Missverstandene Männlichkeit: Homofeindliches Spruchband auf der Südtribüne
Das Derby hatte nicht nur sportliche Tiefpunkte. Ein weiterer wurde von den Desperados gesetzt. Ein Kommentar.
Es gibt Spruchbänder, bei denen man eigentlich dachte, die Dortmunder Fanszene hätte sie längst überwunden. Das der Desperados im Derby gehört dazu. “Rock'n'Roll Schalke? Ihr Schwuchteln singt zu Kay One!” hielt die Ultragruppe zu Beginn der ersten Halbzeit in die Luft.
Es spielt keine Rolle, welchen Hintergrund diese Nachricht hatte: Herausforderung zu einer Hauerei, ein Insider oder bloß Provokation – egal. Die Wortwahl steht für sich und die Verwendung des Schimpfwortes "Schwuchtel" verletzt nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks, sondern Werte, die in jeder vernünftigen Fanszene selbstverständlich sein sollten: Dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht herabgewürdigt werden.
Neben der plumpen Beleidigung macht auch die symbolhafte Gegenüberstellung das Banner zu einem Problem. Hier Rock 'n' Roll, da Mainstream-Pop-Rap. Harte Jungs gegen Kay One, der über Modemarken wie Louis Vuitton oder Gucci, Instagram-Likes, Club-Nächte und Shopping-Touren rappt. Kay Ones Musik und der von ihm besungene Lifestyle werden mit Homosexualität gleichsetzt und wer sie hört, dem wird die Männlichkeit abgesprochen. In der Ultraszene, die zumeist hierarchisch strukturiert ist, von Männern dominiert wird und in der körperliche Gewalt legitimes Mittel ist, ist das eine Herabsetzung. Die Urheber des Spruchbandes reproduzieren das alte und leider immer noch weit verbreitete Stereotyp verweichlichter nicht heterosexueller Männer. Während das Ideal des starken Mannes in anderen Bereichen der Gesellschaft längst hinterfragt wird, halten die meisten Ultras an ihm fest. Personen, die diesem Bild nicht entsprechen, haben es schwer oder werden ausgegrenzt.
Nicht die erste Verfehlung dieser Art
Etwas skurril übrigens, dass im Fall der Desperados hierfür ausgerechnet Kay One herhalten musste, der in seinen Texten wiederum regelmäßig Frauen auf Modelmaße reduziert und sie als Anhängsel betrachtet, die mit Geld zu beeindrucken sind. Kurz gesagt: Seine Musik ist tatsächlich Schrott. Aber um Stilkritik ging es der Ultragruppe nicht. Für sie war Kay One bloß Mittel zum Zweck, um andere zu diffamieren.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Desperados auf diese Weise auffallen. Im März 2012 richteten sie während eines Heimspiels zwei Spruchbänder an die Bremer Fanszene: "Lieber 'ne Gruppe in der Kritik als Lutschertum & Homofick" und "Gutmensch, Schwuchtel & Alerta-Aktivist, wir haben dir mit 20 vs 100 gezeigt, was Fußball ist! Ihr Fotzen!". Es waren dieselben Ausgrenzungsmuster, damals zielten sie auf offen antidiskriminierenden Fangruppen. Das zweite Spruchband veranschaulicht außerdem, dass die Abwertung von Homosexualität und (vermeintlicher) Weiblichkeit oft Hand in Hand gehen.
Ignorieren wäre falsch
Bei Social Media stieß die Aktion im Derby am Samstag auf viel Kritik, unter anderem die Rainbow Borussen und auch der BVB selbst verurteilten sie deutlich. Der Verein sprach Die Leute, die hinter solchen Spruchbändern stecken, wollen provozieren und freuen sich über die – zurecht – empörte Aufmerksamkeit. Ignorieren, um ihnen diesen Gefallen nicht zu tun, wäre aber der falsche Weg. Damit würden diejenigen im Stich gelassen, die von dieser Art der Diskriminierung betroffen sind.
Was sollen schwule Fans oder Spieler denken, wenn solche Dinge unwidersprochen stehen blieben? Oder Menschen, die ihre geschlechtliche Identität nicht auf männlich oder weiblich festlegen können oder möchten? Statt auszugrenzen, sollten Fans und Vereine sich gleichermaßen bemühen, Vielfalt abzubilden und Räume zu schaffen, in denen Menschen sich wohlfühlen und ihre Identität frei ausleben können. Positivbeispiele der jüngeren Vergangenheit sind die Ausstellung "Fan.Tastic Females", die die Geschichten unterschiedlicher Frauen im Fußball erzählt, der BVB-Aktionstag gegen Homophobie 2017, genderneutrale Toiletten und der Einsatz diverser Volunteers beim Länderspiel im März oder die Einrichtung eines Hilfetelefons für weibliche Fans, die Opfer von Sexismus oder Gewalt werden, bei Fortuna Düsseldorf.
Umso bedauerlicher sind Rückschritte in Form des Spruchbandes am vergangenen Samstag. Bleibt es doch nicht aus, dass solche Botschaften, prominent platziert im Zentrum der Süd, in der öffentlichen Wahrnehmung auf die ganze Tribüne abfärben. Und sie ermutigen alljene, für die "Schwuchtel" auch im Jahr 2019 immer noch eine legitime Beleidigung für gegnerische Spieler oder Schiedsrichter ist.
Es ist ein Unding, die Südtribüne als Bühne für derlei Botschaften zu missbrauchen.