eine Reihe von Beinahe-Chancen.

Rapha Guerreiro bejubelt das 2:0

Aber in der 35. Minute schlug Mr. 1:0 zu! Eingeleitet wurde der Treffer von Niklas, vorbereitet von Julian, vollendet aus elf Metern von Marco. Das "REUS'' knallte wie ein Kanonendonner durchs Stadion! Nun hatten wir die Partie im Griff und beinahe wäre auch noch Mr. 2:0 aus unserem Kapitän geworden. Aber Raphael eroberte am gegnerischen Strafraum in der 42. Minute den Ball, setzte Gio in Szene, der ihn zum 2:0 bediente! Traumhaft gespielt. Nach einer Minute Nachspielzeit ging es in die Pause.

45-Minuten-Fazit: Die Borussen auf dem Platz und auf den Rängen waren absolut großartig aufgelegt!

Die zweite Halbzeit

…begann mit…99 (?) Fackeln auf der Südtribüne. Über die erste Viertelstunde kann ich also zumindest zum Geschehen auf dem Platz und im Gästeblock leider nichts berichten. Die Luft stand und der Rauch zog nur langsam ab. Naja, für die gute Sicht ist schließlich niemand von uns da - vor dem Fernseher sähen wir alle besser. Und die Fotos sind einfach phänomenal! Trotzdem kann man nicht darüber hinwegsehen, dass es andere Fans einschränken könnte: Vielleicht wäre es nur fair, ihnen eine Chance zu geben, sich in der Zeit unter der Tribüne aufzuhalten, bevor z.B. der Rauch, die Lichter irgendwas auslösen…? Man darf sich auch einfach so unwohl damit fühlen und der Großteil dürfte eher dankbar als ungehalten sein, wenn man vorher wüsste, dass man sich mit der Pipi- oder Kiosk-Pause Zeit lassen kann.

Es war wohl die bislang größte Pyroshow auf der Südtribüne

Die Tribüne blieb dennoch laut, ob es das Bremen-Trauma war oder schlicht der Flow, keine Ahnung, aber man wollte das dritte Tor herbei schreien. Noch im Nebel wechselte unser Gegner in der 60. Minute: Haraldsson kam für Daramy. Eine Minute später flankte Lerager Jude Bellingham um und bekam dafür eine gelbe Karte. In der 65. Minute wechselte Edin Terzic doppelt, ein wohlverdienter Feierabend für Salih Özcan und Tony Modeste, dem ich so sehr ein Tor vor der Süd gegönnt hätte. Dann halt im Derby, Tony!

In der 67. Minute kochte das Stadion mal kurz über: Der misslungene Einwurf von Raphael landete zwar im Rücken von Gio, aber ebenso das Knie von Diks in Gios Wade. Warum der Schiedsrichter nicht auf Freistoß entschied, beliebt sein Geheimnis. Keine Ahnung wann genau, aber der Gästeblock hatte auch in der zweiten Halbzeit noch ein hübsches Banner “Anti Dietmar Hopp (konnte ich nicht lesen) Jan Bech”. Die Kritik sollte sein, dass wir Herrn Hopp als Clubbesitzer in der Bundesliga unter 50+1 nicht akzeptieren, aber Brøndby in Freundschaft verbunden sind, die ebenfalls einen Besitzer haben. Die Antwort kann ich euch geben: Ich kann zwar nicht für unsere Ultras sprechen, aber ich wäre sofort bereit, die Hoffenheimer in ihrem Kampf um ihren Verein, für 50+1 und gegen den Besitzer zu unterstützen… Falls sie sich je dazu entscheiden sollten.

Torjubel zum 3:0 in Block Drölf

Immer wieder brannten einzelne Fackeln sowohl auf der Nord- als auch auf der Süd, zwischenzeitlich wechselte unser Gegner Sörensen für Zeca ein, während das Spiel ein bisschen vor sich hin plätscherte. Bitte nicht negativ verstehen, das war schon ziemlich clever gespielt von unseren Jungs! Man bemühte sich zwar weiter und war dabei dann zu umständlich, 76. Minute, ließ aber im Gegenzug nichts anbrennen, als Kopenhagen Angriffsversuche startete. In der 80. Minute verpassten wir dann das 3:0, bei einem tollen Angriff über Marco und Youssoufa, der aber leider den besser postierten Julian Brandt übersah - Absicht möchte ich ihm nicht unterstellen.

Es folgte ein Doppelwechsel des Gegners, mit Jelert und Boilesen für Diks und Khocholava in der 81. Minute. In der 82. Minute fiel endlich das hochverdiente 3:0 durch Jude Bellingham, vorbereitet von Gio Reyna! Es gab immer wieder “Jude! Jude!”-Rufe, er machte auch schlicht ein großartiges Spiel. Aber das “Bellingham!” nach dem Tor inkludierte alle Chancen, die er zuletzt hatte liegen lassen. Sein Synchron-Jubel mit Nico Schlotterbeck hatte Poster-Potential!

In der 86. Minute wurde Marco Reus unter ohrenbetäubenden Standing Ovations für Marius Wolf ausgewechselt und übergab die Kapitänsbinde an Jude Bellingham. Noch ein besonderer Moment! Danach hat sich, glaub ich, niemand im Stadion wieder hingesetzt. Überhaupt war es wunderbar leicht, die anderen Tribünen von ihren Sitzen zu holen an diesem Abend. Sag ihnen bloß niemand, dass das mit den Stehplätzen international eigentlich nur für die Stehtribünen gilt! Ich will das beim nächsten Mal wieder. Zeitgleich hatte auch Raphael Guerreiro Feierabend, für ihn kam Tom Rothe zu seinem Champions League Debüt. Herzlichen Glückwunsch, Tom!

Während wir uns kurz vor dem Ende schon geschlossen auf das Derby einstimmten, dachten unsere Gäste, sie wären noch zu ihrem Tor durch Falk gekommen, schossen eine Leuchtrakete auf die Westtribüne - klar, im Osten war ja niemand mehr - und zündeten Fackeln an. Aber die halbautomatische Abseits-Erkennung hatte etwas dagegen! Es blieb beim Zu-Null.

Zu früh gefreut...

Nach drei Minuten Nachspielzeit war der Auftaktsieg gelungen und die Stimmung völlig enthusiastisch und laut.

Den kleinsten Guerreiro schreckte das allerdings überhaupt nicht ab! Er (?) war zusammen mit anderen Spieler-Kindern zum Feiern auf den Rasen gebracht worden und lief fröhlich alleine auf die Süd zu, klatschte ausgelassen mit. Alles klar, Guerreirochen, wir freuen uns auf Deine Verstärkung in ein paar Jahren!

Abschließend wurde mit allen zusammen euphorisch erst “Europapokal - Borussia Dortmund international” gefeiert und natürlich noch um ein “Wer nicht hüpft, der ist ein…” zur Einstimmung auf das nächste Heimspiel erweitert, sowie mit der Welle abgeschlossen. Wir schwammen alle in unseren Endorphinen und es hätte das schönste Ende sein können…

Die dritte Halbzeit

Trotz Polizei-Begleitung der Gästefans kam es wohl an den Parkplätzen an der Ardeystraße beinahe zu einem Aufeinandertreffen der Fanszenen, das die Polizei, nach eigenen Angaben, nur mit Schlagstöcken und Reizgas verhindern konnte. Die abreisenden Fans von der Hohen Straße wurden über die Strobelallee umgeleitet. Immer wieder starteten Mannschaftswagen mit Blaulicht Richtung Ardeystraße.

Ich kenne keine Details, möchte aber in jedem Fall allen, die planen nach Kopenhagen zu fahren, dringend raten, entsprechend vorsichtig zu sein. Auch dort wird es heikel werden, insbesondere wegen des Nadelöhrs bei der Anreise: Zwischen Hamburg und Dänemark gibt es nicht gerade viel Auswahl an Strecken, um dem Hamburger Support aus dem Weg zu gehen.

Nachspiel

Es wurden bisher 44 Strafanzeigen durch die Polizei gestellt, darunter Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, Körperverletzung und Landfriedensbruch. Die Auswertung des Bildmaterials steht noch aus.

Unterstütze uns mit steady

Weitere Artikel