Ostwestfalen Idioten
Auch in der nächsten Saison wird der Landkreis OWL in der Bundesliga vertreten sein, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Zwar steigt der SC Paderborn dankenswerterweise direkt wieder ab, aber mit Kühe-Schweine-Bielefeld steht ein ungleich bekannterer Vertreter dieser Region unmittelbar vor dem Wiederaufstieg. Auf der einen Seite vielfach belächelt, ist er auf der anderen Seite doch ein Club, mit dem ich für mich viele Erinnerungen verbinde – unter anderem auch den emotionalen Tiefpunkt meines Fanlebens.
Zuerst einmal ist da das Stadion, das zwar leider mittlerweile auch eine typische Arena nach dem Hellmich-Prinzip ist, aber nach Umbau zuerst mit dem kuriosesten Auswärtsblock der Liga aufwarten konnte. Irgendwie schien man bei der Planung nicht daran gedacht zu haben, dass sich auch auswärtige Menschen in diesen eher bäuerlich geprägten Landstrich begeben könnten und so hatte man das Gefühl, irgendwie außerhalb des Stadions zu stehen, so weit nach Außen weggequetscht war dieser Bereich. Dafür konnte und kann die „Alm“ immer noch mit ihrer Lage punkten. Wo gibt es noch im Profifußball Stadien, die mitten in einem Wohngebiet liegen? Zu Fuß vom Bahnhof durch richtige Straßen, statt mit Shuttlebussen in irgendwelche gottverlassenen Landstriche gekarrt zu werden. Es ist durchaus angenehm, sich als Fußballfan nicht so zu fühlen, als würde man am Spieltag in eine Leprakolonie abgeschoben werden.
Und es war der Ort eines oft vergessenen, aber durchaus historischen Moments: das erste Pflichtspieltor von Delron Buckley für den BVB nach einer gefühlten Ewigkeit in unserem Trikot. Der fiese Teil unserer Redaktion hatte schon früher mit der Idee geliebäugelt, der Schwatzgelb.de-Printausgabe, die im direkt folgendem Heimspiel erscheinen sollte, einen CD-Rohling mit einer Hülle „die schönsten Tore von Delron für den BVB“ beizulegen und so mischte sich in die Freude über das Tor auch Erleichterung darüber, dass wir uns diesen dann zugebenermaßen doch eher unfeinen Scherz geklemmt haben. Es wäre ein, dann auch irgendwie verdientes, Eigentor gewesen.
Darüber hinaus hat die Arminia die wohl geilste Imagekampagne aller Zeiten im Fußballgeschäft hingelegt. Ob bei den Blauen, oder bei uns, der Gesang: „Ostwestfalen Idioten – scheiß Arminia Bielefeld“ war Allgemeingut (und wird es hoffentlich auch wieder werden). Bielefeld drehte den Spieß einfach um und veröffentlichte Plakate mit ziemlich asigen Ruhrpottgestalten, stilecht mit Bierkanne in der Hand, VoKuHiLa / Dauerwelle und in jeweils einem blauweißen und einem schwatzgelben Trikot, versehen mit dem Schriftzug „Ostwestfalen Idioten?“. Einfach großartig und umso ein Vielfaches besser als diese ganzen heutigen Marketinggeschichten, die sich nur um schmalzige Selbstverliebtheit drehen. Ich mag die Arminia nicht, aber für diese Aktion habe ich sie geliebt.
Am tiefsten eingebrannt hat sich bei mir und vielen anderen Borussen jedoch der 30.03.2007. Der Insolvenz gerade noch einmal von der Schüppe gesprungen, waren wir im Tabellenkeller angekommen und nach 27 Spieltagen auf Platz 15 gerade einmal so eben „über dem Strich“. An diesem Freitagabend ging es ins direkte Duell gegen unseren westfälischen Nachbarn, der mit drei Punkten Rückstand auf uns Vorletzter der Tabelle war. Selbstredend machten sich so viele Borussen wie möglich auf den Weg und der Gästeblock war rappelvoll. Der Teil war noch nicht umgebaut und so schepperte es unter dem alten Wellblechdach zu Beginn voller Lautstärke „wir steigen niemals ab, allez, allez“. Das waren unsere Ansprüche zu dem Zeitpunkt. Von dem Spiel selber weiß ich eigentlich gar nicht mehr viel, es war auch ziemlich ereignisarm – bis Jonas Kamper in der 80. Minute den Siegtreffer für die Gastgeber erzielte. Ein völliger Tiefschlag. Der Weg zurück zum Bahnhof war der stillste und bedrückendste „Fanmarsch“, den die Welt je gesehen hat. Die Gesichter waren leer, fassungslos und die ein oder andere Träne war zu sehen. Es war zwar erst der 27. Spieltag und unten waren alle Mannschaften dicht beisammen, aber gefühlt sind wir in dem Moment abgestiegen. Auch wenn zwischen diesem Moment und dem Beginn einer Zeit mit Meisterschaften, Pokalsiegen und Finalteilnahmen nur vier Jahre liegen sollten, emotional waren wir an diesem Abend ganze Erdzeitalter davon entfernt. Der BVB lag ziemlich am Boden und jedem ging im Kopf herum, was mit dem Verein bei einem Abstieg passieren würde.
So verbindet mich mit dem DSC Arminia Bielefeld unterm Strich eine Hassliebe. Auf der einen Seite assoziiere ich mit diesem Verein viel mehr als mit den meisten anderen Aufsteigern der letzten Jahre, andererseits weckt der Gedanke auch schmerzhafte Erinnerungen. Letzteres lässt sich vielleicht durch Siege bekämpfen. Möglichst viele und möglichst hohe.
In diesem Sinne: willkommen zurück, Arminia. Es wird weh tun.