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"Alles Geben" mit Neven Subotic

21.06.2022, 15:37 Uhr von:  Tim K christian
"Alles Geben" mit Neven Subotic

In Dortmund hat Neven Subotic mit seiner Lesung zu seinem Buch "Alles geben" ein Heimspiel. Dabei nimmt er die Anwesenden mit auf eine berührende Reise durch seine Biographie.

Schon eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung bildet sich eine lange Schlange vor den Türen des FZW. Es sind einige Trikots mit der Nummer 4 zu sehen, dem alten Trikot von Neven Subotic. Die Lesung im FZW ist ausverkauft, trotz des relativ hohen Ticketpreis.

Neven Subotic in Dortmund - Es ist ein Heimspiel!

Neven Subotic mit Sonja Hartwig

Die Besucher staunen nicht schlecht, als Neven noch vor dem Einlass persönlich an den Menschen in der Warteschlange vorbei geht und sich bereits vor der Lesung bei allen für ihr erscheinen bedankt.

Kurz nach 20 Uhr beginnt die Veranstaltung nun offiziell. Unter großem Applaus betritt Neven die Bühne und betont, dass die heutige Lesung in Dortmund der erste große Auftritt der Lesetour ist. Doch nicht er selbst habe das Buch geschrieben, sondern Sandra Hartwig, die er so gleich auf die Bühne holt. In einem Zeitraum von zwei Jahren trafen sich die beiden regelmäßig und arbeiteten gemeinsam an dem Buch. In dieser Zeit offenbarte Neven auch mit der Hilfe seiner Partnerin Shari sehr persönliche Details seines Lebens.

Das Kind Neven Subotic

Neven erzählt von seiner Kindheit in Schömberg im Schwarzwald. 1990 musste seine Familie vor dem Jugoslawienkrieg fliehen und lebte in engen Verhältnissen. Er sei nicht der erste mit fußballerischer Qualität im Hause Subotic gewesen. Unmittelbar vor der Flucht, so erzählt es Neven, stand sein Vater einst vor der Berufung in die jugoslawische Nationalmannschaft. In Deutschland jedoch blieb, trotz seiner Fähigkeiten, nur die Kreisliga. Nur durch den Fußball fand er über seine Mitspieler überhaupt Arbeit. Schließlich hatte er trotz entsprechender Ausbildung in Jugoslawien keine Arbeitserlaubnis und die angebotene Handwerksarbeit war die einzige, die er bekommen konnte. Da er kein Auto hatte lief er häufig auch in bis zu 10km entfernte Ort um dort zu arbeiten.

Das Geld war knapp in der Familie. Neven erzählt, wie er sich, anders als die anderen Kinder, kaum die Spielzeuge, die im Trend waren, kaufen konnte. Spielsachen, wie ein Jojo, waren erst nach langen sparen erschwinglich und so spielte er damit, obwohl der Trend bei anderen Kindern schon verflogen war.

Ein Glücksfall für die Familie erwies sich ein Job der Mutter bei einer älteren Frau als Putzfrau. Die ältere Frau hieß Frau Stumpf und sie nahm die Familie in ein großes Haus auf, womit sich die Lebensverhältnis deutlich verbesserten. Erst Jahre später erfuhr Neven, dass Frau Stumpf ebenfalls als Kind am Ende des zweiten Weltkriegs aus Schlesien fliehen musste, als er nach dem Grund fragte, warum sie die Familie aufgenommen habe.

Der Fußballer Neven Subotic

1999 emigrierte die Familie in die USA und Neven schaffte es in die U17 der US-Nationalmannschaft. 2006 ging er allein zurück nach Deutschland und spielte in Mainz. Die Eltern leben nach wie vor in den USA.

Das zweite Kapitel der Lesung handelt über die Zeit beim BVB. Dort verdiente Neven plötzlich so viel Geld, dass die Finanzierung von Luxusartikel, schnellen Autos und großen Häusern kein Problem darstellte. Ob die Sachen benötigt werden, ist egal. Zu Beginn des Kapitels erzählte er dabei eine eindrückliche Geschichte: Als sein Wechsel nach Dortmund quasi vollzogen war, wollte er dies mit seiner Schwester feiern und ging mit in zusammen in das Geschäft eines berühmten Luxuswarenunternehmens mit der nicht abzulehnenden Bitte, sich dort eine Tasche auszusuchen. Er erzählt, er habe sich dem verpflichtet gefühlt, weil dies schließlich alle so gemacht hätten. Doch diese Mentalität machte nicht bei Geschenken für seine Schwester halt. Die Mitspieler protzen mit ihrem Vermögen, warum also sollte er es ihnen nicht gleichtun? Plötzlich fühlte er sich wie in den Computer Spielen „Grand Theft Auto“ oder „Need for Speed“ nur eben ohne Konsole, sondern im realen Leben.

Wir lebten unsere Version der Videospiele die wir eigentlich zu zocken gewohnt waren. Ich hatte nichts in mir mit dem ich das was ich tat hätte messen können. Mich orientieren, irgendwie eine Verortung finden. Da war keine Skala. Es war als hätte ich ein Auto ohne Tacho ohne Uhr ohne Tankanzeige ohne irgendein Messinstrument ohne Navi ohne Kompass. Ich saß nur drin und drückte das Gas durch.

2011 mit Nuri Şahin

Anschließend erzählt Neven von der ersten Meistersaison im Jahr 2011. Der BVB wird unter Jürgen Klopp nach dem Sieg gegen den 1. FC Nürnberg im Westfalenstadion Meister. Die Szenen nach Spielende beschreibt er folgendermaßen:

In der Kabine und im Pool sind alle nur am Singen und Schreien bis sie keine Stimme mehr haben. Zusammengefügt ergaben diese Teile eine Überwältigung, die mindestens so groß war wie das Stadion, indem wir gespielt hatten und mir kam es vor, als wüsste ich nicht was ich damit machen soll, außer dass es laut und schrill und verrückt sein muss und dass ich alles auf einmal wollte.


Als die Dortmunder Verantwortlichen ihre Meisterfeier weit weg von den Fans in einem italienischen Edelrestaurant feiern wollen, springt Neven mit seinem Freund ins Auto und fährt Richtung Innenstadt. Die legendäre Szene auf der Lindemannstraße hat sich allen BVB Fans ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Neven steigt aus dem Auto und singt mit den Fans. Obwohl er vor diesem Moment wenig, bis keine Kontakte zu den Fans hatte, wusste er "Du kannst dich das trauen, weil du den Fans Vertrauen kannst. "

"Wer ist deutscher Meister" sowie die Humba hätte er damals angestimmt, erzählt er. So tut er es auch heute und das ganze Publikum im FZW singt mit. Es ist eine kurze Zeitreise zurück in glorreiche Zeiten, die ihn in Dortmund zu einem sportlichen Helden machten.

Diese Momente, die ich mit den Fans teilte, war kurz. Sie dauert nur zwei, drei Minuten, aber sie waren mit die wunderschönsten.

Die Delle auf dem Dach seines Sportwagens nennt er "Meisterdelle", die auch nach dem Verkauf an einem anderen Besitzer nicht ausgebeult wurde. Sie sei schließlich ein Stück Geschichte.

Mit dem Gewinn der zweiten Meisterschaft und des DFB Pokals 2012 setzen allerdings immer mehr Zweifel am Sinn des privilegierten Luxusleben ein. Im selben Jahr gründet er die Neven Subotic Stiftung, die ein Jahr später an die Öffentlichkeit geht. In der Zeit wird er wiederholt vom Verein angesprochen, nicht zu viel Zeit in die Stiftung zu investieren, sondern sich auf den Verein zu konzentrieren.

Der Stiftungsgründer Neven Subotic

Neven erzählt von seiner ersten Zeit in Äthiopien und seinem Besuch in einer örtlichen Schule mit der Partnerorganisation REST (Relief Society of Tigray). Die Begegnung mit dem Lehrer Mulu, der die Schule einige Jahre zuvor übernommen hatte und seither immer weiter aufbaut, beeindruckt in nachhaltig. Neven wechselt die Rolle, jetzt ist er der Fan und Mulu der Held.

Der Abend lässt das Thema Fußball nun hinter sich und es geht fortan um den gesellschaftlich aktiven Neven Subotic. In seiner freien Zeit liest Neven Bücher über den Kolonialismus, der Sklavenzeit und der Ausplünderung Afrikas durch die Europäer. Er erwähnt die Kongokonferenz von 1884, bei der die Europäische Mächte Afrikas neu aufteilten und willkürlich Grenzen über den Kontinent zogen. Die dadurch verursachten Konflikte und Kriege wirken bis heute nach. Dabei hob er unter anderem das fehlende Schuldbewusstsein des belgischen Staates hervor, der sich bis heute nicht für die Verbrechen des damaligen belgischen Königs Leopolds II entschuldigt hat, obwohl er den Kongo nach der Konferenz als sein privates Eigentum sah und Millionen Menschen durch seine Gräueltaten in den Tod riss. Schließlich schlägt er den Bogen zur heutigen Zeit. Auch im Jahr 2022 würden die Länder Zentralafrikas noch ausgebeutet werden. Rohstoffe für Kaffee, Handys und Autos bringen Wohlstand in die Industrieländer, während Staaten in Afrika kaum davon profitieren würden.

Ein Satz, der sich in das Gedächtnis eingeprägt hat und ganz am Ende der Lesung fiel, war dieser:

Nur weil die Arm sind, sind wir so reich

Die Lesung endet mit Publikumsfragen nach Glück, Glauben und der Rolle der Fußballspieler in dem globalen Geschäft.

Neven warnt davor, dass Vereine und Organisationen "soziale Verantwortung" als Marketingmaßnahme sehen. Hier müssten Kernkompetenzen langfristig aufgebaut werden.

Meine Hoffnung ist tatsächlich, dass Spieler oder Spielerinnen viel mehr Verantwortung für sich selbst übernehmen, denn du kannst es nicht einfach nur dem Verein überlassen oder der Liga oder der FIFA.

Neven bedankt sich bei allen Anwesenden

Nach 2 1/2 Stunden kommt die Lesung zu ihrem Ende. Neven bedankt sich beim Publikum, seinem Team, seinen Unterstützer und seinen Freunden. Als Besucher kommt man zu dem Schluss, einem beeindruckenden Abend beigewohnt zu haben.

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