Unsa Senf

Mit Edin Terzić gegen den Identitätsverlust?

24.05.2021, 17:50 Uhr von:  Malte S.
Frontalansicht Edin Terzić, der anfeuernd vor der Trainerbank im Westfalenstadion herläuft. Er trägt eine schwarze Jacke, Jeans und weiße Sneaker. Im Hintergrund sitzt u. a. Sebastian Kehl. Im rechten Bildrand der Rücken von Jadon Sancho.
Edin Terzić hat den BVB in die Erfolgsspur zurückgeführt – und weckt Begehrlichkeiten anderer Vereine.
© Jürgen Fromme (firo Sportfoto)/Pool via Schwatzgelb.de

Immer mehr Fans fällt es schwer, sich mit dem Profifußball zu identifizieren. Auch der BVB bot in den letzten Jahren weniger Anknüpfungspunkte. Eine Lücke, in die nun Edin Terzić stößt. Die Dimensionen dieses Problems gehen jedoch über die Person Terzićs hinaus. Woran liegt das?

Innerhalb von sechs Wochen hat Edin Terzić sich ein kleines Denkmal gesetzt: Nach der Niederlage gegen Eintracht Frankfurt (1:2) glaubten nur wenige, dass der BVB den DFB-Pokal gewinnen und am 33. Spieltag die Qualifikation für die Champions League eintüten würde. Hinzu kommen die Duelle gegen Sevilla und Manchester City, in dem sich Terzićs bis dato höchst verunsichertes Team mehr als respektabel schlug.

Vor allem eine Frage bestimmt derzeit das Geschehen bei Borussia Dortmund: Wird der 38-Jährige wirklich unter Marco Rose zurück in die zweite Reihe treten? Zuerst wurde diskutiert, ob die Verantwortlichen das Risiko scheuen würden. Schließlich würden bei der ersten Durststrecke unter dem neuen Trainer die Rufe nach einer Ablösung durch den Assistenten laut. Mittlerweile scheint der Ball bei Terzić zu liegen, dessen Vertrag vor einigen Wochen im Stillen langfristig verlängert worden ist. Immer wieder hat er betont, wie gerne er für den BVB arbeite, auch in Zukunft. Gleichzeitig sollen ihm mehrere Angebote von Vereinen vorliegen, die ihn als Cheftrainer verpflichten möchten. Nach dem Sieg gegen Leverkusen kündigte Terzić eine Bedenkzeit an.

Ich bin supergerne Teil von Borussia Dortmund und darf seit ganz langer Zeit morgens aufstehen und über Fußball nachdenken – und das auch noch über schwarz-gelben Fußball.


Edin Terzić

Viele BVB-Fans wünschen sich, dass er bleibt. In kürzester Zeit ist er derart populär geworden, dass manche*r sich gar bei dem Gedanken ertappte, der Favre-Nachfolger würde den Posten des Cheftrainers einfach behalten – und die Verpflichtung Roses ungeschehen gemacht. Auch wenn Letzteres natürlich nicht passieren wird, lohnt es sich, diesen Sehnsüchten einmal nachzugehen. Sie sagten nämlich nicht nur viel über Edin Terzić, sondern auch über den Verein aus.

Das hat unterschiedliche Gründe.

Erstens: Edin Terzić verkörpert Borussia Dortmund

“Ich bin ein Produkt von Borussia Dortmund”, antwortete Edin Terzić im Dezember, nach der Entlassung Lucien Favres auf die Frage nach seiner Fußballphilosophie. Es ist eine Prägung auf mehreren Ebenen. Als Kind wurde er BVB-Fan. Sein erstes Spiel im Westfalenstadion ist ihm bestens im Gedächtnis geblieben, wie er kürzlich 11Freunde erzählte: “23. November 1991 gegen MSV Duisburg, ein 2:1. Ich kann mich an wenige Dinge in meiner Jugend genau erinnern, aber das war mega beeindruckend.” Der gebürtige Mendener ist damals neun Jahre alt. Vielleicht träumte er davon, irgendwann einmal bei Borussia zu landen.

Auf einem Rasenplatz stehen Edin Terzić und Lucien Favre nebeneinander und beraten sich. Im Hintergrund eine Tribüne.
Ab 2018 Kollegen: Favre und Terzić.

Als Profifußballer sollte das nicht klappen, hier kam Terzić nicht über die Regionalliga hinaus. Die Tür öffnete ihm stattdessen sein Studienfreund Hannes Wolf; als der 2010 die U19 des BVB übernimmt, holt er Terzić als Co-Trainer. Zeitgleich steigt er mit einer halben Stelle in die Scoutingabteilung von Sven Mislintat ein. Drei Jahre lang assistiert er Hannes Wolf, später auch bei den Amateuren und in der U17. Zur Saison 2013/14 übernimmt er dann eigenverantwortlich die U16. Kurz darauf bietet sich Terzić jedoch eine große Chance: Slaven Bilić möchte ihn als Assistenten bei Beşiktaş Istanbul. Sportdirektor Michael Zorc lässt ihn ziehen, beide trennen sich im Guten und nach einer weiteren Station mit Bilić bei West Ham United stößt Terzić 2018 ins Trainerteam von Lucien Favre.

Hinter Terzić liegen damit nicht nur sechs Jahre Arbeit für Borussia Dortmund in unterschiedlichen Funktionen. Er hat die erfolgreichste Zeit der jüngeren Vereinsgeschichte hautnah miterlebt, sie im Hintergrund sogar mitgestaltet. Meisterschaft 2011, Double-Sieg 2012 und Champions-League-Finale 2013 – diese drei Spielzeiten haben nicht nur Edin Terzić geprägt, sondern auch eine ganze Generation von BVB-Fans, die acht Jahre später noch immer einen großen Teil der Stadionbesucher*innen ausmachen.

Ich bin mit dem Flieger zum Finale geflogen, mit dem Sonderzug und dem Zug für Mitarbeiter gefahren – und jetzt das erste Mal im Mannschaftsbus.


Edin Terzić vor dem DFB-Pokalfinale

Längst freuen sich nicht nur Fußball-Romantiker*innen über einen Trainer, der vor dem Pokalfinale wie Terzić in eigenen Fan-Erinnerungen schwelgt. Er bedient damit das Bedürfnis vieler nach Authentizität im Fußballgeschäft. Die kommerziellen Auswüchse, Super-League-Pläne und manches Verhalten während der Corona-Pandemie haben die Distanz zwischen Vereinen und der Basis weiter vergrößert. Da wirkt Terzić wie ein Gegenpol. Es bedeutet ihm nicht nur etwas, den DFB-Pokal gewonnen zu haben. Er freut sich darüber, das mit Borussia Dortmund geschafft zu haben. Unser Übergangstrainer scheint das, was er sagt, ernst zu meinen. Es wirkt, als wisse er genau, was er dem BVB zu verdanken hat. Und als wolle er dem Verein gerne etwas zurückgeben. Auch deshalb macht er sich die Entscheidung über seine Zukunft wohl alles andere als leicht – mit Blick auf das, was seit Dezember auf ihn eingeprasselt ist, mehr als verständlich.

Zweitens: Der BVB bot in den vergangenen Jahren wenig Identifikationsstiftendes

Wer oder was möchte Borussia Dortmund sein? Ein zweiter Leuchtturm hinter den Bayern, zur Stelle, wenn sie scheitern? Eine Top-Adresse für junge Talente, ihr Sprungbrett in die Beletage Europas? Verwurzelt in Dortmund (und in der Bundesliga) oder im Zweifel lieber eine internationale Marke? Mit Blick auf die letzten Jahre muss man wohl sagen: Am liebsten von allem ein bisschen. Es scheint, als hätte sich der BVB seit 2013 in seinem Selbstfindungsprozess verloren, irgendwo zwischen Borsigplatz und Shanghai.

Fairerweise muss man dazu sagen: Ein Klub wie der BVB wird immer seinen ganz eigenen Mittelweg finden müssen. Denn solange man die Tür für Oligarchen, Staatsfonds und andere Großinvestoren verschlossen hält, muss man die Nische hinter Paris, München, Manchester City, Barcelona, Madrid und Co. besetzen – und verteidigen. Dass man aus Fansicht dabei manchen Kompromiss zu schlucken hat, gehört zum Geschäft und ist verzeihbar. Die Behauptung, der Klang der Champions-League-Hymne würde uns kalt lassen, wäre ja auch schlicht gelogen. Außerdem muss man den Verantwortlichen um Hans-Joachim Watzke zugutehalten, dass sie über viele Jahre ein solides Fundament geschaffen haben, von dem man heute zehrt. Weder hat die Corona-Pandemie die KGaA bisher in Gefahr gebracht noch ist man auf ein “Rattenrennen” um die internationalen Plätze angewiesen. Stattdessen wäre es wirtschaftlich verkraftbar, auch eine Saison ohne Champions League zu spielen. Das ist das Ergebnis guter und nachhaltiger Arbeit seit Mitte der Nullerjahre.

Trotzdem hat der gute Ruf des BVB in der Vergangenheit Risse bekommen. Nicht nur sportlich begab man sich auf die ein oder andere Achterbahnfahrt, wovon allein fünf (Interims-)Trainer in sechs Jahren zeugen. Viele Fans hatten zuletzt an unterschiedlichen Punkten das Gefühl, dass die Identifikation mit dem Verein auf der Strecke bleibt. Eine Auswahl:

Mats Hummels mit enttäuschtem Gesichtsausdruck während des Heimspiels gegen Eintracht Frankfurt, im Hintergrund zwei Frankfurter Spieler.
Trotz positiven Saisonausklangs: Zu häufig enttäuschte die Mannschaft, wie hier gegen Eintracht Frankfurt.
© Jan Huebner/Pool via Schwatzgelb.de
  • Willkürliche Spielphilosophie: “Mal mehr Ballbesitz, mal weniger, mal offensiv, mal abwartend” – so beschrieb Seb vor rund zwei Monaten recht treffend das taktische Hin und Her Dortmunder Teams in den vergangenen Jahren. Keine Frage, im schnelllebigen Fußballgeschäft eine übergeordnete, langfristige Philosophie zu entwickeln, an der sich der ganze Verein orientiert, können sich nur ganz wenige Klubs dieser Welt leisten. Erst recht, wenn die verantwortlichen Trainer im Zweifel das schwächste Glied der Kette sind. Trotzdem hat Borussia Dortmund hier vergleichsweise viele Kurswechsel in kurzer Zeit hinter sich: Auf Tuchels sportlich erfolgreichen, aber wenig aufregenden Ballbesitz-Fußball folgten die am Ende nicht mehr ausbalancierten Offensivspektakel von Peter Bosz, bevor mit Lucien Favre wieder eine ganz andere, eher zaghafte Art Einzug in Dortmund fand, der nicht wenige Fans am Ende überdrüssig wurden. Als hätten die Verantwortlichen versäumt, sich mal zusammen zu setzen und sich zu fragen: Welchen Fußball wollen wir beim BVB sehen? Falls doch, dann waren sie sehr sprunghaft, vielleicht sogar willkürlich.

    Hinzu kommt, dass die sportliche Leitung nicht nur nach Neuverpflichtungen Ausschau hielt (und hält), die sich an den Bedürfnissen des jeweiligen Trainers orientieren, sondern für einen Ausbildungsverein aussichtsreiche Wertanlagen darstellen (siehe unten). Zu oft wirkten unsere Mannschaften in zurückliegenden Spielzeiten so zwar wie ein hochtalentierter, aber nicht funktionierender Haufen von Einzelspielern.
Pierre-Emerick Aubameyang und Ousmane Dembélé sprinten gemeinsam zum Torjubel
Die Abgänge von Dembélé und Aubameyang stehen symbolisch für die negativen Seiten des BVB-Geschäftsmodells.
  • Transferpolitik: Ein Nachteil des bereits angesprochenen Nischendaseins ist sicherlich, dass Borussia Dortmund Spieler wie Jadon Sancho, Erling Haaland oder Ousmane Dembélé nur mit der Zusage bekommt, ihnen im Zweifel den Sprung zu den europäischen Top-Adressen nicht zu verwehren. Für beide Seiten ist es ein Engagement auf Zeit. Und ein Blick allein auf die Torschützenliste des jüngsten DFB-Pokalfinals zeigt, dass der BVB mächtig von solchen Deals profitieren kann, auch wenn er “nur” ein Sprungbrett ist. Auch wir Anhänger*innen haben etwas davon, ist das doch die einzige Möglichkeit, Kicker von Weltklasse-Format im schwarz-gelben Trikot zu erleben.

    Trotzdem kann diese Strategie einer positiven Bindung zur Mannschaft schaden. Spieler, bei denen zu fürchten ist, dass sie beim Verpassen der Champions League, den sie im Zweifel mit zu verantworten haben, direkt weiterziehen, genießen weniger Kredit. Gleiches gilt, wenn ein Teil des Kaders regelmäßig den Eindruck erweckt, er hänge sich unter der Woche in Rom, Sevilla oder Manchester mehr rein als im Bundesliga-Tagesgeschäft. Beim BVB kamen solche Zweifel zuletzt immer wieder auf. Nicht zuletzt haben das Verhalten von Dembélé, Aubameyang oder Mino Raiola beim Abgang Henrikh Mkhitaryans Spuren hinterlassen.

    Darüber hinaus saßen die Transfers, die der Mannschaft Struktur und Charakter verleihen sollten, zu oft einfach nicht: André Schürrle, Mario Götze, Thomas Meunier und mit Abstrichen Axel Witsel waren teuer, blieben aber hinter den Erwartungen zurück. Außerdem verpufften diverse Rückholaktionen seit 2013. Mit Götze wurden die BVB-Fans nie mehr richtig warm (und umgekehrt). Mats Hummels ist immerhin sportlich ein Leistungsträger geworden, hat durch seinen Wechsel zum FC Bayern aber auch viel Credibility eingebüßt. Unterm Strich schien die Struktur der letzten Kader häufig nicht zu passen.
Ein Spruchband auf der Südtribüne mit der Aufschrift: "Watzke: Viele Worte, keine Taten – Identitätsverlust auf Raten"
Identitätsverlust ist beim BVB schon lange ein Thema, wie dieses Spruchband aus dem Jahr 2016 zeigt. Damals ging es um die internationale Strategie des Vereins.
  • Umgang mit den eigenen Fans: Das Team der Fanbeauftragten wurde stets vergrößert und ist mit über zehn Mitarbeitenden das größte der Bundesliga. Wichtige Stellen innerhalb der KGaA, wie die Leitungen der Abteilungen Fanangelegenheiten und Corporate Responsibility, wurden mit ehemaligen Mitgliedern der Fanszene besetzt. In der Antidiskriminierungsarbeit hat der Verein sein Profil geschärft, mittlerweile ist Borussia Vorbild für andere Klubs. Und mit Jan-Henrik Gruszecki hat sich Hans-Joachim Watzke zuletzt einen ausgewiesenen Kritiker mancher Auswüchse des modernen Fußballs als Berater zur Seite geholt (Stabsstelle Strategie und Kultur). Guten Gewissens kann man also sagen, dass beim BVB hier einiges stimmt.

    Trotzdem gab es einige Entwicklungen, die unter Anhänger*innen für Ärger sorgten. Anhand des neuen Puma-Trikots haben wir an dieser Stelle kürzlich die Frage aufgeworfen, ob seitens der Geschäftsführung versucht wird, den Fanrat teilweise auszuhöhlen. Ein ähnliches Bild bot sich wenige Monate zuvor bei der Ankündigung eines Fantoken. Fast schon vergessen sind die im September 2020 geschmiedeten NRW-"Stadionallianzen". Neun Profiklubs und das NRW-Innenministerium einigten sich auf einen einheitlichen Umgang mit Fans. Nicht mit am Tisch saßen dabei: die Fans. Diverse Interessenvertretungen kritisierten den fehlenden Dialog und die Beschlüsse zu Lasten von Anhänger*innen, unter anderem bei der Verhängung von Stadionverboten. Offenbar handelte es sich um einen Kuhhandel zwischen Politik und Vereinen, denn im Gegenzug versprach NRW-Innenminister Herbert Reul, ihnen keine Polizeikosten in Rechnung zu stellen. Auch der BVB hielt es nicht für notwendig, mit seinen Fans im Vorfeld darüber zu sprechen, sie wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Das Misstrauen gegenüber der Vereinsführung, derlei Aktionen könnten sich wiederholen, ist in der Fanszene noch nicht ausgeräumt.
Hans-Joachim Watzke steht während der Mitgliederversammlung 2019 am Rednerpult und hebt den rechten Arm, während er spricht.
Von Hans-Joachim Watzke hätten sich viele Fans eine deutlichere Ablehnung der Super League gewünscht.
  • Reformen im Fußball: Zudem hat der Eiertanz um die Super League für Verunsicherung gesorgt. Der BVB stellte sich zwar dagegen, jedoch mit weniger Nachdruck als mancher Fan sich gewünscht hätte. Dass das Konstrukt der börsennotierten KGaA hier Grenzen setzt, ist eine nachvollziehbare Erklärung. Es lässt aber auch die Frage offen, ob der BVB unter anderen Umständen schwach geworden wäre – oder im Sinne der Aktionär*innen hätte schwach werden müssen. Die Antwort hierauf ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Stattdessen machte sich Watzke für eine Reform der Champions League stark, die letztlich denselben Geist atmet wie eine Super League: Mehr Umsatz, mehr Absicherung für die Top-Klubs, weniger Wert der nationalen Ligen. Hinzu kommen zusätzliche Spiele, wodurch Auswärtsfahrer*innen zeitlich und finanziell an ihre Grenzen stoßen.

    Außerdem sperrt sich der BVB auf nationaler Ebene gegen eine solidarische Verteilung der TV-Gelder, wie sie zum Beispiel die Initiative "Unser Fußball" fordert. Grundsätzlich verständlich, würde es doch schwieriger, den komfortablen Platz zwischen Bayern und dem Rest der Liga zu verteidigen. Andererseits steht die Frage im Raum, ob der Schaden für die gesamte Branche – und damit auch für Borussia Dortmund – langfristig nicht viel größer ist, wenn der Deutsche Meister Wochen vor Ende einer Saison feststeht und es auch darüber hinaus wenig Spannung gibt.

    Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle noch der Videobeweis erwähnt. Auch wenn er nicht nur bei den Profis, sondern auch unter Fans umstritten ist, bleibt vier Jahre nach seiner Einführung festzuhalten: Zumindest das Stadionerlebnis hat er nachhaltig verändert. Der Versuch, das Spiel fehlerfreier zu machen, geht auf Kosten von Emotionen.
Blick auf die bestuhlte Südtribüne während des Corona-Spiels gegen den SC-Freiburg. Die Fans sitzen mit Sicherheitsabständen auf den grauen Sitzschalen.
Die Pandemie hinterlässt ihre Spuren.
  • Corona: Und dann ist da auch noch die Pandemie. Sie wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die Entfremdung, die viele Fans mit Blick auf die anhaltende Kommerzialisierung des Fußballs empfinden. Kein Stadion, liebgewonnene Menschen lange nicht gesehen, keine Atmosphäre – was für viele das Erlebnis Fußball ausmacht, brach vom einen auf den anderen Tag weg. Welche Spuren das hinterlassen wird, muss sich erst noch zeigen. Die Fanszenen werden die Auswirkungen qualitativ wie quantitativ spüren.

    Ein Faktor ist auch, dass der Profifußball insbesondere in den ersten Monaten der Pandemie forsch für sich und die Fortsetzung des Spielbetriebs kämpfte. Da unterschied er sich zwar nicht von anderen Branchen, doch hatte man das Gefühl, diese gingen dabei zumindest dezenter vor. Beim Fußball verfing sich lange der Eindruck, er überhöhe sich im Vergleich zu den Sorgen und Existenznöten der Bürger*innen. Am Ende genoss er, auch auf Basis eines fragwürdigen Hygienekonzepts, eine privilegierte Position. Auch der BVB hat sich nicht immer vorbildlich verhalten. Einem digitalen Spieltag für die Dortmunder Gastronomie und einer Spendenaktion der Stiftung "leuchte auf" folgte im Herbst ein teilweise peinlicher offener Brief. Immerhin: Mittlerweile zeigt sich zumindest Hans-Joachim Watzke deutlich demütiger im Umgang mit der Pandemie, wie Aussagen vor dem Pokalfinale nahelegen.

    Trotzdem wird man es “dem Fußball” lange nicht vergessen, dass er Dinge wie die Super League oder “Stadionallianzen” in einer Zeit durchzuboxen versuchte, in der Fans kaum eine Möglichkeit hatten, dagegen zu protestieren.

Eine Mannschaft, die viel zu selten Feuer entfachte, Fehltritte im Umgang mit den eigenen Fans, dazu die Ungewissheit in Zeiten von Corona. Wäre Saison sportlich nicht doch noch erfolgreich gewesen, würde es rund um den Rheinlanddamm wohl deutlich unruhiger sein.

Drittens: Wichtige Säulen werden in Dortmund bald wegbrechen

Keine guten Vorzeichen, schließlich stehen dem BVB bald mehrere Umbrüche ins Haus. Am Samstag wurde mit Łukasz Piszczek eine Identifikationsfigur verabschiedet. Die nächste wird Marcel Schmelzer sein. Auch wenn insbesondere Schmelzer zuletzt verletzungsbedingt keine Rolle mehr spielte, werden sie Borussia Dortmund fehlen. Fußballerisch und charakterlich stehen beide für den "Vollgasfußball", der den Verein in der jüngeren Vergangenheit geprägt hat wie nichts anderes. Kann man solche Abgänge überhaupt kompensieren?

Jubeltraube der BVB-Spieler vor der Siegerehrung des DFB-Pokalfinals auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions. Die Spieler werfen Łukasz Piszczek in die Höhe, der sich die Hände vors Gesicht hält.
Wie ersetzt man eine Legende wie Łukasz Piszczek?
© IMAGO/Team 2

Bleiben wird Marco Reus, der ähnlich verankert ist im Verein. Der gebürtige Dortmunder ist jemand, der einer Mannschaft ein Gesicht geben kann, zumal er zuletzt endlich wieder seine Bestform fand. Voraussetzung ist, dass Verletzungen ausbleiben und er das Niveau konstant halten kann. Eine weitere Säule ist Mats Hummels, sportlich unbestritten und Führungsspieler. Er kennt den Verein lange, doch seit seinem Zwischenstopp bei den Bayern haftet ihm der Ruf an, im Zweifel opportunistisch zu sein, weil er den BVB in einer entscheidenden Phase zum größten Konkurrenten verließ. Eine Liebe wird das wohl nicht mehr, trotz unbestrittener Verdienste für den BVB. Als Trainer kommt mit Marco Rose außerdem jemand, der doppelt vorbelastet ist. Auch wenn es zu einfach ist, ihm allein die schlechte Gladbacher Rückrunde in Rechnung zu stellen, hat sein Image Kratzer bekommen. Und als Coach mit ausgeprägter Red-Bull-Vergangenheit dürften einige Fans ihn erstmal skeptisch betrachten.

Doch nicht nur das Gesicht der Mannschaft wird sich weiter verändern. Im kommenden Jahr läuft der Vertrag von Sportdirektor Michael Zorc aus. Er wird dann 43(!) Jahre im Verein gewesen sein und ein schweres Erbe hinterlassen. Antreten soll das Sebastian Kehl. Seit 2018 ist er Leiter der Lizenzspielerabteilung. Mit Ausnahme von Interviews konnte er bisher wenig Aspekte setzen, seine Arbeit findet weitgehend im Hintergrund statt. Bei der Entscheidung für Marco Rose soll er laut kicker eine Triebfeder gewesen sein, außerdem verantwortlich für Veränderungen in der medizinischen Abteilung und die Umsetzung des Hygienekonzepts. Mehr Stallgeruch als Sebastian Kehl geht kaum, doch wird sich seine Eignung für den Posten wohl erst im Laufe der Zeit zeigen. Noch ist er in dieser Hinsicht eine Blackbox.

Sebastian Kehl wird am Spielfeldrand von einer ARD-Reporterin interviewt. Kehl trägt einen schwarzen Mantel. Der Kopf der Reporterin ist unscharf von der Seite zu sehen, Kehl spricht in ihr blau-weißes Mikrofon.
Spätestens 2022 wird Sebastian Kehl noch mehr ins Rampenlicht rücken.

Die größte Veränderung für Borussia Dortmund wird zweifelsfrei das Ausscheiden Hans-Joachim Watzkes bedeuten. Eigentlich sollte für den Geschäftsführer Ende nächsten Jahres Schluss sein, mit Verweis auf die Pandemie hat er seinen Vertrag jedoch bis 2025 verlängert. Auch wenn Watzkes Interessen häufig mit denen der aktiven Fanszene über Kreuz liegen, wie zuletzt sein Einsatz für die Champions-League-Reform oder gegen eine Umverteilung von TV-Geldern: Meist weiß man bei dem 61-Jährigen, woran man ist. So ist er ein Verfechter der 50-plus-1-Regel, ein Verkauf der Mehrheit der KGaA-Stimmanteile muss man mit ihm nicht fürchten. Doch wird das unter seinem*r Nachfolger*in so bleiben? Wer kommt dafür überhaupt in Frage? Muss es zwingend eine interne Lösung sein, wie beispielsweise Carsten Cramer, oder gibt es auch externe Alternativen? Bis zum 31.12.2025 ist es noch etwas hin, doch jemand wie Watzke wird nicht erst wenige Monate vorher beginnen, seine Nachfolge zu regeln. Der Prozess dürfte schon vorher Einfluss auf die strategischen und operativen Entscheidungen beim BVB haben.

Je größer der Vertrauensvorschuss der Fans und je ruhiger das Umfeld, desto besser wird sich diese Reihe an Umbrüchen moderieren lassen.

Und was hat Edin Terzić mit alldem zu tun?

Borussia Dortmund hat sich seit 2013 stark verändert. Aus dem frechen Bayern-Herausforderer ist ein Dauergast in der Königsklasse geworden, der es an guten Tagen mit der Top Acht Europas aufnehmen kann.

Vielleicht lohnt sich an dieser Stelle ein Blick zurück auf das jüngste Pokalfinale: Gewonnen hat der BVB wegen einer starken Leistung und der Tore von Erling Haaland und Jadon Sancho. In Erinnerung bleiben wird dieser Abend aber vor allem wegen Łukasz Piszczek, dessen Zeit in Dortmund emotional gekrönt wurde, Marcel Schmelzer, der als erster zur Siegerehrung schreiten dürfte, und Edin Terzić, für den sich im Olympiastadion ein Traum erfüllte. Ohne sie hätte ein Endspiel vor leeren Rängen niemals solche Emotionen wecken können.

Szene aus dem Spiel BVB gegen Leverkusen. Im Vordergrund Edin Terzić, in der Mitte eine Spielszene, im Hintergrund ein schwarz-gelbes Spruchband: "Den Pokal in der Hand, Borussia im Herzen! Danke Edin!"
Der Dank der BVB-Fans ist Edin Terzić gewiss
© Moritz Mueller/Pool via Schwatzgelb.de

Die Stärke von Borussia Dortmund war immer, solche Geschichten zu schreiben. Doch je selbstverständlicher sich die Erfolge anfühlten, desto rarer wurden sie. Der Mangel an Identifikationsmöglichkeiten hat zwischen Fans und Verein eine Lücke entstehen lassen, die bisher niemand zu schließen vermochte. Und in diese Lücke stößt nun Edin Terzić.

Vermutlich ist er selbst der Letzte, der eine Art Role Model sein möchte. Auch deshalb wäre niemandem geholfen, würde der BVB künftig bloß jemanden wie Terzić ins Zentrum einer Kommunikationsstrategie stellen und fertig. Vielmehr muss Borussia auf mehreren Ebenen wieder Anknüpfungspunkte für Identifikation schaffen. Salopp gesagt: Wenn nach oben (Bayern München) kaum was geht und in einer durchschnittlichen Saison die Qualifikation für die Champions League niemanden mehr vom Hocker reißt, muss der Verein mehr dafür tun, um zu euphorisieren: Die Art, Fußball zu spielen, Integrationsfiguren unter Spielern, Trainer*innen und Funktionär*innen, die Kommunikation mit den Fans.

Edin Terzić hat es beispielsweise geschafft, die emotionale Seite vieler BVB-Fans anzusprechen, ohne es drauf anzulegen. Er war und ist vor allem authentisch. Jemand, der sich freut, jeden Tag für Borussia Dortmund zu arbeiten. Dass das schon reicht, zeigt einerseits, wie weit sich der Profifußball von vielen Menschen entfernt hat, andererseits aber auch, dass schon vermeintlich kleine Dinge Identifikation stiften können. Das ist die die gute Nachricht für den BVB.

Der Identifikationsverlust rund um den BVB lässt sich zum Teil am Beispiel Edin Terzićs beschreiben, geht am Ende aber weit über seine Person hinaus. Nichtsdestotrotz: Wenn er und der Verein ihren Weg gemeinsam weitergehen, werden sich viele Menschen freuen. Denn Edin ist ein Top-Typ.

Doch egal, wie er sich am Ende entscheiden wird, für seine bisherigen Verdienste werden Borussia Dortmund und seine Fans ihm immer dankbar sein.

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