„Fußball, alter Freund, ich danke dir.“
Er war langjähriger BVB-Torwart, 1965 DFB-Pokalsieger und 1966 Europapokalsieger. Für die deutsche Nationalmannschaft stand er 39-mal im Tor, und sein Name wird wohl für immer untrennbar mit der Frage verknüpft sein, ob der Ball im Finale der Fußballweltmeisterschaft in Wembley 1966 in seinem Tor war oder nicht: Hans Tilkowski kann auf eine ereignisreiche und erfolgreiche Fußballlaufbahn zurückschauen. Dieses Interview ist ursprünglich in der Sonderausgabe des "Straßenmagazin – bodo e.V." zur Bundesligasaison 2016/17 erschienen.
schwatzgelb.de: Wir sitzen direkt neben der Roten Erde. An welches Spiel hier haben Sie die besten Erinnerungen?
Hans Tilkowski: Wir haben hier so viele tolle Spiele gemacht, aber das beeindruckendste Spiel bleibt das 5:0 gegen Benfica Lissabon 1963. Immer, wenn ich Leute aus der älteren Generation treffe, erinnern sie sich daran und sagen: „Mensch, ich war damals im Stadion.“ Wir hatten 2:1 in Lissabon verloren und Benfica war damals von der Stärke her mit dem heutigen FC Barcelona zu vergleichen. Für uns war bei Erreichen der nächsten Runde eine Prämie von 250 DM ausgesetzt. Dann ist noch ein bisschen gepokert worden, aber der Vorstand glaubte gar nicht, dass wir diese Mannschaft schlagen können. Die Prämie wurde auf das Doppelte erhöht und dann kam dieses 5:0 zu Stande.
Gibt es auch negative Erinnerungen an Spiele hier?
Ja, was ich natürlich ganz gerne gewonnen hätte, war das Spiel nach dem Gewinn der Europapokalmeisterschaft gegen 1860 München. Wir haben dann noch ein Spiel in Bremen 1:0 verloren, mussten hier von der Taktik ganz anders spielen und haben gegen eine wirklich gute Mannschaft von 1860 München 2:0 verloren. Wir sind in zwei Konter reingelaufen, das war traurig. Man hätte genauso gut die Meisterschaft gewinnen können, wenn die volle Konzentration wie in den anderen Spielen vorher da gewesen wäre, aber die war durch den Sieg in Glasgow ziemlich runtergefahren.
Sie haben den Gewinn des Europapokals 1966 schon erwähnt. Wieso war denn Ihre Mannschaft so erfolgreich, was hat sie so besonders gemacht?
Auch in dieser Mannschaft waren schon Nationalspieler dabei. Bevor ich zur Borussia ging, hatte ich 18 Länderspiele und dann kamen noch mal 21 dazu. Aber ich glaube, ausschlaggebend für die damalige Mannschaft war, dass wir 1965 deutscher Pokalsieger in Hannover geworden sind. Da hat sich diese Mannschaft herauskristallisiert. Wir haben dann mit einem neuen Trainer, mit Fischken Multhaup, andere Impulse setzen können. Dazu kam die Verstärkung durch Siggi Held und Stan Libuda, so dass das Gesamtbild der Mannschaft nicht verändert worden ist. Man hat ein bisschen ergänzt, und ich glaube, das war die Stärke. Und wie es im Fußball überall ist, Siege geben Selbstvertrauen, machen stark, und man hat ja auch gesehen, dass man uns das bei verschiedenen Spielen gar nicht zugetraut hat.
Und wie haben Sie das Endspiel in Glasgow gegen den FC Liverpool erlebt?
Wir haben gegen West Ham United, den Vorjahressieger von 1965, in West Ham mit 2:1 gewonnen, hier in Dortmund haben wir 3:1 gewonnen. Wir waren krasser Außenseiter. Liverpool war damals englischer Meister, und so haben die sich auch aufgeführt, vor allen Dingen der Trainer Bill Shankly. Er war abgehoben, er meinte, er könnte mit der Reservemannschaft gegen uns spielen und glaubte ganz fest an seinen Sieg. Bei uns war kein Zweifel da, wir sind selbstbewusst in das Spiel gegangen und Fischken Multhaup meinte damals: „Wir können zehnmal gegen Liverpool spielen und verlieren neunmal, aber dieses eine Spiel müssen wir gewinnen und das gewinnen wir auch.“ Und ich glaube, dieser Auftrieb war gegeben, indem wir 1:0 in Führung gegangen sind. Das hat der Mannschaft noch mal zusätzliche Kräfte gegeben. Wir haben dann den Ausgleich hinnehmen müssen. Aber der Ball war im Aus, das steht ohne Zweifel fest. Und dann sind wir in der Verlängerung durch das Libuda-Tor in Führung gegangen. Im Gegensatz zu heute waren das 120 Minuten mit elf Spielern, manchmal nur mit 10,5 Spielern, wenn der eine mal verletzt war. Man hat aber nicht geklagt, weil man nichts anderes kannte. Es waren schon Spieler, die von der Laufarbeit sehr, sehr stark waren, und ich glaube, Liverpool war selbst überrascht von der kämpferischen, läuferischen Leistung. Obwohl Liverpool der große Favorit war, haben wir sie 2:1 geschlagen.
Wie begann denn Ihre Karriere?
Ich komme von der Straße, ich war Straßenfußballer. Ich habe mit meinen Kumpels zusammen gespielt, und so hat sich das entwickelt, wie eine Spirale, es ist immer größer geworden, das ist das Schöne. Dann bin ich in einen Verein gekommen, habe geboxt, später bin ich Vertragsspieler und schließlich Nationalspieler geworden. Und deswegen sage ich dem Fußball: „Alter Freund, ich danke dir.“ Der Fußball hat mein Leben bestimmt und auch verändert. Ich habe Stahlbauschlosser gelernt, vielleicht hätte ich dann irgendwo bis 65 in diesem Beruf gearbeitet. Aber der Fußball hat mir sehr viel gegeben. Ich habe die Welt gesehen, habe viele Menschen getroffen. Dieser Tage habe ich noch darüber gesprochen, als die Königin von England 90 geworden ist. Als ich sie kennenlernen und ihr die Hand geben durfte, war sie 40. Sie war eine sehr schöne Frau.
Der Titel Ihrer Autobiografie lautet „Und ewig fällt das Wembley-Tor“. Ist Wembley für Sie eher Fluch oder Segen gewesen?
Beides. Die meisten sagen: „Das 3:2 hat dich weltbekannt gemacht.“ Ich sage aber, ich wäre trotzdem gerne Weltmeister geworden. Man will ja gewinnen, man spielt, um zu gewinnen, um Titel zu bekommen. Auf der anderen Seite ist der Bekanntheitsgrad durch dieses Tor hoch. Wer spricht sonst von einem Spiel, das 50 Jahre zurückliegt? Mir war wichtig, dass wir nach 1954, nach dem sensationellen Sieg gegen Ungarn, als Mannschaft im Wembley Stadion sportpolitisch Fair Play gezeigt haben, wie es das noch nie gegeben hat. Wir dachten, gut, wir haben das 2:2 in der regulären Spielzeit geschafft, vielleicht schaffen wir das 3:3 auch noch. Es gibt sehr viele Leute, die sagen, es sei ganz toll, wie viel die Mannschaft für Deutschland getan hat, indem sie keinen lauten Protest angestimmt hat.
Sie haben sich nach Ihrer Karriere oft sozial engagiert, warum?
Ich komme aus keinem reichen Elternhaus, mein Vater war Bergmann. Ich habe den Zweiten Weltkrieg und die zerbombte Stadt erlebt. Gott sei Dank konnten wir durch das Vieh, das wir bei uns im Haus gehalten haben, auch die Nachkriegszeit ganz gut überleben. Aber es war kein Leben in Saus und Braus. Und meine soziale Ader habe ich vermutlich von meiner Mutter. Mein erstes Engagement war, mit einem Benefizspiel Geld für Spielgeräte zu sammeln, die an einer Schule für behinderte Kinder in Herne gebraucht wurden. Und wenn man einmal anfängt, geht es los. Ich habe viele Veranstaltungen organisiert. Der Unterschied zwischen Reden und Tun, der ist mir nämlich oft zu groß. Da das Geld, um das ich bettle, nicht für mich ist, kann ich einen größeren Mund haben.