Was hat dich bloß so ruiniert?
Lieber Fußball,
ich frage dich mal ganz direkt: Was ist eigentlich los mit dir? Du hattest immer schon deine dunklen, ekligen Seiten. Gewalt, Rassismus, Homophobie, Sexismus – teils sogar als Fußballfolklore verklärt. Trotzdem hatte ich immer das Gefühl, als hättest du auch die Kraft inne, dagegen anzukämpfen. Fußball als Gemeinschaftsprojekt von Idealisten, die ihn ändern und zu einem echten Kitt der Gesellschaft machen könnten. Das war gut, weil es das Ganze zu etwas Wichtigerem und Sinnvolleren gemacht hat, als nur die Frage nach Sieg oder Niederlage zu stellen. Fußball als eine Gemeinschaft, der man sich gerne zugehörig fühlen kann, weil man ein im Kern gutes Ziel verfolgt.
Und jetzt? Ich muss gar nicht groß fragen, wo dein moralischer Kompass geblieben ist. Du hast ihn meistbietend verhökert und kennst mittlerweile auf der Jagd nach noch mehr Geld keine Grenzen mehr. Der spanische Verband trägt seinen Supercup als Turnier in Saudi-Arabien aus. Das Land, das von höchster Stelle aus einen Journalisten heimtückisch ermorden ließ. Ein Land, in dem die Todesstrafe nach Richterspruch – zwar in seltenen Fällen, aber auch jetzt noch – durch Steinigung und Kreuzigung durchgeführt wird. Dieses Land schickt sich übrigens jetzt an, über einen Investmentfonds den Premier-League Club Newcastle United zu übernehmen.
Die Nachbaremirate Katar und Abu Dhabi sind da schon weiter und haben horrende Beträge in Manchester City und Paris Saint Germain gepumpt, um auf diesem Wege massive Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen unter einem Berg von Bling-Bling zu begraben. Da stört es dich nicht einmal mehr, wenn dich die Leute selber verarschen. Paris Saint Germain wird wegen des Verstoßes gegen das selbstauferlegte „Financial Fairplay“ bestraft und parallel wird dessen Präsidenten, Nasser Al-Khelaifi als Vertreter der europäischen Clubs UEFA-Executivkomitee aufgenommen
In London beeilt sich Arsenal, vor China um Gnade zu flehen, weil Mesut Özil es gewagt hat, anzuklagen, dass man den Volksstamm der Uiguren in Konzentrationslager zur Umerziehung steckt. Nun, Özil selber ist aufgrund seiner offen demonstrierten Nähe zu Ministerpräsident Erdogan in moralischen Aspekten ein eher zweifelhafter Ankläger, aber wie kannst du es zulassen, dass sich deine Vereine dafür entschuldigen, wenn sich jemand dagegen ausspricht? Und bevor wir jetzt nur auf die ausländischen Verbände zeigen, der 1. FC Köln hat sich ähnlich verhalten. Dort kritisierte der Vorsitzende des FC Mitgliederrates Müller-Römer, dass China eine Kooperation nur dazu nutze, Wissen abzugreifen. Ein Vorwurf, der deutlich harmloser ist als die Sache mit den Konzentrationslagern. Trotzdem erklärte der FC öffentlich, dass es sich hierbei nur um eine Privatmeinung handele und man selbstverständlich gerne weiter mit den dortigen Sponsoren zusammenarbeiten möchte.
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Zahllos beispielsweise die Aussagen, mit denen man Red Bull in den Allerwertesten kriecht. Du lässt deine Vertreter und Medien darüber schwadronieren, was für ein tolles Projekt das doch sei und wie gut es für den deutschen Fußball ist, dass sich eine dritte Kraft etabliert. Wer redet denn da noch darüber, dass dieser Konzern für Marketingzwecke auch Todesfälle in Kauf nimmt? Oder dass man den Besitzer Dietrich Mateschitz nur schwerlich anders bezeichnen kann als einen Rechtspopulisten, dessen Äußerungen überhaupt nicht mit deinem immer wieder beschworenen, integrativen Charakter in Einklang zu bringen sind. Und warum du nicht nur tatenlos mit ansiehst, wie Clemens Tönnies auf Handwerkertagungen rassistische Ressentiments raushaut, sondern ihm hinterher auch bereitwillig dabei sekundierst, wie er das verharmlost und bagatellisiert, müsstest du mir auch mal bitte erklären.
Weißt du, was bitter ist? Dass ich dich während der 90 Minuten, in der das Spiel läuft, wirklich liebe. Du faszinierst mich, fesselst mich, reißt mich mit. Wie kannst du nur gleichzeitig wunderschön und so hässlich sein? Die Zeiten, in denen ich dir mit Idealismus begegnet bin, sind schon lange vorbei. Deine Wertewelt ist, salopp gesagt, völlig im Arsch. Du wirfst dich den miesesten Typen an den Hals und gehst auch mit in die dreckigste Absteige, so lange die Geldbörse dafür weit genug geöffnet wird.
Aber vielleicht ist trotzdem noch nicht alles verloren. Im Kleinen findet man immer wieder Engagement, das einen hoffen lässt. Initiativen und Gruppen, die für eine Meinung stehen und einstehen – auch wenn sie dafür sogar aus den eigenen Fanreihen kritisiert werden. Kurven, die Stofftiere auf kranke Kinder regnen lassen, Vereinsmitarbeiter, die dafür kämpfen, dass ihr Arbeitgeber auch für andere Werte als den schnöden Mammon steht. Kleine, funkelnde Perlen, die dir viel besser stehen als die protzigen Klunker, die dir unmoralische Widerlinge zustecken.
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