Timeslot aus der Welt der schwarzgelben Phantasie
Etwas mehr als 67.000 Zuschauer erlaubte die neue Coronaschutzverordnung im Westfalenstadion im Spiel gegen den FSV Mainz 05. Für die Geschäftsführung des BVB ein Grund mehr, den „Rubel“ wieder rollen zu lassen. Aber es bleiben viele Fragezeichen.
Ich muss gestehen, ich habe mich bei den vergangenen Spielen mit dem 2G Modus sehr sicher gefühlt. Man konnte davon ausgehen, dass nur Genese und Geimpfte Zutritt zum Westfalenstadion hatten. Die Kontrollen erschienen zuverlässig und mein Fanbewusstsein kam mit dieser Situation ganz gut zurecht. Ein gewisser Teil von Normalität erfüllte mich mit Stolz und ein schwarzgelber Pulsschlag schien eine positive Zukunft zu gewährleisten. Überrascht hat es mich dann schon, dass mein Lieblingsverein bei steigender Zuschauerzahl plötzlich zur 3G-Regel zurückkehrte und mir eine fragliche Normalität vermittelte. Ich konnte dies nur mit einem gewissen finanziellen Druck erklären, war aber guter Hoffnung, dass man in der Lage wäre, dies logistisch zu lösen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, und so starb sie für mich am 8. Spieltag der Saison 2021-2022. Ich hatte es befürchtet und war eine Stunde vor meinem „Slot“ zum Westfalenstadion aus der Innenstadt aufgebrochen. Der Weg auf der Hohen Straße gestaltete sich noch normal und ich war optimistisch. Je näher ich allerdings ans Stadion kam, desto mehr kamen Zweifel auf. Bei deutlich geringerer Zuschauerzahl hatten in der Vergangenheit Kontrollen im Vorfeld stattgefunden und die Situation entspannt. Fazit war, ich konnte beruhigt den Weg in den Tempel antreten. Davon konnte heute keine Rede sein. Je näher ich an den Eingang Südost kam, desto mehr spitzte sich die Situation zu. Sicher, es liegt außerhalb der Verantwortung des BVB, hier auf Schutzmaßnahmen hinzuweisen, ich hatte auf jeden Fall das Gefühl, dass in diesem Gedränge nur 5-10 Prozent eine Maske benutzten. Da nützte es auch nichts, wenn kurz vor den Drehkreuzen auf das Tragen der Maske hingewiesen wurde. Noch absurder war das Ganze, da es beim Verlassen des Stadions keinen Menschen mehr interessierte.
Kurz vor der Leibes-Visitation musste ich dann meinen Impfnachweis vorzeigen, ganz wichtig war auch die Eintrittskarte. Meinen Personalausweis hat niemanden bei den Kontrollen interessiert. Nur Stichproben, oder was ist die Ausrede des BVB bei solchem Fehlverhalten? Für mich war das ganze eine Farce. Ich konnte in der unkontrollierten Menge mit vielen sprechen und erlebte Wut und Unverständnis. Ein Fan mit seiner 83-jährigen Mutter versuchte diese Situation zu umgehen und ging deswegen zum Eingang Nord. Dort wies man beide ab, mit dem Hinweis, das Einlesen der Karte lasse dies nicht zu. Vielleicht sollte man sich von Seiten der Geschäftsführung einmal darüber Gedanken machen, ob es nicht wichtiger ist, in diesem Zusammenhang Vorbelasteten Zutritt über einen Sondereingang zu gewährleisten, als Fahnenträger den Vortritt zu lassen.
Ich habe es dann geschafft 40 Minuten nach meinem "Timeslot" das Stadiongelände zu betreten. Für alle meine Mitstreiter und schwarzgelben Freunde blieb eine Frage unbeantwortet: Wie kann man bei zunehmenden Zuschauerzahlen auf die Kontrollen im Vorfeld an ausgewiesenen Checkpoints verzichten und diese an die Einlassstellen verlegen? Jedem normalen Menschen ist doch klar, dass dies nicht funktionieren kann. Verschleiert denn das Geld jegliches normale Gedankengut? Wenn man seine Nobelkarosse auf dem Parkplatz normal abstellen kann und sich in sicheren 2G gepriesenen VIP Räumen bewegt, mag das vielleicht keine Rolle spielen. Aber Corona bewegt sich auch außerhalb dieser Räume und es kann euch alle treffen. Wir sehen aktuell steigende Inzidenzzahlen und der BVB versagt meiner Meinung nach schon beim Zugang ins Westfalenstadion. Vielleicht muss man dafür einen teuren Preis zahlen.
Betritt man das Stadion, so verkündet „Nobby“ eine heile Welt, auch wenn das Stadion aktuell nicht voll zu kriegen ist. Das kann sich sehr schnell noch negativer entwickeln. Man ignoriert von Seiten der Geschäftsführung jegliche Verhaltensregeln in der Pandemie und opfert sie einem krankhaften Gewinnbedürfnis. Sieg, Haaland und schöne weite Welt ist zu wenig, um dauerhaft Fans zu binden. Beim aktuellen Umgang mit der noch nicht beendeten Pandemie werde ich mir überlegen, ob ich in naher Zukunft noch einmal das Westfalenstadion betreten werde.
Das Ganze hat auch einen faden Beigeschmack. Sehen wir einmal von offenen und geschlossenen Räumen ab. 2G Regeln in VIP Räumen und Versagen bei den 3G Regeln im Umfeld der Fans, treibt uns weiter in eine Zwei-Klassengesellschaft, die immer mehr die Fans aus dem Stadion treibt. Gelegentlich scheint man sie noch zu brauchen, um Banner wie „Kick Racism out“ in die Höhe zu halten. Aber auch nur dann, wenn Aleksander Ceferin nicht in der Nähe ist. Schwarzgelb beginnt zu verblassen.