Wie ein Champion
Die zweite Halbzeit des Spiels in Berlin wird zukünftig in der Rückschau zur Saison 2018/2019 eine zentrale Rolle einnehmen. Es waren die 49 Minuten, in denen unsere Mannschaft in Wort und Tat zeigte, dass sie wirklich Meister werden will.
Vorbei die Zeit des verklausulierten „von Spiel zu Spiel“- Denkens und des „mal schauen, wo wir dann am Ende der Saison stehen“. Borussia Dortmund meldet Ansprüche auf den Titel an. Spät, aber nicht zu spät.
Lange hielt man an dem erfolgreichen Credo der Saison 2010/2011 fest, in der man zurückhaltend, fast schon bescheiden so lange das Wort „Meisterschale“ umkurvte, bis Reinhard Rauball sie Sebastian Kehl dann am letzten Spieltag auch tatsächlich in die Hand drückte. Für einen Underdog wohl genau die richtige Taktik, um Druck aus dem Kessel zu nehmen. Für den BVB in der aktuellen Zeit ist sie es aber anscheinend nicht mehr, schließlich sind in der Zwischenzeit Spieler zu uns gewechselt, die die feste Absicht haben, hier Titel zu holen. So wirkte die Mannschaft dann nach dem guten Start in die Rückrunde auch ein wenig orientierungslos, als die Rückschläge gegen Bremen und Hoffenheim kamen. Alle spürten, dass die Bayern aufholten, der Vorsprung schmolz und die Meisterschaft in Gefahr war. Dabei war sie ja gar nicht das offizielle Ziel und unterm Strich war man in der Liga immer noch gut dabei.
Mit dieser Denke ist seit Samstag Schluss und das ist nur folgerichtig. Für die Teilnahme an der Champions League ist es ziemlich egal, ob man sich nun als Zweiter, Dritter oder Vierter für das Turnier qualifiziert und der Abstand auf die Frankfurter ist mit 14 Punkten bei noch acht ausstehenden Spielen so komfortabel, dass man schon mehr als nur mächtig dumm sein müsste, damit das Minimalziel der Saison noch in Gefahr gerät. Es kann nur noch darum gehen, die Bayern wieder vom ersten Platz zu verdrängen und sich dort zu behaupten. Dafür braucht es Siege, Siege und nochmals Siege.
Offenbar hat es dann in der Kabine des Berliner Olympiastadions „klick“ gemacht und es ist genau der richtige und notwendige „Arschlecken, Volldampf voraus“-Geist eingezogen. Ein 1:2-Rückstand, personell schwierige Situation und ein schwer bespielbarer Boden. Man stand schon ein bisschen mit dem Rücken zur Wand und konnte sich entscheiden, ob man nun zu Boden oder nach vorne geht. Unsere Jungs entschieden sich für letzteres, erzielten schnell den Ausgleich und blieben am Drücker. Dabei wäre ein 2:2 in Berlin, wo sich selbst die Bayern traditionell schwer tun, ein achtbares Ergebnis gewesen. Allerdings eben zu wenig, um vorne dran zu bleiben. Also gab man weiter Vollgas und ließ sich weder von selbst vergebenen Großchancen noch von gefährlichen Kontern des Gegners davon abbringen auf Sieg zu spielen. Den dazu notwendigen Treffer dann in der zweiten Minute der Nachspielzeit zu erzielen, ist dann wohl der ebenso berühmte wie auch unschön klingende „Killerinstinkt“. Aber ohne diesen Instinkt wird man auch nicht Meister.
Auch nach Abpfiff blieben die Spieler genau so angriffslustig und sprachen endlich auch öffentlich davon, dass sie in dieser Spielzeit deutscher Meister werden wollen. Am deutlichsten wurde Sportdirektor Michael Zorc, der jede Zurückhaltung aufgab und klar formulierte:
„Wir gehen langsam auf die Zielgeraden der Saison zu und deshalb haben wir definiert, dass wir deutscher Meister werden wollen.“
Passenderweise gab Thomas Delaney gleich die Marschrichtung für die restlichen Spiele vor, indem er erklärte, dass die Bayern sehr wahrscheinlich alle Spiele bis zum Saisonende gewinnen würden – bis auf das Spiel gegen uns. Was nichts anderes heißt, als dass unsere Borussen jetzt einfach jedes der verbliebenen Spiele als Endspiele betrachten, das sie gewinnen wollen. Natürlich ist das eine verdammt große Aufgabe. Um am Ende von der Tabellenspitze grüßen zu können, wird man sehr wahrscheinlich den bisherigen Rekord von 81 Punkten aus Klopps zweiter Meistersaison übertrumpfen müssen. Das gehört aber auch zum Wesen des Sports. Vergangene Rekorde sind nicht das unüberwindbare Maximum, sondern ein Ziel, das es zu übertrumpfen gilt. Man wird auch bereit sein müssen, den Bayern in deren Wohnzimmer einen offenen Kampf zu liefern, bei dem nicht groß auf einen Punkt spekuliert wird, sondern ganz klar der Auswärtsdreier das Ziel ist.
Genau das ist unsere Borussia. Viele Highlights unserer Vereinsgeschichte resultieren aus Momenten, in denen man nichts mehr zu verlieren hatte und einfach nach vorne gegangen ist. 1997 war Juventus Turin der große Favorit und wir vor Anpfiff genau so der Underdog wie zu Beginn der Saison 2010/2011. Gegen La Coruna waren wir ebenso schon aus dem Wettbewerb ausgeschieden wie gegen den FC Malaga. Taktieren und Spekulieren war dagegen noch nie unsere Stärke. Gut, dass diese Zeit und die Rechnerei im Geheimen, wer wahrscheinlich wann und gegen wen eventuell einen Punkt liegen lassen könnte, vorbei ist. Wir sind jetzt in einer Position, die uns liegt, die zu unserer DNA gehört. Acht Spiele, acht Mal mit Vollgas auf Sieg spielen.
Oder wie man in Bayern sagen würde: Fick mas….