Peinlicher offener Brief
Die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus für den November sehen auch Geisterspiele in der Bundesliga vor. Der BVB wendet sich daher mit einem offenen Brief an seine Fans.
In der gestrigen
Sitzung zwischen Bund und Ländern wurde ein Maßnahmenpaket für die
Eindämmung des Corona-Virus beschlossen. Wie schon im Frühjahr muss
"gebremst" werden. Die Infektionszahlen steigen rasant,
eine Nachverfolgung ist nicht mehr möglich und sollte das
exponentielle Wachstum weiter anhalten, wäre früher oder später
das Gesundheitssystem überlastet. Damit es nicht so weit kommt,
wurde der November als "Bremsmonat" festgelegt. Kontakte
sollen reduziert werden, Restaurants, Bars, uvm. bleiben geschlossen.
Profisport darf weiterhin ausgeübt werden, aber nur in Form von
Geisterspielen. Und da liegt für den BVB der Stein des Anstoßes.
Man mag von den Maßnahmen halten, was man will. Vielleicht hätte man früher reagieren sollen, vielleicht später. Vielleicht hätte man eine bessere (oder überhaupt eine) Strategie in den letzten sechs Monaten von Seiten der Regierung ausarbeiten sollen. Vielleicht trifft es im November auch die falschen, vermutlich einige sogar ganz sicher. Viele werden dabei wirtschaftlich auf der Strecke bleiben, das Virus wird Gesellschaft und Wirtschaft verändern. Das ist schlimm und viele Schicksale machen in dieser Zeit traurig. Ich bin froh, dass ich nicht über die Maßnahmen entscheiden muss. Letztendlich kann man es niemandem Recht machen und viele scheitern schon daran, in so einer Situation das Präventionsparadox zu verstehen. Und trotzdem sind Maßnahmen notwendig. Denn in einem sind sich alle einig: Größtmöglicher Schutz der Bevölkerung bei kleinstmöglichem Schaden der Wirtschaft. Den Weg dahin sehen viele Menschen unterschiedlich und jeder kämpft verständlicherweise für seine Position, für seine Gesundheit, seine Existenzgrundlage, seine Freude.
So auch der BVB:
In einem offenen Brief macht Borussia Dortmund seinem Ärger Luft und drückt die Enttäuschung über die aktuellen Entscheidungen aus, appelliert aber gleichzeitig auch an die Fans, auf sich und andere zu achten und verspricht erneut gesellschaftliche Hilfe. Es hätte ein schöner Brief werden können, hätte man einige Teile einfach weggelassen. Fangen wir mit den positiven Seiten des Briefs an.
1. Der Appell an die Fans, Kontakte einzuschränken und aufeinander zu achten, ist sehr schön. Es gibt ganz sicher beim BVB viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen es in der Seele wehtut, in ein leeres Stadion zu blicken. Sie wissen, welch soziale Kraft, wie viele Freundschaft, wie viel Leidenschaft in dieser Zeit verloren geht. Es ist komisch und schmerzt, nicht mehr mit dem gleichen Enthusiasmus auf den Fußball zu blicken, Menschen viel seltener zu treffen und den BVB nicht mehr im Stadion sehen zu können. Trotzdem ist es wichtig, zusammenzuhalten, Regeln einzuhalten und das Virus gemeinsam einzudämmen. Indem man dies ausspricht, nutzt der BVB seine wahnsinnige Reichweite um für den wichtigen Zusammenhalt "Werbung" zu machen.
2. Es ist toll,
dass der BVB wieder soziale Verantwortung übernimmt und wie schon im
Frühjahr Hilfe verspricht.
Und dann ist da noch der andere Teil, der zum Fremdschämen und in weiten Teilen peinlich formuliert ist:
1. Borussia Dortmund spricht aus einer massiv privilegierten Position heraus und stellt sich als ein Häufchen Elend dar. Ja, es mag schmerzen, dass keine Fans ins Stadion dürfen. Es schmerzt aber noch viel mehr, dass das Interesse verloren geht. Scheinbar sogar weit mehr als nur bei den Leuten, die nicht im Stadion sein konnten. Auf einmal war es nicht mehr so interessant, nicht mehr so fesselnd, nicht mehr so bedeutsam. Auf der Arbeit wurde ich nicht einmal auf das Derby angesprochen. Niemand frotzelte im Vorfeld, es war vielen einfach egal. Bereits im Frühjahr tappte man in die gleiche Richtung. Man wolle den Menschen Freude bringen, hieß es da. Eigentlich ging es aber vor allem ums Geld, wie man nach massiver Kritik zugeben musste. Diesmal geht es auch darum, an Bedeutung zu verlieren. Da sollte man nicht so markige Worte wählen, dass nichts härter trifft, als nicht vor Fans spielen zu können.
2. Der Profifußball entwickelte ein umfangreiches Hygienekonzept, um weiterspielen und schließlich auch wieder Fans ins Stadion lassen zu dürfen. Dass das Konzept gut ist und funktioniert, wurde an viele Stellen bereits gelobt. Ob sich jemand bei einem Fußballspiel infiziert hat, ist nicht nachgewiesen. Die Wahrscheinlichkeit ist tatsächlich gering und trotzdem ist ein Restrisiko vorhanden. Aktuell können nur rund 25% der Infektionen nachverfolgt und der Ansteckungsort lokalisiert werden, wie die Bundeskanzlerin gestern berichtete. Aber Haarspalterei soll gar nicht Inhalt dieses Abschnitts sein. Vielmehr: DFL und Vereine haben gemeinsam ein Konzept entwickelt. Es sah vor, dass man sich an den Inzidenzzahlen orientiert. 35 und 50 waren darin wichtige Schwellenwerte, da in diesen Bereichen die Nachverfolgung durch die Gesundheitsämter schwieriger bis unmöglich wird. Über diese Werte sind wir vor allem in NRW deutlich hinausgeschossen. Zur Reduzierung dieser Zahlen gehört dann auch, dass man Kontakte verringert, vor allem dort, wo sie nicht zwingend notwendig sind. Zum Beispiel bei einem Fußballspiel. Hans-Joachim Watzke sagte kürzlich noch im Aktuellen Sportstudio, dass man sich diese Grenzwerte im Konzept auferlegt habe und nicht nachverhandeln solle, um weiterhin als zuverlässiger Partner dazustehen. Eine richtige und wichtige Aussage, denn was bringt ein Konzept, wenn ich direkt dagegen verstoße, sobald es mir nicht mehr gefällt. Vielleicht hätte man von Anfang an einen höheren Inzidenzwert ins Papier schreiben lassen sollen. Jetzt einen anderen Kurs einzuschlagen und darauf zu verweisen, wie gut die Konzepte sind und dass Stadionbesuche weiter möglich sein sollten, konterkariert die kürzlich geäußerte Position von Watzke. Und gerade vor dem Hintergrund, dass in den letzten Wochen vermehrt Corona-Fälle in Profivereinen auftauchten, sollte man vielleicht auch kleinere Brötchen backen und vorbildlicher agieren.
3. "Gerade vor diesem Hintergrund ist es schwierig zu akzeptieren, dass Fakten nicht zählen." Uff, was für ein Brett einer Formulierung. Wen auch immer es geritten hat, einen solchen Satz in den offenen Brief zu schreiben, er hätte es besser gelassen. Natürlich ist die Intention verständlich. Natürlich gibt es in den Maßnahmen nur ein gewisses Maß an Schwarz/Weiß bzw. Ja/Nein oder Auf/Zu. Aber das Ganze in einem trumpschen Fakenews-Zungenschlag zu schreiben, ist einfach nur peinlich und kann dann auch nicht mehr ernst genommen werden.
4. Dass der BVB die Beschlüsse mitträgt, ist gnädig. Sollte aber
selbstverständlich sein. Als großer gesellschaftlicher Akteur
gehört das einfach zur Vorbildfunktion und hätte nicht explizit
erwähnt werden müssen. Musste es aber, schließlich hat man vorher
schon schmerzlich darüber gejammert. Immerhin bringt dieser Spin den
Brief wieder auf den richtigen Weg. Trotzdem kann man sich als
Fußballverein, der Millionengehälter zahlt, der gerade neue
Verträge verhandelt und Teenager für x Millionen einkauft, eine
solche Erklärung a la "Wir verstehen die Beschlüsse, aber ..."
klemmen. Sachliche Kritik gehört zum politischen Diskurs,
Vorschläge, wie man es besser machen könnte, auch. Aber aus einer
privilegierten Position zu jammern, beinhaltet keines dieser beiden
Dinge.
Schön, dass der BVB einen offenen Brief an seine Fans geschrieben hat. Man hätte es aber besser gelassen und den Text vorher gründlich gekürzt. So geht das Wesentliche im peinlichen Gejammer unter.