Justice for...
Zuerst einmal ein Griff tief in die Kiste sinnfreier Statistiken: Vergleicht man nur die ersten Halbzeiten, die unser BVB und der Auf- und mutmaßliche auch gleich wieder Absteiger aus Paderborn in dieser Erstligasaison gegeneinander gespielt haben, stünde es 3:0. Für Paderborn. Die zweiten Halbzeiten fallen dann mit 9:1 Toren für die Schwatzgelben dagegen wieder standesgemäß aus. So stand am Ende des Geisterrückspiels ein sattes, deutliches 6:1, das zusammen mit dem Auswärtssieg in Köln 1994 das deutlichste Ergebnis in der Fremde darstellt.
Und noch zwei Statistiken, weil sie so viel Spaß machen. Addiert man geschossene und kassierte Tore der Blauen, kommt man auf 80 Buden. Das entspricht genau der Zahl an eigenen Treffern bislang von uns. Und (Achtung: Spoiler) Schmelzer würde mit seinem Tor und seiner Vorlage in der vereinsintern Scorerliste der Blauen gleichauf mit Stürmer Gregoritsch liegen. Noch vor Burgstaller und Matondo.
Genug der Häme, rauf auf den Platz. Die erste Halbzeit ist schnell erzählt, da relativ ereignisarm. Paderborn griff auf das Erfolgsrezept der ersten 45 Minuten aus dem Hinspiel zurück, wollte hinten laufstark keine Lücken lassen und vorne mit schnellen Angriffen die Umschaltsituationen lösen. Das funktionierte zumindest 30 Minuten lang halbwegs, in denen wir relativ uninspiriert den Ball in den eigenen Reihen wandern ließen, gleichzeitig aber dem Gegner nur halbgare Torschussgelegenheiten zugestanden. Auf Dortmunder Seite verhinderten zahlreiche Unzulänglichkeiten in der Offensive wirkliche Gefahr. Hakimi wirkte nicht immer konzentriert, so dass ihm einige Bälle bei der Annahme versprangen, Sancho verzettelte sich oft in Einzelaktionen und Julian Brandt wollte nicht so wirklich eine zündende Idee kommen. Erst Guerreiros Großchance nach 26 Minuten läutete eine Dortmunder Dominanz ein, die bis zum Ende der 90 Minuten auch nicht mehr brechen sollte.
Das 1:0 durch Hazard in der 54. Minute war dann auch folgerichtig. Can tankt sich zur Grundlinie durch, Paderborns Keeper Zingerle lenkt den Ball dankenswerterweise so in die Mitte vor Hazards Füße, dass das Tor eins der Marke „hätte meine Oma mit dem Krückstock gemacht“ wurde. In der Folge merkte man, dass Paderborn den hohen Laufaufwand der ersten Halbzeit nicht einmal ansatzweise aufrecht erhalten konnte. Nur drei Minuten später schob Sancho, der wohl endlich einen begehrten Friseurtermin ergattern konnte, den Ball begleitet von Paderborner Protesten zum 2:0 ein. Dabei hatten die Hausherren insofern Recht, als dass bei der Balleroberung im Mittelfeld Guerreiro sehr wohl die Hand im Spiel hatte, blendeten allerdings aus, dass sie im Ballbesitz blieben und die Kugel selber mit einem Fehlpass angriffsbereit servierten. Alles richtig gemacht vom Schiri und Kölner Keller.
Gleiches konnte man in Minute 72 allerdings nicht sagen. Can legt sich im Strafraum mit angelegten Arm und ohne Blickkontakt zum Ball in eine Flanke und bekommt den Ball aus maximal zwei Metern Entfernung an den Ellenbogen. Boatengs Szene letzten Dienstag war da deutlicher und der Pfiff blieb damals aus. An dieser Stelle gab es allerdings einen total albernen Elfmeter und der Kölner Keller übte sich in social distancing zu allem, was man als gesunden Menschenverstand bezeichnen kann.
Dass man aus Dortmunder Sicht den Treffer zum 1:2 verschmerzen konnte, lag an zwei Dingen. Einerseits stellte Sancho fast postwendend den alten Abstand wieder her, andererseits war es Uwe Hünemeier, der den Elfer unhaltbar einschoss. Wenn es schon einer machen musste, dann wenigstens einer von uns.
In der 80. Minute wechselte Lucien Favre dann Schmelle für Guerreiro ein und ahnte wohl selber nicht, dass er damit aus einem klaren Sieg ein Schützenfest machen würde. Erst tanzte Schmelzer leichtfüßig wie Messi (ok, Messi mit Gipsbein) die Strafraumkante entlang und legte auf Hakimi zum 4:1 ab, dann lief er einfach mal komplett durch und schob dem Ball am Ende eines Angriffs, der sehenswert von Morey eingeleitet wurde, zum 5:1 selber ein.
Mit dem Abpfiff machte Sancho das halbe Dutzend voll und schob sich mit seinem dritten Treffer auf Platz 1 der Scorerliste vor. Man kann jetzt darüber diskutieren, ob es ein bewundernswerter Charakterzug der Mannschaft von Trainer Steffen Baumgart ist, bis zum bitteren Ende nach vorne spielen zu wollen, oder schlicht und ergreifend dämlich, selbst beim Stand von 1:5 bei einer Ecke in der 91. Minute noch so hoch zu stehen, dass man hinten dann eine Eins-gegen-Zwei-Unterzahl hat.
Was sonst noch wichtig war
Jadon Sancho und Achraf Hakimi präsentierten bei ihren Toren einen Schriftzug auf dem Funktionsuntershirt mit der Aufschrift „Justice for George Floyd“. An diesem Spieltag protestierten auch noch der Schalker McKennie und Gladbachs Thuram gegen die kaltblütige Ermordung des Afroamerikaners durch einen weißen Polizisten in Minneapolis. Dass es jetzt ernsthaft Diskussionen darüber gibt, ob der DFB gegen diese Stellungnahme ermittelt, ist nur ein weiterer Punkt auf der Liste der Probleme, die man mit diesem Verband hat. Ja, persönliche Botschaften auf der Spielerkleidung sind verboten und grundsätzlich ist das ok. Es war in früheren Zeiten einfach nervig, dass jeder zweite Torschütze erst einmal zur nächsten Kamera gelaufen ist und via Schriftzug Jesus für den Treffer gedankt, seine schwangere Frau gegrüßt oder eine versteckte Botschaft seinen privaten Ausrüsters präsentiert hat.
Der Fall hier ist jedoch anders gelagert. Hier geht es um den wichtigen und allgegenwärtigen Kampf gegen Rassismus und der DFB, der in der Vergangenheit kein Problem hatte, korrupte Personen in der eigenen Führungsspitze zu erdulden, oder einen oberkorrupten Infantino an der Spitze der FIFA zu bestätigen, sollte sich tunlichst hüten, hier zum korinthenkackenden Paragraphenreiter zu mutieren, will man sich als Verband nicht vollends lächerlich machen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum eigentlich nur nicht-weiße Torschützen sich derart positioniert haben. Letztendlich verfestigt sich damit der Eindruck, dass Rassismus das Problem der anderen ist. Und ja, natürlich werden Weiße vergleichsweise selten Opfer von Rassismus – dafür sind sie allerdings verdammt oft Täter. Also los, ihr Hazards, Lewandoswskis, Werners, Müllers und Havertz: Malt euch doch auch mal was aufs Shirt und stellt euch an die Seite eurer Arbeitskollegen, statt sie in ihrem Protest alleine zu lassen.
Tore für Spitzenteams fallen in der Geisterspielära eh mehr als genug. Warum sie nicht mal sinnvoll nutzen?