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Jetzt oder nie

24.04.2021, 09:13 Uhr von:  Gastautor
Watzke spricht auf der Jahreshauptversammlung am Rednerpult. Mit dem rechten Zeigefinger scheint er eine Richtung vorzugeben. Im Hintergrund sieht man das große BVB Logo.

Watzke und der BVB haben die Chance, eine positive Veränderung im europäischen Fußball anzuführen. Ein Gasttext von Lewis Ambrose.

Borussia Dortmund konnte die Bundesliga seit 2012 nicht mehr gewinnen und stand seit 2013 auch nicht mehr in einem Champions-League-Halbfinale. Doch Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, der 2005 übernahm und den Verein innerhalb von fünf Jahren von der Fast-Insolvenz zur Deutschen Meisterschaft führte, hatte vermutlich noch nie so viel Einfluss wie heute.

Watzke unterschrieb erst kürzlich einen neuen Vertrag, durch den er bis Dezember 2025 Geschäftsführer in Dortmund bleiben wird. Michael Zorc, der gemeinsam mit Watzke das Gesicht der schwarzgelben Führungsebene bildet, ist eine Vereinslegende und zählt zu den erfolgreichsten Torjägern der Vereinsgeschichte. Nach seinem Karriereende 1998 arbeitete und lernte der ehemalige Kapitän zunächst hinter den Kulissen, ehe er 2005 zum Sportdirektor ernannt wurde. 2021/22 tritt Zorc jedoch seine letzte Saison beim BVB an.

Watzke bekommt nun mehr Macht in Dortmund, als er je hatte. Vermutlich hat er sich nie erträumt, dass er zudem jemals so viel Einfluss auch außerhalb von Dortmund haben würde, wie es nun der Fall ist.

Nach der gescheiterten Gründung der Super League sitzt Watzke zu Kopf des Tisches der European Club Association (ECA) – gemeinsam mit dem Ehrenvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Position entwickelt, wenn er den FC Bayern als Vorstandsvorsitzender 2022 verlässt. Ebenfalls im Gremium vertreten sind Michael Gerlinger, Direktor Recht bei Bayern München, und Nasser Al-Khelaifi, Präsident von Paris Saint-Germain.

Auf einer vollen Südtribüne werden Banner mit der folgenden Aufschrift hochgehalten: Der Fußball darf kein Spielball der Großen sein. Gegen Super League und korrupte Funktionäre!
THE UNITY im November 2018 mit einem Banner gegen die Super League

Alle drei Vereine hatten die Möglichkeit, der Super League als Gründungsmitglieder beizutreten. Alle drei Vereine haben sich dafür entschieden, zunächst abzuwarten. Die zwölf Vereine verließen die ECA und ihre Vertreter das Gremium. Sie führten die Super League ein und warteten darauf, dass der BVB, die Bayern und PSG ihnen folgten. Aber sie folgten nicht. Stattdessen kritisierten sie den Vorstoß. Alles nur ein Trick? Sich einen Platz in der Super League freihalten, aber zunächst abwarten, wie sich das Ganze entwickelt, bevor mal endgültig zusagt? Oder die Zwölf anstiften, den Schritt zu wagen, nur um sie dann hängen zu lassen und auf der anderen Seite mit der UEFA zu kuscheln – als die neuen Könige der ECA?

So oder so, es ist passiert. Und nun stehen Dortmund und Watzke womöglich vor einer noch nie da gewesenen Einflussmöglichkeit im europäischen Fußball. Einen Einfluss, den man zum Guten nutzen könnte.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass – während die Super League schlimmer war und eine direkte und unwiderrufliche Gefahr für den europäischen Fußball darstellte – die UEFA im schlimmsten Fall die Aushöhlung des Wettbewerbs in Europa angeführt und im besten Fall zugelassen hat. Die Reichen wurden noch reicher und dominanter. Sie durften kleinere Klubs umherschubsen und brachten die UEFA dazu, sie dabei zu unterstützen. Die Anhänger des BVB haben es trotz Geisterspielen im Westfalenstadion geschafft, klar Stellung gegen die Champions-League-Reform zu beziehen.

Ein großes Banner mit der Aufschrift "STOP UCL REFORM" hängt auf der Südtribüne.
SÜDTRIBÜNE DORTMUND positioniert sich gegen die Champions-League-Reform

Es handelt sich um eine Reform, von der Dortmund aller Wahrscheinlichkeit nach nur profitieren würde. Das neue Champions-League-Format würde zwei Teams mit einer großen Vergangenheit einen Platz sichern, obwohl sie sich zuvor nur für die Europa League oder die Conference League qualifizieren konnten. Die Reform soll 2024 kommen, aber würde sie bereits jetzt in Kraft treten, hätte Dortmund gute Chancen, Nutznießer zu sein. Auf dem aktuellen Tabellenplatz 5 wäre der BVB für die kommende Europa-League-Saison teilnahmeberechtigt, nach der Reform würde er jedoch in die Champions League „aufsteigen“, sofern entweder Liverpool oder Chelsea unter den Top 4 in England landen (Chelsea liegt aktuell auf Platz 4) und Arsenal (aktuell auf Platz 9) schlechter als Platz 7 abschneiden würde.

Dennoch protestiert die Fanszene in Dortmund, denn das neue System ist schlicht unfair. Auch wenn der Verein zugelassen hat, dass ein Banner von SÜDTRIBÜNE DORTMUND hinter dem Tor im Westfalenstadion hängt, wurde diese Gegenstimme von den einzigen Fans ignoriert, die mächtig und privilegiert genug sind, weiterhin Spiele besuchen zu können. Von Watzke.

„Die Mitglieder des Boards der European Club Association (ECA) haben sich am Sonntagabend zu einer virtuellen Konferenz zusammengeschlossen und bekräftigt, dass der Board-Beschluss vom vergangenen Freitag nach wie vor Gültigkeit hat“, sagte Watzke in einer am Montag auf der Website des BVB veröffentlichten Stellungnahme. „Dieser Beschluss besagt, dass die Klubs die geplante Reform der UEFA Champions League umsetzen wollen.“

Nur an diesem Punkt benennt das Statement die Ablehnung der ECA-Mitglieder gegenüber der Super League. Dortmund, und Watzke, haben sich gegen ihre Fans gestellt und sich für das neue Champions League Vorhaben ausgesprochen UND im selben Beitrag haben sie es nicht geschafft, sich ganz klar gegen eine Teilnahme an der Super League auszusprechen. Die Stellungnahme klang schwach und hat bei einigen Fans Sorgen ausgelöst: Wollte sich der BVB die Hintertür zur Super League offenhalten?

Wie der kicker am Dienstag berichtete, hat Dortmund die Einladung zur Super League entschlossen abgelehnt, konnte sich jedoch nicht so klar äußern wie Bayern oder PSG. Eine Ablehnung gegenüber einer finanziell lukrativen Einnahmequelle wie der Super League hätte für den börsennotierten BVB, der in diesem Jahr rund 70 – 75 Millionen Euro verloren hat, rechtliche Konsequenzen haben können.

Weitere Hoffnung schürte ein Bericht der Times am Mittwoch. Die Hoffnung, dass Dortmund die Champions League Reform ablehnen könnte, der sie noch vor wenigen Tagen zugestimmt hatten.

Ebenfalls am Mittwoch verschafften sich die BVB-Fans erneut mit einem Banner gegen die UCL-Reform Gehör. Am Westfalenstadion war in großen Lettern vor dem Spiel gegen Union Berlin zu lesen:

Ein neu aufgestellter ECA-Vorstand, ohne die spanischen Größen, ohne die größten Clubs der Premier League, ohne die Mailänder Clubs und auch ohne den größten Fan der Super League – den Vorsitzenden von Juventus Turin Andrea Agnelli – könnte das perfekte Gegengewicht sein, um die Daumenschrauben bei der UEFA anzuziehen und Veränderungen zu bewirken, die nicht nur den Status Quo zementieren. Und die Position der genannten Vereine, raus aus der ECA, nicht mehr die Musterschüler der UEFA, nicht mehr im inneren Kreis und massiven – den vermutlich größten – Fanprotesten ausgesetzt, könnte nicht schwächer sein. Und nicht zu vergessen, die deutliche Warnung an die spaltenden Clubs, die in der Ankündigung der CL-Reform mitschwang.

Dieser Wandel allein wäre nicht genug, aber es wäre immerhin ein Anfang. Die Fans wollen Veränderungen und verlangen seit Jahren danach, aber vielleicht haben wir erstmals einen so großen Widerstand erlebt, der eindrucksvoll die Pläne der großen europäischen Klubs umgeschmissen hat. Vielleicht, hoffentlich, sind sich nun mehr Fans ihrer Macht bewusst, ihres Einflusses, und des Bedarfs gemeinsamer Aktionen. Dieses Mal wurde der Bogen überspannt, endlich.

Wir konnten die Super League – zunächst – abwenden, das ultimative Albtraumszenario. Der letzte Strohhalm. Und jetzt ist die Zeit für weitere Veränderungen. Als einer der größten noch in der ECA vertretenen Vereine, und als einer der Größten, die der Geldgier der Super League widerstanden, hat Borussia Dortmund jetzt die einmalige Gelegenheit, Vorreiter einer Welle positiver Veränderungen im europäischen Fußball zu sein. Egal, wie viel davon nur gute PR ist, der Verein ist für viele das Vorzeigebild dessen, wie Fußball sein sollte.

Es ist egal, ob das verdient oder unverdient ist. Es zählt auch nicht, wie sehr sich der BVB im letzten Jahrzehnt immer weiter von der Bedeutung des „Echte Liebe“-Slogans entfernt hat. Das kann man alles vergeben und vergessen. Aber nur, wenn sie ihrem halb-wahren Ruf gerecht werden, jetzt wo zwölf der größten europäischen Klubs ihre Macht los sind, wenn der BVB seine Position annimmt, um nachhaltig wichtigen Einfluss auf den europäischen Fußball zu nehmen.

Diese Chance sollte Borussia Dortmund nicht vergeuden.

Im englischen Original von Lewis Ambrose, übersetzt von schwatzgelb.de

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