Mit dem Rücken zur Gelben Wand
Vorsprung geschmolzen, Mannschaft verunsichert. Nach den jüngsten Rückschlägen geht es gegen Leverkusen um viel. Zeit, dass das Westfalenstadion wieder aufwacht!
Da haben wir den Salat! 0:0 beim Tabellenletzten und der Vorsprung in der Bundesliga auf drei Punkte gesunken. Die bitteren Pillen gegen Hoffenheim, Bremen und Tottenham noch obendrauf. Es ist verdammt bitter, sich als BVB-Fan nun in Durchhalteparolen flüchten zu müssen. Den Bock umstoßen, ein dreckiges Erfolgserlebnis erzwingen, um im Titelrennen wieder Fahrt aufzunehmen – von Spiel zu Spiel glaubt man sich selbst ein bisschen weniger.
Da könnte es fast verzweifelt wirken, jetzt an die Fans, an uns, an das Westfalenstadion zu appellieren. Reus, Sancho und Co. haben uns in der Hinrunde schließlich nicht das Gefühl gegeben, uns zu brauchen. Fast die gesamte Liga haben sie überrollt, inklusive der Bayern, und 25 von 27 Heim-Punkten in der Bundesliga geholt. All das, ohne in den Verdacht zu geraten, für diese Leistungsexplosionen auf Initialzündungen der Tribünen angewiesen zu sein. Überhaupt können wir Fans auch gar nicht behaupten, das Stadion in dieser Saison so richtig abgerissen zu haben. Um ehrlich zu sein, war die Stimmung gemessen an den sportlichen Leistungen richtig mau. Nicht mal beim obligatorischen “Wer wird Deutscher Meister?!” kam regelmäßig Euphorie auf. Als wäre all das selbstverständlich. Um erfolgreich zu sein, musste der Funke nicht von der Tribüne auf den Platz überspringen und dass das auch umgekehrt selten passierte, hat nicht geschadet.
Die Sache mit dem Kopf
Das könnte spätestens seit Montag anders sein. Konnte unsere Mannschaft sich vor einem halben Jahr selbst bei einem 0:2-Rückstand noch zum Sieg beflügeln, schenkt sie nun einen Drei-Tore-Vorsprung her. Gegen Bremen reichten zwei Tore in der Verlängerung nicht und in London ein dummer Fehler, um die ganze starke erste Hälfte vergessen zu machen. Und da mag jeder einzelne unserer Spieler noch so viel individuelle Klasse und Lucien Favres Ideen bisher bestens funktioniert haben: Irgendwann wird’s Kopfsache. Natürlich hat die aktuelle Krise auch unterschiedliche sportliche Ursachen, doch die letzten Partien haben auch gezeigt, dass unseren Jungs die bisher selbstverständliche Sicherheit fehlt.
Und da kommen wir Fans ins Spiel. Lasst uns der Mannschaft am Sonntag zeigen, dass sie sich, wenn sie sich selbst gerade schon nicht über den Weg traut, um uns keine Gedanken machen muss. Dass wir Fehler verzeihen und jetzt erst recht bereit sind, ihr mächtig einzuheizen.
Die Pfiffe gegen Marcel Schmelzer sollen einige Spieler verunsichert haben
Haben wir uns viele Jahre lang zurecht damit gerühmt, ist das heute nicht mehr selbstverständlich. Das Westfalenstadion scheint nicht nur satt und träge geworden zu sein. Ehrlich gesagt kann ich mittlerweile auch Spieler verstehen, wenn sie an einer gesunden Fehlertoleranz des Westfalenstadions zweifeln. Oder was sollen Neuzugänge wie Axel Witsel, Thomas Delaney oder Abdou Diallo denken, wenn ein langjähriger und verdienter Spieler wie Marcel Schmelzer bei seiner Einwechslung, zwar vereinzelt, aber hörbar, ausgepfiffen wird? Die Unmutsbekundungen hätten einige Spieler irritiert und seien Thema in der Mannschaft gewesen, wie Hans-Joachim Watzke auf der Fandelegiertentagung vor wenigen Wochen anklingen ließ. Ähnliches wurde aus der sportlichen Leitung Richtung Fanrat kommuniziert.
Weniger Dauergesänge, mehr Anfeuerung aus den Süd-Ecken
Was können wir also tun? Wie wäre es mal wieder mit exzessivem Anfeuern einzelner Spieler, am besten schon beim Warmmachen? Zuletzt hat das glücklicherweise wieder vereinzelt Einzug in unser Repertoire erhalten und Leute wie Hakimi, Schmelle oder Maxi Philipp können das im Moment vielleicht erst recht gebrauchen. Ein Spiel wie das gegen Bayer Leverkusen eignet sich außerdem wenig, neuere Lieder, die traditionell von wenig Fans getragen werden, zu singen. Überhaupt sind Dauergesänge am Sonntag eher deplatziert. Es soll hier nicht um das grundsätzliche Für und Wider dieser Art der Unterstützung oder den ansonsten verständlichen Ansatz der Ultras, durchgängig für Stimmung zu sorgen, gehen. Nur in der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, dass ein ohnehin schon träges Publikum sich mit mehrstrophigen Gesängen erst recht nicht euphorisieren lässt. Durch die geringe Mitmachquote wirkten sie oft regelrecht einschläfernd. Etwas, das wir uns im Moment nicht leisten können.
Vielleicht wirkt der Vorschlag im ersten Moment etwas abenteuerlich, aber wie wäre es in Momenten, in denen selbst große Teile der Südtribüne kaum zum Mitmachen zu bewegen sind, mal mit bewusster Stille auf dem Vorsängerpodest? Die Süd und ihre Ecken sind in den letzten Jahren durch den koordinierten Support auch in gewisser Weise domestiziert worden. Im Vertrauen darauf, dass von den Ultras und ihren Vorsängern schon etwas kommen wird, haben sich andere Stimmungsquellen wie die Südost und -west aus ihrer Verantwortung gezogen. Von dort werden immer seltener Gesänge angestimmt. Dabei waren das meist die Klassiker, die von vielen Fans mitgetragen worden sind und für Lautstärke gesorgt haben. Der bewusste Verzicht auf Anstimmen über die Lautsprecheranlage kann den Rest der Süd und des gesamten Stadions wieder in die Verantwortung nehmen. Das hat man in den Spielen gesehen, in denen die Ultra-Gruppen aus anderen Gründen auf koordinierten Support verzichtet haben. Und viel leiser als ein weitgehend nur von Block drölf getragenes Lied kann es im Zweifel auch nicht sein …
Deutscher Meister? Wann, wenn nicht jetzt!
All das funktioniert natürlich nur, wenn alle BVB-Fans, die am Sonntag ins Stadion gehen, sich der Bedeutung des Spiels und ihrer eigenen Rolle bewusst sind. Euphorie und Ausgelassenheit kann man nicht erzwingen. Aber Stimmung ist kein Selbstzweck, und wir alle sollten wissen, dass unsere Mannschaft uns gegen Leverkusen braucht. Heimsiege sind in den letzten Jahren zur Routine geworden, selbst nach einer verkorksten Saison wie der letzten landete der BVB regelmäßig noch in der Champions League. Ja, das wird mit der Zeit unspektakulär und öde. Deshalb sollten wir uns bis Sonntag erst recht ins Gedächtnis rufen, dass wir in einer durchschnittlichen Bundesligasaison, wie die letzten es waren, nicht den Hauch der Chance auf die Deutsche Meisterschaft haben! Dazu braucht unser Team schon ein Sahnejahr und die Bayern mindestens eine ordentliche Krise.
Guten Morgen alle zusammen! Wir sind immer noch Tabellenführer, mit drei Punkten Vorsprung und der besseren Tordifferenz. Und wir stehen da oben verdient. Also lasst uns alles dafür tun, damit das so bleibt. Denn dieses Stadion hat schon Spiele gewonnen, sich Elfmeter erpöbelt und so manchen Gegner eingeschüchtert. Und es kann Momente erzwingen. Momente, die den Schwatzgelben auf dem Rasen gerade nicht aus eigener Kraft gelingen.
Die Mannschaft ist diese Saison in Vorleistung gegangen. Nicht nur sportlich mit einer grandiosen Hinrunde inklusive Derbysieg, sondern auch mit kleinen Gesten wie dem Gang zur Südtribüne (und Gästeblöcken) vor jedem Spiel. Zahlen wir ihnen das zurück! Lasst uns Sonntag rumschreien, Bayer Leverkusen auspfeifen, wo es nur geht, und die Mannschaft zum Sieg tragen. Wenn’s sein muss, zu diesem einen dreckigen, zurück auf die Überholspur Richtung Meisterschaft.