Mentalitätsscheiß - Folge X
Der Fußball nähert sich so langsam wieder dem Normalbetrieb. Die Fans kehren, wenn auch in überschaubarer Anzahl, in die Stadien zurück, der erste Trainer wurde entlassen – an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den fantastischen Job, den Dave Wagner in Gelsenkirchen verrichtet hat – und zum Ende der Transferperiode werden so langsam auch die Wechselgerüchte hektischer. Und da im Profifußball alles hektisch, laut und schablonenhaft ist, kann man dann auch mal bei unserer Borussia schon nach dem zweiten Spieltag ein altes Thema auf Wiedervorlage nehmen: den „Mentalitätsscheiß“.
Natürlich befinden wir uns ganz am Anfang der Saison und überraschende Ergebnisse sind zu diesem Zeitpunkt alles andere als eine Seltenheit. Und klar, der BVB hat eine überproportional große Anzahl von Spielern in den Reihen, bei denen man nicht weiß, ob sie ein Teil ihres Gehalts nicht noch in eine Tüte Gemischtes (ohne Lakritz) an der Bude um die Ecke investieren, so dass Leistungsschwankungen ganz normal sind. Trotzdem konnte man im Spiel in Augsburg ein Muster erkennen, das einem leider nur allzu vertraut erschien.
Ein Spielverlauf wie aus "Und täglich grüßt das Murmeltier"
Es begann mit einer starken Viertelstunde zu Beginn, in der man das Spiel wirklich dominierte und auch zwei, drei gute Möglichkeiten aus dieser Überlegenheit kreieren konnte. Dann hörte man irgendwo leise im Hintergrund Cher und Sonny „I got you babe“ trällern, gefolgt von einer Stimme, die einen fröhlichen Murmeltiertag wünschte. Nicht nur Bill Murray hatte ab diesem Moment eine Ahnung, wie der Tag von da an ablaufen würde. Aus der Dominanz wurde effektloser Ballbesitz zum Selbstzweck und als es die Fuggerstädter dann auch noch mit ein paar Fouls schafften, Hektik und Kampf ins Spiel zu bringen, war der Faden endgültig verloren. In der Folge konnte unsere Borussia zwischen Spielminute 20 und 75 so gut wie gar keine Torgefahr mehr entwickeln und schob sich den Ball uninspiriert so lange hin und her, bis Neuzugang Meunier die Szene dann mit einem sinnfreien Flankenball aus dem Halbfeld endgültig beendete. Augsburg machte es viel cleverer und hatte neben den beiden Toren noch zwei, drei Umschaltmomente, die sie nicht richtig zu Ende spielten.
Das kann unterm Strich alles passieren, aber nach Abpfiff blieb das schale Gefühl, gewisse Verhaltensmuster wiederzuerkennen und derartige Spielverläufe schon häufiger erlebt zu haben. Dabei muss man erst einmal sehen, dass Favres Spielweise, den Gegner geduldig müde zu spielen, in der Praxis oft wenig mitreißend wirkt, gegen massiv stehende Gegner in der Regel aber gut funktioniert. Wer das nicht sieht, darf sich gerne mal die letzten Spielzeiten unter Jürgen Klopp anschauen, in denen es nur noch wenige Pressingmomente gab und wir uns gegen massiv stehende Gegner wirklich gequält haben. Die große Gefahr bei dieser geduldigen Spielweise ist, dass die Elf auf dem Platz den Fokus verliert. Die Passstafetten verlagern sich ins Mittelfeld, die Passwege wiederholen sich und die Schärfe nimmt ab. Ab diesem Moment ist es für den Gegner ein Leichtes, uns mit überschaubaren Kraftaufwand zu verteidigen.
Damit das nicht passiert, haben wir eigentlich auch erfahrene Spieler verpflichtet, die diese „Kipppunkte“ erkennen und gegensteuern sollten. Umso alarmierender, wenn sich z.B. Mats Hummels nach Abpfiff mit folgenden Worten äußert:
"Ich habe das Gefühl, dass wir in vielen Bereichen ein sehr gutes Spiel gemacht haben. Wir hatten auf keinen Fall weniger Chancen als der FCA."
Die Anzahl der Zuschauer, die dem BVB ein sehr gutes Spiel in Augsburg attestieren, dürfte dagegen an einer Hand abzählbar sein. Dabei wurde Hummels auch in der Hoffnung wieder zurückgeholt, dem BVB etwas von dem „Bayern-Gen“, dem Erfolgshunger, einzuimpfen. An der Säbener Straße jedoch, wird man solche Aussagen nach einer derartigen Niederlage eher nicht hören. Aus diesen Worten klingt eine Selbstzufriedenheit, eine Genügsamkeit mit dem, was man hat, die einerseits irritiert, andererseits aber auch den Spielverlauf erklärt.
Schnelle Akzeptanz der Niederlage
Spätestens mit dem 2:0 für Augsburg in der 54. Minute hatte man das Gefühl, als hätten die Spieler die Niederlage schon als gegeben akzeptiert und das Spiel innerlich abgehakt. Bei 80 % Ballbesitz konnte man ja nicht so viel falsch gemacht haben, kannste also nix gegen tun. So zumindest wirkte es, wenn man auf dem Platz sah, wie die Augsburger bei schnellen Angriffen und trotz Führung mit zwei Toren mit vier oder fünf Spielern aufrückten, während die Kicker im schwatzgelben Dress eher gemächlich den Weg zurück antraten. Es schien, als wäre man kollektiv der Meinung verfallen, dass es nun auch eher nebensächlich sei, ob man nun 0:2, oder 0:3 verlieren würde. Den Eindruck, dass man es für machbar hielte, aus einem Rückstand mit zwei Toren in einer halben Stunde noch mindestens ein Unentschieden zu machen, erweckte niemand.
Übergeordnet passt in dieses Bild auch der Umstand, dass die Mannschaft im Laufe der Vorbereitung den Erzählungen nach ein Beibehalten der Fünferkette gewünscht habe, während Lucien Favre eigentlich lieber mit einer Viererkette spielen würde. Mit Sicherheit gibt es Argumente für eine Fünferkette. Da ist zum einen ein gewisses Geschwindigkeitsdefizit in der Abwehr, andererseits auch ein kompliziertes Stärke-/Schwächeprofil der Außenverteidiger. Fakt ist aber trotzdem, dass man sich personell gerade in dem Bereich beschneidet in dem man das größte Potenzial hat, weil man einen offensiven Spieler für einen defensiven opfern muss. Dabei hat die Viererkette in der letzten Saison vor allem deshalb nicht funktioniert, weil die Abwehrarbeit der Offensivspieler oft einfach schwach war. Wenn zwei, drei Leute beim gegnerischen Spielaufbau die Wege nur alibimäßig mittraben, gerät das ganze Konstrukt ins Wanken und der Gegner hat leichtes Spiel. Dass man dann den bequemen Weg wählt und sich lieber ein defensiveres System wünscht, statt härter an seinen Fehlern zu arbeiten, spricht dann auch irgendwo für sich.
Die Mannschaft hat wirkliches Potenzial – wenn aber die selbstgeäußerten Ambitionen auf irgendwelche Titel mal Realität werden sollen – was angesichts des finanziellen Rückstandes auf ganz vorne eh eine verdammt schwere Mission ist -, muss sie härter daran arbeiten, dieses Potenzial auch voll auszuschöpfen.