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Die abschüssige Zufahrt kurz vor den Rollstuhltribünen ist sehr anspruchsvoll und oft auch sehr artistisch

12.07.2021, 21:24 Uhr von:  kha
Das Bild zeigt drei Kreise, die die Grundprinzipien von Exklusion, Integration und Inklusion verdeutlichen sollen.

Unserer schwatzgelb.de-Trainingslagercrew ist aufgefallen, dass es auch einen rollstuhlfahrenden Fan gibt, der regelmäßig den BVB zu seinen Trainingslagern begleitet. Im Rahmen unserer Serie zum Thema „Inklusion“ konnten wir uns natürlich ein Gespräch mit Andreas, so heißt der Rollifahrer, nicht entgehen lassen. Deshalb könnt Ihr jetzt hier nach Moritz ein weiteres Interview mit einem rollifahrenden BVB Fan lesen.

schwatzgelb.de: Erzähle mal ein wenig über Dich und was Dich anders als andere Fans macht?

Andreas: Mein Name ist Andreas Nickel, 35 Jahre alt und gelernter Industriekaufmann. Ich bin seit 2003 aufgrund eines Verkehrsunfalls querschnittgelähmt und infolgedessen auf einen Rollstuhl angewiesen. Seit 2009 fahre ich aktiv und regelmäßig zum BVB. Was mich anders als andere Fans macht? Für mich ist jedes Spiel ein Auswärtsspiel, da ich ca. 400 Kilometer von Dortmund entfernt wohne und selbst die Auswärtsspiele nicht um die Ecke sind. Nebenbei bringe ich noch zu den Spielen und Stadionbesuchen meinen eigenen Sitzplatz mit ;)

schwatzgelb.de: Wie bist Du zum BVB gekommen?

Andreas: Meine erste Erinnerung, die ich mit Borussia Dortmund verknüpfe, stammt aus der Saison 92/93 und war das damalige Panini Fußball-Stickeralbum. Ich fand als siebenjähriger Knirps die knallige Farbe "neongelb" auf Anhieb sehr cool und das war der Anfang der Geschichte von Andreas und Borussia Dortmund. Fortan verfolgte ich nun die Spiele vor dem heimischen Röhrenfernseher und hatte prompt den Traum, irgendwann mal live im Stadion dabei zu sein. Bis dahin sollte noch einige Zeit ins Land ziehen und ich verfolgte weiterhin eifrig die Spiele im TV und sammelte alles, was in irgendeiner Form mit dem BVB zu tun hatte.

Heimspielpremiere im Sommer 1997

schwatzgelb.de: Seit wann gehst Du ins Stadion und was war Dein erstes Spiel?

Andreas: Ich besuchte das erste Mal das Westfalenstadion im August 1997 gegen den kleinen Rivalen aus Bochum. Aber von vorne... Bei einem Besuch unserer Verwandtschaft aus Herne sagte mein Vater spontan: „Sohnemann, es geht nach Dortmund und wir gucken, ob wir eventuell noch eine Karte für das Stadion bekommen.“ Gesagt, getan und wir saßen am Nachmittag des 23. Augusts auf der Westtribüne und erlebten das Torreiche 5:2 vor ausverkauftem Haus. Hätte uns schlimmer treffen können. Ich war das glücklichste Kind der Bundesrepublik. Kleine Randnotiz: Das Ticket kostete 50 DM auf dem Schwarzmarkt ;) Es sollte nicht mein letzter Besuch gewesen sein, leider mit einer längeren Abwesenheit. Nachdem ich 2003 einen Verkehrsunfall hatte und ab sofort auf einen Rollstuhl angewiesen war, wurde das Besuchen des Stadions nicht unbedingt einfacher. Ich suchte die Spiele in der "Nähe" meines Wohnorts auf. Dazu zählten Wolfsburg, Hamburg, Berlin und Hannover. Primär war das Bekommen von Rollstuhlkarten komplizierter als die Reisestrapazen. Da aber das Verlangen nach Schwarz und Gelb unglaublich war, blieb ich natürlich „am Ball" mit vollgepumpten Rollstuhlreifen.

schwatzgelb.de: Mit wem fährst du zu den Spielen?

Andreas: In den ersten Jahren fuhr ich mit meinem Vater, später dann mit Freunden und der Assistenz meines Lebensalltags. Früher nahm mein Vater mich mit, wenn ich artig war und heute begleitet er mich, wenn er sich benimmt ;)

Andreas Nickel vor der Tribüne mit den BVB Fans
Andreas Nickel im Stadion

schwatzgelb.de: Wie schwer war es für Dich an eine Rollikarte zu kommen?

Andreas: In den Anfangsjahren so ab 2005 begann es mit den Auswärtsspielen, wo es schon eine Glücksache war, eine zu bekommen. Aber in Dortmund beim BVB eine zu erhalten, war schon ein hartes Brett. So schleppte ich mich bis in das Jahr 2009 und hatte nach meiner Hartnäckigkeit und einigen E-Mails an den BVB endlich meine Dauerkarte im Postkasten und konnte mein Glück kaum fassen. Ich bin bis heute unendlich dankbar dieses Privileg zu haben, denn es ist keineswegs selbstverständlich gewesen und das ist es bis heute nicht!

schwatzgelb.de: Ist Dein Platz im Westfalenstadion problemlos zu erreichen oder gibt es da besondere Herausforderungen?

Andreas: Ich finde die abschüssige Zufahrt kurz vor den Rollstuhltribünen sehr anspruchsvoll und oft auch sehr artistisch, aber es gibt genügend helfende Hände, wie z.B. die Volunteers vom BVB, die einem stets und ständig zur Verfügung stehen. Es ist in jedem Fall die verrückteste Barriere in einem Stadion, die ich bisher erlebt habe. Am BVB sind so viele Dinge verrückt, deshalb passe ich auch so gut dort hin.

schwatzgelb.de: Bietet der BVB genügend Karten für Rollifahrer an?

Andreas: Die Nachfrage übersteigt massiv das Angebot. Wenn es danach geht, könnte es mit ziemlicher Sicherheit in die Dreistelligkeit gehen. Im Vergleich zu anderen Vereinen ist Borussia Dortmund nicht unter den Top fünf. Ich denke aber, dass die Ticketabteilung ihr Bestes gibt, um alle möglichen Interessenten zu bedienen. Inständig hoffe ich, dass die Situation zu anderen Vereinen in Zukunft angepasst wird, denn als großer Verein wie es Borussia Dortmund nun mal ist, wünschen sich viele der Gehandicapten eine verhältnismäßige Anpassung in dem Bereich.

schwatzgelb.de: Falls nein: Wie viele sollten es sein? Was glaubst Du woran liegt es, dass es in Dortmund nur so wenige Rollikarten gibt?

Andreas: Da die Voraussetzungen sicherlich mit enormen Umbauten verbunden und die rollstuhlgerechten Anforderungen gestiegen sind, ist es sicherlich schwierig umsetzbar. Wo neuer Platz geschaffen wird, müssen vermutlich bestehende Sitzmöglichkeiten weichen.

Im Vergleich mit anderen Vereinen ist Borussia Dortmund nicht unter den Top fünf.


Andreas

schwatzgelb.de: Fährst Du auch auswärts und was war Deine weiteste Fahrt?

Andreas: Ich fahre auch alle möglichen Auswärtsspiele, sowie im In- und Ausland. In den letzten 10 Jahren besuchte ich etwa 25 Spiele im Ausland auf europäischer Ebene, welche mit Abstand die beeindruckendsten Touren mit meinen Freunden waren. Istanbul war die weiteste und zugleich die spektakulärste Reise, da die Stimmung im Stadion brachial und die Barrierefreiheit in der Stadt katastrophal war. Am Ende waren meine Freunde am Start, wie so oft, wenn es nicht weiterging.

schwatzgelb.de: Wie organisierst Du diese Fahrten? Bist Du mit einem Fanclub unterwegs?

Andreas: Ich bin Individualreisender und organisiere mich stets allein und passe mich den oft nicht heimischen Standards im Ausland an. Daher treffe ich mich meistens mit meinen Freunden und Bekannten vor Ort. So kann ich auf gewisse Probleme unaufgeregt reagieren. Damit bin ich in der Vergangenheit sehr gut zurechtgekommen.

schwatzgelb.de: Was war das verrückteste Erlebnis mit dem BVB?

Andreas: Da gibt es so einige, wie z.B. die Meisterschaften 2011 und 2012, sowie das verlorene CL-Finale in London und den Pokalgewinn 2012 in Berlin, die ich alle live im Stadion erleben durfte. Ach ja, und 2011 habe ich es auch auf den Platz geschafft und konnte mit dem Rolli auf den Rasen und durfte mich exklusiv am Meisterrasen bedienen.

Erfahrungen mit dem Boulevard

schwatzgelb.de: Und neben dem Platz?

Andreas: 2005 kam es zu einem Negativerlebnis, als mich nach dem "Flutlichtaus" im DFB-Pokal in Braunschweig ein Reporter von der Bildzeitung hinters Licht führte, mein Vertrauen missbrauchte und am darauf folgenden Montag die Schlagzeile kreierte "BVB-Versager lies diesen Rollstuhlfahrer abblitzen" und ich war drei Tage die Lachnummer in dem Artikel. Zum Ende kam es zu einer persönlichen Entschuldigung von Ebi Smolarek und erledigt war die Geschichte. Dann habe ich vor einigen Jahren mal eine Begegnung mit Jörg Heinrich im "Schmackes" in Dortmund gehabt und plötzlich saßen wir am selben Tisch. Es entwickelte sich eine lockere Bierrunde daraus und es waren lässige Gespräche - lustiger Typ der Jörg.

schwatzgelb.de: Gab es irgendwo besondere Schwierigkeiten, Deinen Platz zu erreichen? Und wie wurde das Problem gelöst?

Andreas: Es gibt hin und wieder mal Probleme, den direkten Weg zu den Rollstuhlplätzen zu erreichen, überwiegend im Ausland. Durch die Fanbetreuung ist man bestens umsorgt und ich fühle mich gut aufgehoben, wenn es um die Problembewältigung geht. Das läuft pragmatisch: Problem? Lösung! In diesem Sinne nochmal ein großes Dankeschön.

schwatzgelb.de: Begleitest Du den BVB sonst noch? Zum Beispiel zu den Trainingslagern

Andreas: Ich fahre seit einigen Jahren auch zu den Trainingslagern in die Schweiz und nach Spanien. Es ist immer prächtiges Wetter und habe dort immer eine angenehme Zeit. Eine Mischung aus Fußball, Entspannung, Bierchen und lustigen Momenten mit bekannten Zeitgenossen.

schwatzgelb.de: Wie organisierst Du das?

Andreas: Ich suche mir barrierefreie Unterkünfte und eine zentrale Umgebung und reise mit dem Flugzeug, Bahn oder Auto an, nichts spezielles. Bin da eher einfach gestrickt.

schwatzgelb.de: Gab es in den Trainingslagern eine Anekdote, die Du Dich gerne erinnerst?

Andreas: In einem Wintertrainingslager in Marbella dachte ich mir, da sieht einer dem Mladen Petric´ am Trainingsplatz aber täuschend ähnlich und das im Zusammenhang mit journalistischem Equipment - komisch. Irgendwann stand ich neben ihm und sagte zu ihm: „Hut ab, krassen Doppelgänger, den Du hast.", und er setzte seine Sonnenbrille ab und antwortete: „Kaum zu glauben, ich bin der Mladen." Das war ziemlich witzig.

schwatzgelb.de: Wie ist es für Dich mit Deiner Behinderung im Stadion? Fühlst Du Dich gut aufgehoben?

Andreas: Der Besuch im Stadion ist für mich immer noch was sehr Besonderes und Beeindruckendes. Das sind die Momente, wo ich meinen Alltag hinter mir lassen kann und auf die Stimmung und das Spiel fixiert bin, vielleicht ein wenig mein Handicap ausblende. Ich fühle mich sehr gut dort aufgehoben und bin der Meinung, dass die Rollstuhlebene mit dieser Aussicht und der Nähe zum Rasen eine der besten in Deutschland ist. Bei Fragen und Problemen stehen einem stets Hilfe und die direkten Ansprechpartner zur Verfügung.

schwatzgelb.de: Und gab es, im Zusammenhang mit Deiner Behinderung, ein besonders schlimmes Erlebnis und wer hat Dir in dieser Situation geholfen?

Andreas: Ich würde hier nichts gravierendes aufführen können, aber ganz "normale" Blicke und "dumme" Fragen treten mal hin und wieder auf. Aber mein Selbstbewusstsein ist stark genug, um die passende Antwort zu geben. Gerne schlage ich die Leute mit ihren eigenen Waffen und konfrontiere sie mit einer gekonnten Gegenfrage. Aber ich gehe im Allgemeinen sehr offensiv damit um und am Ende wird zusammen einfach nur gelacht und man grüßt sich bei der nächsten Begegnung.

schwatzgelb.de: Fühlst Du Dich von den anderen Fans respektvoll behandelt?

Andreas:Absolut und NULL NEUN Ausrufezeichen! Es gab 2014 eine Situation auf einer Busreise zum CL-Auswärtsspiel nach Anderlecht, wo ich an jeder Raststätte, die der Busfahrer angesteuert hat, von mir bis dahin unbekannten Menschen in meinem Leben aus dem Bus getragen wurde, um eine Pause mit ihnen zusammen zu machen. „Du gehörst genauso dazu und eine Pause ist nur eine Pause, wenn du dabei bist.“ Das war die Aussage der Truppe und ich kannte nicht einen davon. Wie war das nochmal?????? BORUSSIA VERBINDET.............

Du gehörst genauso dazu und eine

Pause ist nur eine Pause, wenn du dabei bist.“


Einige Mitfahrer zu unserem Gesprächsspartner Andreas während einer Auswärtsfahrt

schwatzgelb.de: Und fühlst Du Dich auch als Teil der BVB-Fans oder ist das Gefühl eher „Da auf der Süd sind die Fans" und hier sind wir Rollifahrer?

Andreas: Natürlich fühle ich mich als Teil der Fans und ehrlich gesagt stellt sich die Frage für mich auch gar nicht. Wir haben sicherlich nicht die Wucht, um die Stimmung zu bereichern, aber darum geht glaube ich auch nicht. Fans sind auch diese, die vor dem heimischen Fernseher sitzen, weil sie nicht die Möglichkeit haben, im Stadion live dabei zu sein.

schwatzgelb.de: Wenn Du hoffentlich bald wieder ins Stadion kannst: Bekommst Du alles mit oder fühlst Du Dich von einigen Dingen ausgeschlossen, weil an die besonderen Bedürfnisse von Rollifahrern nicht gedacht wurde?

Andreas: Bier, Bratwurst und ein schönes Spiel - ach ja, und das WC in Reichweite. Im Ernst, ich glaube nicht, dass es dort gravierende Einschnitte geben wird. Die Fanbetreuung sucht selbst in der Coronazeit den Kontakt zu seinen Fans mit Beeinträchtigung und da geht es schon um die ein oder andere Optimierung. Das Ganze ist nicht interessenlos!

schwatzgelb.de: Würdest Du, anstatt nur mit Rollifahrern zusammen, gerne bei den Fans z.B. vor der Südtribüne sitzen wollen oder sogar auf der Süd? Oder bei Auswärtsspielen vor oder im Gästeblock?

Andreas:Natürlich wäre das mal ein Traum, aber aus Sicherheitsgründen gar nicht zu verantworten. In einigen Stadien hat man schon die Nähe zum Gästeblock und kann sich annähernd vorstellen, was da abgeht.

schwatzgelb.de: Was wünscht Du Dir in Zukunft vom BVB für Euch Rollifahrer?

Andreas: Dass wir beim Thema Inklusion, nicht nur bezogen auf uns Rollstuhlfahrer, weiterhin auf offene Ohren stoßen und eine Lösung bei Problemen gefunden wird. Das wäre mein Wunsch.

schwatzgelb.de: Vielen Dank für das Gespräch .

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