Derbysplitter
Dieses Derby wird allen in Erinnerung bleiben. Traurigerweise nicht allein, weil man den ungeliebten Gegner mit 4:0 richtig amtlich abgefertigt hat, sondern weil es eben das Corona-Geisterderby war. Keine Fans, kein gemeinsamer Jubel, klinisch rein. Kein Wunder, dass ganz besonders dieses eine Spiel jeder selber für sich einordnen muss. Ein richtig oder falsch gibt es dabei nicht. Bei mir werden folgende, kleine Splitterstücke zu diesem Derby hängen bleiben:
Eigentlich war für den Samstag kein Lauf geplant. Aber irgendwie bekam ich mittags Lust, die Laufschuhe rauszuholen, die Kopfhörer aufzusetzen und auf die Piste zu gehen. Nicht weit, ein gemütlicher Lauf von vielleicht 10 Kilometern. Nach dem ersten Kilometer kam der Gedanke, dass in dieser Richtung ja das Stadion liegt und es fühlte sich auf einmal genau richtig an, das als Zielpunkt zu wählen. Zwischen meiner eigentlichen Haustür und meiner zweiten auf dem Vorplatz der Nordtribüne liegen 5,8 Kilometer und es war ja schließlich Heimspiel. Nicht, um zu bleiben, sondern einfach nur um „Hallo“ zu sagen. Also an der Uni vorbei, durch Barop durch, den Weg „Am Westfalenstadion“ entlang bis zum Vorplatz. Es waren noch rund 2,5 Stunden bis zum Anpfiff und wo sich sonst die schwatzgelben Massen auf die Eingänge zuschieben, herrschte gähnende Leere. Abgesehen von Kamerateams, die genau diese Atmosphäre einfangen wollten. Und von einem dieser Kleinstgruppen hörte ich laut meinen Namen gerufen. Ein Freund und ehemaliges Redaktionsmitglied hatte genau den gleichen Gedanken und sich von der anderen Seite auf den Laufweg zum Stadion gemacht. Ein Grinsen, einige Worte und noch ein paar Meter zusammen gelaufen und dann endete die Begegnung wieder. Trotzdem habe ich in dem Augenblick wieder etwas Fußballmagie gefühlt. Das Gefühl, dass das Stadion nicht einfach nur irgendein beliebiger Ort ist, sondern ein fixer Punkt im Leben. Ein Ort, an dem man gerne ist. Vor allem aber ein Ort, der Gemeinschafft schafft, weil er vielen Menschen wichtig ist.
Gleichzeitig war es ein trauriger Anblick, diesen Ort an einem Derbysamstagmittag so bedrückend still zu sehen. Dabei war von Anfang an klar, dass dieser Platz um 15.30 Uhr leer sein wird. Schon bei der ursprünglichen Ansetzung als Geisterspiel wurde von allen aktiven Gruppen und Fanorganisationen dazu aufgerufen, nicht zum Stadion zu gehen. Bei diesem Aufruf ist es geblieben und wer verfolgt hat, welches soziale Engagement von dieser Seite in Zeiten des Lockdowns aufgebracht wurde, konnte niemals auf den Gedanken kommen, dass man das entgegen allen Aussagen beim Derby auflaufen würde. Ebenso klar war, dass vereinzelte Aufrufe irgendwelcher unbekannten Spinner im Internet niemals dafür sorgen würden, dass es dort vor Ort zu einem Fantreffen kommen würde. Ohne Vernetzung und Organisationsgrad hinter solchen Aufrufen, bleiben die Leute einfach zuhause.
Deshalb ist es ziemlich irritierend, dass sich die Polizei, die im Vorfeld angekündigt hatte, mit großer Präsenz am Stadion einsatzbereit aufzulaufen, öffentlich begeistert über das vorbildliche Fanverhalten zeigt, statt zu hinterfragen, warum man eine offensichtliche Lage im Vorfeld so falsch eingeschätzt hat. Warum die Polizisten der Hundertschaften diesen Samstag Nachmittag nicht zum Abbau der vielzitierten Überstunden nutzen durften, können sie gerne mal ihren Einsatzleiter fragen.
Dann war da natürlich noch das Spiel an sich. Es war gut, mal wieder Fußball zu sehen und ein gewonnenes Geisterderby ist immer noch viel besser als ein verlorenes Geisterderby. Trotzdem hat mir vor allem dieses 4:0 einen Stich versetzt. Schon lange warte ich auf die Revanche für das 0:4 zuhause in der Saison 2000/2001. Auf das Derby, das nicht nur gewonnen wird, sondern bei dem der Gegner richtig amtlich von der Platte gefegt wird. Dann kommt dieser Tag und niemand ist im Stadion. Kein tobendes, strahlendes Heimpublikum, kein Gästeteam, das mit hängenden Köpfen vom eigenen Anhang abgestraft wird. Diese Revanche wird immer den Makel des „Geisterderbys“ haben. Nicht richtig, nicht vollwertig. Gleichzeitig ist sie aber auch nicht zu wiederholen, weil ein erneuter Sieg in dieser Höhe immer nur das zweite Mal wäre. Es ist so, als hätte man schon lange auf einen schicken Sportwagen eines italienischen Herstellers gespart und wenn man ihn nach vielen Jahren bekommt, sitzt man bei der ersten Fahrt nur auf dem Beifahrersitz. Man spürt das Wummern der Pferdestärken unter der Haube, hört den röhrenden Sound aus dem Auspuff – aber man ist nicht wirklich Teil des Ganzen, nur Zuschauer. Auch wenn man später den Platz wechselt und den Wagen selber startet, die Magie des Neuen ist verschwunden und sie kommt nie zurück.
Am Ende bleibt nur die vage Hoffnung, dass dieses Derby das einzige seiner Art war.