Die „Mentalitätsscheiße“
Dieses Wort nutze der sichtbar angepisste Kapitän Marco Reus im Interview nach dem Auswärtskick gegen Frankfurt. Er wehrte sich damit gegen den jetzt schon eigentlich seit vielen Jahren im Raum stehenden Vorwurf, die Spieler im schwatzgelben Dress seien oft einfach nicht Willens, wirklich gute Arbeitsergebnisse abzuliefern und würden sich so auf dem Weg zum Erfolg selber im Weg stehen.
Einerseits ist das natürlich absolut verständlich, wenn Reus Zweifel an der Mentalität sauer aufstoßen. Wer lässt sich schon gerne mangelnden Arbeitseifer nachsagen? Und für permanente Mentalitätsprobleme sind die Ergebnisse, die der BVB einfährt, seit Jahren ziemlich konstant und im grünen Bereich. Andererseits muss man allerdings eingestehen, dass man unseren Kapitän, allerdings nicht nur ihn, während der gesamten 93 Minuten nicht so giftig und explosiv erlebt hat. Und irgendwie gilt das auch für das gesamte Jahr 2019. Wie ist es also zu bewerten, dieser Vorwurf der zweifelhaften Mentalität?
Vielleicht müssen sich beide Seiten erst einmal von der Vorstellung lösen, dass „Mentalität“ ein bewusster Prozess ist. Eine Denke, nach der die Kicker in der Kabine sitzen und sich sagen: „Boah, ich hab heute echt keinen Bock, aber ich muss ja auflaufen, damit die Kohle kommt“, ist ziemlich peinlicher Stammtischmist. Wer es in den Profifußball geschafft hat, hat seit der Jugend ein knallhartes Aussiebe-Verfahren durchlaufen und ein Spieler, der sich so eine Grundeinstellung leistet, wird lange vorher durchs Raster fallen. Ehrgeiz und Willen sind Grundtugenden, um es überhaupt erst einmal in die Kabine eines Bundesligavereins zu schaffen.
Und trotzdem ist der Anteil, der im Kopf entschieden wird, im Sport größer, als man annimmt. Jeder hat diese kleine Stimme im Hinterkopf, die einem einflüstert, dass es Aufgaben gibt, die zu schwer sind – aber eben auch, dass es gar keine ernsthafte Aufgabe ist. Die Stimme, die einem erklärt, dass man ja schon viel erreicht hat und man zufrieden mit dem sein kann, was man schon erreicht hat. Mentalität ist, einfach gesagt, die Fähigkeit, dieser Stimme gewaltig in den Arsch zu treten und das zu tun, was wirklich notwendig ist.
Aber nein, lieber Marco, ihr vermittelt tatsächlich nicht immer den Eindruck, dass ihr dieser Stimme genug entgegensetzt. In Köln und in Berlin habt ihr den Platz betreten und es stellte sich sehr schnell das Gefühl ein, dass ihr euch aufgrund der höheren technischen Qualität natürlich überlegen fühlt. Dabei ist Überlegenheit etwas, was man sich Spiel für Spiel immer wieder neu erarbeiten muss. Mit Anpfiff müsst ihr immer wieder neu beweisen, dass Ihr mit euren spielerischen Qualitäten den läuferisch-kämpferischen Qualitäten des Gegners den siegbringenden Faktor entgegensetzen könnt.
In Frankfurt habt ihr es ungefähr 30 Minuten lang gemacht und vielleicht sogar das Konzept von Lucien Favre sehr gut umgesetzt. Ein frühes Tor geschossen, die richtigen Laufwege gemacht, um das Spiel des Gegners aus dem gefährlichen Bereich heraus zu halten und eurerseits immer mal wieder mit schnellen Läufen über die Außen den Frankfurtern gezeigt, dass eigene Offensivbemühungen gleichzeitig eine große Gefahr darstellen. Ihr habt das Spiel kontrolliert, ohne es zu dominieren. Und vermutlich kam da die Stimme, die flüsterte, dass doch alles ganz gut läuft und man den Gegner ziemlich in der Tasche hat. Leider konnten eben nicht alle Spieler dieser Stimme widerstehen und vor allem die Offensive gefiel sich wieder mehr darin, das Bällchen mit der Hacke weiter zu leiten, statt notwendige Defensivlaufarbeit zu leisten. In der Folge verschob sich das Spielgeschehen Meter für Meter in unsere Hälfte und die relativ unglückliche Szene zum Gegentor kam nicht aus heiterem Himmel.
Es wäre vielleicht ein erster, wichtiger Schritt, diese „Mentalitätsscheiße“ anders zu definieren. Von Fanseite aus nicht als Faulheit satter Geldsäcke, die mit einer Null-Bock-Mentalität auf den Platz schlurfen, aber auch auf Seiten der Spieler nicht als Generalangriff auf ihre Person, den man unbedingt und kategorisch ausschließen muss.
Eher wäre es unmenschlich, wenn jemand nie mit dieser Stimme in sich zu kämpfen hätte und ihr nicht auch ab und an mal unterliegen würde. Es gibt aber Werkzeuge, ein „Mindset“, die man sich zulegen kann, um so oft wie möglich als Sieger im Kampf gegen den inneren Schweinehund vom Platz zu gehen. Und der Eindruck ist eben, dass bei einigen Spieler noch Platz im Werkzeugkoffer ist. Vielleicht wäre eine Inventur sinnvoller als ein Interview.