Eine Frage der Identität
Die Champions-League-Reform soll bald verabschiedet werden und auch beim BVB findet man diesen Modus interessant. Scheibchenweise ebnet man den Weg zu einer Super League statt klare Kante zu zeigen und wirft damit eine Identitätsfrage beim BVB auf:
„Wer bin ich?“ Diese philosophische Frage hat sich vermutlich jeder schon einmal gestellt. Antworten darauf können ganz unterschiedlich ausfallen und basieren meistens darauf, worüber man sich definiert. Oder auf verschiedenen gesellschaftlichen Identitäten. Auch der BVB muss sich diese Identitätsfrage stellen. Ganz generell, aber auch besonders durch die Entwicklungen im europäischen Fußball befeuert: Spitzenclub, familiäres Unternehmen, Global Player, Ausbildungsverein, Malocherclub, Mischkonzern, bei dem auch Fußball gespielt wird – die Liste mit Identitäten und Identitätswünschen ist lang. Im Marketing würde man wahrscheinlich von Vision, Corporate Identity und Markenkern sprechen. Wo Borussia Dortmund aktuell steht? Nun: Wirft man einen Blick auf den Social-Media-Auftritt des BVB würde man wahrscheinlich zum Schluss kommen, dass beim BVB vorrangig gekocht, Taxi gefahren oder Fitnessübungen gemacht werden. Ab und zu findet dann vielleicht auch mal ein Fußballspiel statt. Ein ähnliches Bild zeichnet sich in den letzten Jahren in der fußballerischen Identität. Seit den „Vollgasveranstaltungen“ von Jürgen Klopp sucht man diese vergeblich. Mal mehr Ballbesitz, mal weniger, mal offensiv, mal abwartend: Michael Zorc sagte 2017, der Fußball beim BVB solle „attackierend, frisch und offensiv“ sein. Ob man sich in dieser vorgegebenen Identität in den letzten Jahren immer wiedergefunden hat? Nunja …
Und auch die Mannschaft scheint nicht immer zu wissen, wofür der BVB eigentlich steht. Außer vielleicht als Durchlaufstation, was die wiederkehrenden, blutleeren Auftritte erklären würde, die man sich vor allem gegen Mannschaften aus der unteren Tabellenhälfte leistet.
Ein weiterer Punkt in der Identität ist die Ligazugehörigkeit und vielleicht auch der Erfolg. Beim Hamburger SV dürfte mit Verschwinden der „Nicht-Abstiegs-Uhr“ ein Stück Identität verloren gegangen sein, beim FC Bayern München ist Erfolg sehr wahrscheinlich ein starker Identitätsfaktor. Wo steht der BVB eigentlich? Bei Borussia Dortmund entwickelte sich in der Klopp-Zeit die „Echte Liebe“ als Claim, der Identität ausdrücken sollte. Der sympathischere, „echtere“ Gegenentwurf zum „Mia san Mia“ der Bayern. Und einige Jahre hatte man als Fan auch das Gefühl, dass es gut beschreibt, was im und um den Club herum passiert. Nachdem die „Echte Liebe“ ein bisschen bröselte, konfrontierten wir Hans-Joachim Watzke damit in einem Interview. Er sagte „Echte Liebe sollte eigentlich das symbolisieren, was der Fan von Borussia Dortmund für seinen Verein empfindet – und umgekehrt.“ Ist das noch so? Empfindet der Fan noch Echte Liebe vor dem Hintergrund der Entwicklungen in den letzten Jahren. Der eine mehr, der andere weniger. Aber empfindet der Verein noch tatsächlich Echte Liebe gegenüber den Fans? An anderer Stelle sagte Watzke beispielsweise, dass für jeden Dauerkarteninhaber, der seine Karte abgibt, zehn Interessenten parat stehen. Auch wenn es rechnerisch vermutlich so ist, hört sich Wertschätzung anders an. Der einzelne ist austauschbar.
Wie austauschbar der einzelne ist, zeigt sich auch in der geplanten Champions-League-Reform:
- Mehr Spiele: Jedem Verein werden zehn Spiele garantiert, davon natürlich fünf Auswärtsspiele, also zwei mehr als aktuell. Für Auswärts- und vor allem Allesfahrer langsam nicht mehr zu stemmen. Urlaubstage und Geld reichen eben irgendwann nicht mehr aus, um alle internationalen Fahrten zu finanzieren und zu organisieren. Das ist schade, denn „wir folgen dir, egal wohin es geht“ ist nicht nur ein schöner Gesang, der durchs Stadion schallt, sondern auch im BVB-Marketing eine feste Größe. Das wird in Zukunft wohl immer weniger möglich sein. Und damit werden auch die bunten und stimmgewaltigen Auswärtsblöcke weniger, die uns einen gewissen Ruf in Europa ersungen haben, den auch der BVB gerne nutzt. „Ich begrüße die besten Fans der Welt“, schreit Nobby Dickel im Westfalenstadion ins Mikro. Demnächst sitzen die besten Fans dann halt auch öfter mal vorm TV, statt den BVB international zu vertreten. Aber vermutlich wird man das beim BVB eher unter „Ist halt so“ abhaken.
- Märkte: Der deutsche Markt als Heimatmarkt ist längst nicht mehr interessant. Zumindest für die beiden großen Vereine Bayern und Dortmund ist das zu Hause viel zu klein und vor allem auch zu klein gedacht. Uli Hoeness erzählte schon vor Jahren von den 300 Millionen Chinesen, die man durch Spitzenspiele begeistern will, jeweils einen Euro pro Spiel zu bezahlen. Da kämen natürlich stolze Summen zusammen, die wohl auch Hans-Joachim Watzke und den anderen Vereinen in der ECA den Mund wässrig gemacht haben. Der Spagat ist also nicht mehr zwischen Borsigplatz und Shanghai, sondern eher zwischen Los Angeles und Shanghai – was dann wieder passend wäre: Das Arschloch wäre fast genau über Dortmund.
Aber nicht nur fanseitig ist man bereit, Identität einzubüßen:
- Gesicherte Qualifikation: Statt bei schlechten Leistungen auch mal eine Nichtqualifikation in Kauf zu nehmen und sich dem sportlichen Wettbewerb zu beugen, setzt man auf ein Modell, das auch „Freifahrtscheine“ vergibt. Man entkoppelt sich mehr und mehr vom Sport. Der einzige Wettbewerb, der dann noch wirklich zählt, wäre die Champions League. Die Bundesliga würde weiter entwertet.
- Weitere Entwertung der nationalen Ligen: Im neuen Champions-League-Modell wäre natürlich eine Menge Geld zu verdienen. Wahrscheinlich sogar so viel, dass man den anderen Vereinen noch weiter enteilt. Da helfen auch die „Almosen“ nicht, die man den Vereinen gnädigerweise anbietet, die aber trotzdem wohl mit Kusshand genommen werden, weil es die Einnahmen steigert und man weiter im Rattenrennen dabeibleibt.
- Salamitaktik zur Super League: Statt reinen Wein einzuschenken, wofür man den Weg ebnet, beschreibt Watzke das neue Modell als „schon deshalb interessant“, weil es die Super League abwendet bzw. verschiebt. Das mag stimmen, aber das neue Modell unterscheidet sich am Ende vor allem in einer Sache: Es können sich theoretisch auch noch andere Mannschaften qualifizieren. Am Ende werden sich wohl alle soweit dran gewöhnt haben, dass die Super League der logische Schritt ist.
- Keine klare Meinung vertreten: Watzke sagte der Reviersport (print): „Wir sind in Deutschland nicht der Nabel der Welt. In anderen europäischen Ländern existieren mitunter völlig andere Meinungen zum und Sichtweisen auf den Fußball.“ Das ist sicherlich so, aber warum macht man sich klein und versucht nicht mit Sachargumenten für seine Position einzustehen?
- Widersprüchliche Kommunikation: Ebenfalls in der Reviersport erzählte Hans-Joachim Watzke, dass einige Vereine am liebsten sofort die Super League eingeführt hätten, also eine geschlossene Liga mit den immer gleichen Mannschaften. Wenige Sätze später sagt er, dass es der Wunsch war, mehr europäische Spiele zu haben, idealerweise nicht immer gegen die gleichen Mannschaften. Ob sich im neuen Modell großartig andere Mannschaften qualifizieren als in der derzeitigen Champions League?
All diese Punkte führen zu einem weniger geschärften Profil. Fans und Mitglieder werden in vielen Punkten nur noch im Nachhinein gehört und informiert, wenn die Entscheidungen schon gefallen sind. Andere Standpunkte werden dabei oft mit „Fußballromantik“ abgetan, die jetzigen Entscheidungen seien unumgänglich oder alternativlos. Es wird argumentiert, dass man sich dann keine Topspieler und -talente mehr leisten könne. Obwohl wir auch jetzt nicht am oberen Ende der Nahrungskette sind, hat es in der Vergangenheit noch gut geklappt. Wie viele Vereine sollen denn an uns in einer Super League noch vorbeiziehen, dass wir gar keine guten Spieler mehr bekommen? Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis fadenscheinige Argumente vorgebracht werden, dass der BVB mehr Geld einnehmen muss, um sein gesellschaftliches Engagement aufrecht erhalten zu können oder irgendwelche Vergleiche gebracht werden, dass wir ein zweites Rot-Weiss Essen werden.
Das, wofür der BVB steht, warum die Menschen sich in diesen Verein verlieben und über Jahre mit Herzblut dabeibleiben, wird sukzessive abgebaut. Borussia Dortmund wird dadurch austauschbar. Wenn man sich mit internationalen Fans des BVB unterhält, dann ist es bei weitem nicht nur der sportliche Erfolg, der die Menschen begeistert, sondern viel mehr die Nähe, das Umfeld in der Stadt Dortmund, die Herzlichkeit, die Wurzeln. Borussia Dortmund ist jedenfalls auch durch die Unterstützung der Champions-League-Reform auf einem guten Wege, diese Dinge mehr und mehr verblassen zu lassen.