Von Kalou und Kollektivstrafen
Der Fußballprofi von heute ist auch ein Medienmensch. Die Zahl derer, die nicht ihr Leben auf den Kanälen der sozialen Medien mit der Öffentlichkeit teilen, dort ihre Werbebotschaften platzieren und häufig genug das Internet mit purer Belanglosigkeit fluten, ist überschaubar. Aktuell scheint der streambare Content aber auch für die Profis so arg begrenzt, dass der (Ex-)Herthaner Salomon Kalou auf die im Nachhinein nicht so schlaue Idee kam, doch mal heimlich aus der Umkleide zu filmen und so der Welt da draußen zu dokumentieren, was man von Hygienekonzept und Gehaltskürzungen wirklich hält.
Was Kalou dort gemacht war, das muss man so sagen, einfach unbegrenzt dämlich und auch vollkommen illoyal gegenüber seinen Mannschaftskollegen. Trotzdem ist es aber auch ein Stück weit nachvollziehbar, dass in der mutmaßlichen Abgeschiedenheit die Vorschriften weniger streng verfolgt werden, als man nach außen hin vorgibt. Ja, wir alle müssen uns an Kontaktbeschränkungen halten und innerlich zur Ordnung rufen, wenn wir jemanden zur Begrüßung immer noch intuitiv die Hand reichen wollen. Aber nicht nur unser Privat-, sondern auch unser Arbeitsleben ist darauf ausgerichtet, uns möglichst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen. Bei den Profifußballern ist die Sachlage allerdings viel schizophrener. Sie sollen engen Kontakt vermeiden und sich an ein rigides Hygienekonzept halten mit dem Ziel, sich so schnell wie möglich auf dem Platz wieder völlig entgegengesetzt verhalten zu dürfen. Es ist in gewisser Weise durchaus nachvollziehbar, wenn ein Fußballer wenig Verständnis dafür hat, dass er seinem Teamkollegen nicht die Hand schütteln darf, wenn alles Handeln in dieser Branche darauf ausgerichtet ist, dass er diese Kollegen möglichst unverzüglich wieder im Trainingsbetrieb im Zweikampf beackern kann.
Interessant sind die Folgen dieses Videos. Kalou wurde suspendiert, Hertha deklarierte ihn zum Einzeltäter, die anderen Vereine hielten komplett die Füße still und die Innenminister erlauben die Wiederaufnahme des Spielbetriebs, auch wenn durch den Vorfall erhebliche Zweifel an der Einhaltung des Konzeptes entstehen. Falls es jemand vergessen haben sollte: es geht dabei um ein pandemisches Virus, das weltweit bislang über eine Viertelmillion Menschen getötet hat.
Und jetzt erinnern wir uns mal an den Platzsturm zum Relegationsaufstieg der Düsseldorfer, an die panischen Stadiondurchsagen bei uns als die Ersten auf die Zäune kletterten, um die Meisterschaft zu feiern, an jeden TV-Kommentator, der mit zutiefst betroffener Miene bei Aufleuchten eines Bengalos den nahenden Weltuntergang verkündete. Erinnern wir uns an den hessischen Innenminister Beuth, der Zündler direkt in den Knast stecken will und an seine Kollegen, die Schnellgerichte und Führerscheinentzug für Fan-Fehlverhalten fordern. Oder an dieses alberne Ball-Hin-und-Hergeschiebe der Spieler von Bayern München und der TSG Hoffenheim, weil Dietmar Hopp beleidigt wurde – inklusive des folgenden, medialen Meltdowns. An Stadionverbote für das Kleben von Stickern und Kollektivstrafen für das Zeigen von Bannern und Doppelhaltern mit nicht strafbaren Inhalten.
Die Causa Kalou zeigt final und offensichtlich die Verlogenheit und Bigotterie von Verbänden und Politik, wenn es um die Sanktionierung von Fehlverhalten im Fußball geht. Kalous Video hatte das Potential, der Grund zu sein, der DFL die Genehmigung zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu verweigern – was für mehr als einen Verein vermutlich den Gang in die Insolvenz bedeutet hätte. Der Schaden für die Vereine wäre um ein Vielfaches größer gewesen, als jede vom DFB verhängte Strafe nach Regelverstößen von Menschen, die nach populistischer Meinung ja gar keine Fans sein können, weil sie mit ihrem Verhalten ihrem Verein schaden. Hat hier jemand eigentlich schon mal Kalou den Status des Fußballers abgesprochen, weil er damit dem Fußball geschadet hat?
Welche Legitimation, wenn sie denn je welche hatten, haben Kollektivstrafen gegen Fans noch, wenn man hier die „Einzeltätertheorie“ durchwinkt, obwohl Kalou weder Staff noch Mitspieler mit vorgehaltener Waffe zur Erwiderung des Händeschüttelns gezwungen hat. Und wer glaubt, dass es in den Umkleidekabinen der anderen Vereine drastisch anders abläuft, auf den trifft wohl auch der alte Spruch vom Zitronenfalter und dem Zitronen falten zu.
All den Scharfmachern und Law-and-Order-Fetischisten in Bund- und Landtag möchte man ein gepflegtes „Ihr könnt uns mal“ zurufen, wenn dieser offenkundige Verstoß gegen Regeln, die letztendlich eine Verbreitung des Virus eindämmen und in der Folge Leben retten sollen, ad acta gelegt und der Fußballplatz zum Kicken freigegeben wird. Erklärt uns mal bitte, wo genau die brennende Fackel so viel gefährlicher ist, dass sie mit Strafen bis hin zum Gefängnisaufenthalt belegt werden muss.
Zu guter Letzt erinnert man sich vielleicht auch in den Redaktionsstuben von TV-Anstalten und (Sport-)Zeitungen an all die Weltuntergangs-Sondersendungen und aufrichtig entrüsteten Kommentare, bei denen man sich gegenseitig mit Forderungen nach Sanktionen überboten hat, und schweigt peinlich berührt, wenn man in den nächsten Tagen endlich wieder vom Platz berichtet – in Erinnerung daran, aufgrund welcher Farce man seine Arbeit wieder aufnehmen durfte.
Letztendlich hat Kalou nur schonungslos den IST-Zustand gezeigt. Der wirkliche Skandal besteht in der Umdeutung, oder Nichtbeachtung der Bilder seitens der Verantwortlichen. Als Fan weiß man, dass es mit Wiederöffnung der Stadiontore wieder anders laufen wird und man wieder genüsslich einen Tritt in den Allerwertesten verpasst bekommt, wenn Regeln gebrochen werden.