Weiter so, Erling
Das war mal echt ein Brett als Einstand. Erster Torschuss: drin. Erste Bundesligahalbzeit: Dreierpack. Gönnen wir uns da mal einen Euro fürs Phrasenschwein und hauen die alte Redewendung von den Geschichten, die nur der Fußball schreibt, raus. Satter kann man ein Debüt nicht gestalten als es Erling Haaland für uns in Augsburg aufs Parkett gezaubert hat. Dass der Junge gerade mal 19 Jahre alt ist, ließ sich dabei nur am Gesicht erkennen. Das Auftreten wirkte jedenfalls nach dem völligen Gegenteil eines gerade einmal knapp Volljährigen, der bislang in den schillernden Ligen in Norwegen und Österreich seit 3 Jahren als Profi unterwegs war. Durchsetzungskraft, Zielstrebigkeit und Abgeklärtheit und alles in einem Maß, dass einem als Fan der Mund einfach nur offen stand.
Die Reaktionen im Anschluss waren dann auch völlig zu erwarten und ließen sich in zwei Lager unterteilen: die einen bemühten Wortspiele vom „Heiland“ und bescheinigten ihm gleich das Auftreten einer Naturgewalt, während die anderen sofort den Zeigefinger hoben und anmahnten, dass man ihm jetzt nicht noch mehr Druck machen und ihn stattdessen eher vor zu hohen Erwartungen schützen müsse.
Aber warum eigentlich? Warum sagt niemand: „Geile Sache, Kollege. Mach einfach so weiter“? Natürlich wird er jetzt nicht bis Saisonende in jedem Spiel drei Buden machen. Wer das erwartet, ist wirklich mehr als weltfremd und ungerecht. Aber warum sollte man ihn einhegen und nicht anspornen, dieses Auftreten permanent auf den Rasen zu zaubern? Neben den Toren an sich zeigte Haaland nämlich auch ein Verhalten, das für sein Alter bemerkenswert ist. Während mittlerweile schon D-Jugendliche nach dem Treffer zum 1:7 imaginäre Speere in den Boden rammen, weil sie es so von den Profis kennen, jubelte Haaland nach dem 2:3 einen Sekundenbruchteil in die Kurve, schnappte sich dann den Ball aus dem Netz und rannte gestikulierend wieder zum Mittelkreis. Und falls es jemand zwischenzeitlich vergessen hat: 19 Jahre alt, erstes Bundesligaspiel, erster Torschuss. Und das mit dem großen Rucksack als vielleicht meistbeachtetster Transfer der Winterpause auf dem Rücken. Nach dem 4:3 ein ähnliches Bild. Zwar etwas intensiver gejubelt, aber nachdem er registrierte, dass die Fahne wegen einer mutmaßlichen Abseitsstellung oben war, sofort den Nebenmann Hazard angestoßen und fast zurück auf Position geschleift.
Selbst wenn man die drei Tore mal zur Seite schiebt, hat Haaland in den paar Minuten einen Willen und einen Fokus auf den Erfolg gezeigt, dass er da manchen arrivierten Profi in unserem Dress im wahrsten Sinne des Wortes ziemlich alt hat aussehen lassen. Das war von der Körpersprache her ein Auftritt, bei dem dir als Fan einer abgeht. Ist doch geil, wenn da jemand auf dem Platz steht, der dir mit jeder Geste vermittelt, dass die Messe hier noch nicht gelesen ist und wohltuend anders als die Pappkameraden, die selbst bei einem machbaren Rückstand zur Halbzeit kurz vor Wiederanpfiff auf den Platz schlurfen und denen sichtbar der gleiche Gedanke wie jedem vom uns um kurz nach 16 Uhr im Gesicht geschrieben steht: „Boah, zum Glück is‘ gleich Feierabend.“
Der BVB braucht keinen Haaland, der sich an den Zustand der Mannschaft akklimatisiert, der BVB braucht eine Mannschaft, sich an diesem Auftritt ein Beispiel nimmt. Eine Mannschaft, die Zielstrebigkeit und Erfolgsorientiertheit nicht nur mit Worten herbei reden will, sondern sie wirklich zeigt. Eine Mannschaft, die im Zweikampf auch mal den Körper richtig in den Gegner legt, statt sofort bei jeglichen Wiederstand mit winkenden Händen zu Boden zu gehen. Eine Mannschaft, in der persönliche Erfolge dem Teamerfolg restlos untergeordnet werden.
Er wird ganz natürlich auch seine Durststrecken haben. Seine Spiele, in denen er auch mal dicke Chancen in den Nachthimmel versemmelt. Und natürlich wird er auch noch Probleme haben, Konstanz in seine Leistung zu bringen. Aber diese sportlichen Charaktereigenschaften kann er auch als 19-Jähriger durchaus konservieren und permanent abrufen. Das sollte man unbedingt fördern und ihn ermutigen, genau so jedes Mal den Rasen zu betreten, statt alles sofort wieder reflexhaft „normalisieren“ zu wollen. Mit Borussia „normal“ haben wir in Augsburg zurück gelegen. Mit „Haaland spezial“ noch gewonnen.