Warum bellen die getroffenen Hunde?
Die heutige Pressekonferenz des FC Bayern glich einem Offenbarungseid, die Akteure gaben sich dünnhäutig und unvorbereitet. Am Ende bleibt die Frage: Wozu das Ganze?
Nun saß ich also da. Bereit, mir das Spektakel live und in Farbe anzuschauen. “Selbst schuld!”, dachte ich anfangs noch. “Warum lässt du dich auch von der Twitter-Hysterie anstecken?” Pressetalk! Rummenigge, Hoeneß, Salihamidžić! LIVE! Das klang so dramatisch nach heißer Luft, dass ich es sicher bereuen würde.
Doch was dann passierte, überstieg meine kühnsten (und amüsantesten) Erwartungen. Um kurz die inhaltliche Ebene dieses Happenings zu beleuchten: Die drei Funktionäre erwehren sich überzogener Kritik an ihren Spielern und ihrem Trainer. Sie fordern mehr Respekt für die erfolgreiche Arbeit der vergangenen Jahre und prangern den sensationsgeleiteten Arbeitsstil der meisten Medien und ihrer Angestellten an. Das war's dann aber auch mit der Sachlichkeit.
Der FC Bayern bläst zum Gegenangriff – und jeder soll es wissen
Denn insbesondere Rummenigge und Hoeneß tun dies in einer Art und Weise, die Rudi Völler vor Neid erblassen lässt. Es dauert keine zwei Minuten, da bemüht Rummenigge Artikel eins des Grundgesetzes: “Die Würde des Menschen ist unantastbar.” Nur mal zur Einordnung: Jenen simplen und doch so wahren Satz, der einst in Anlehnung an die Verbrechen der Nazizeit und als Mahnmal für folgende Generationen seinen Weg in unsere Verfassung fand. Darunter macht man’s in München nicht, zumindest nicht an diesem Tag.
Von der Wortwahl einmal abgesehen, ist es ja durchaus ehrenhaft, dass der Vorstandsvorsitzende Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Franck Ribery oder Arjen Robben verteidigen möchte. Doch man fragt sich, ob dahinter nicht noch mehr steckt: Immer wieder Verweise auf die vergangenen Erfolge der einzelnen Spieler und des Vereins. Dazu die beleidigte, zuweilen gar gekränkte Art Rummenigges. Vermisst da jemand vielleicht nicht nur den Respekt vor den Leistungen seiner Spieler, sondern auch vor den eigenen? Zumal in einer Phase, da die Verantwortlichen angesichts sinkender Punkteausbeute und steigender Unruhe um ihre Felle fürchten müssen?
Doch keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn weiter geht's. Die “herabwürdige, hämische Berichterstattung” lasse man sich nicht mehr bieten. Rummenigge spricht von erfolgreichen Unterlassungserklärungen und Abmahnungen, droht insbesondere dem Springer-Verlag offen: “Meine Herren [der Springer-Presse], fühlen Sie sich angesprochen, weil bei Ihnen werden wir uns die Dinge in Zukunft genauer anschauen.” Mit dem heutigen Tag werde man die Spieler und den Trainer des FC Bayern schützen, (vermeintlich) falsche Berichterstattung ab sofort in den klubeigenen Medien ansprechen und dort “Ross und Reiter nennen”. Uli Hoeneß, der danach das Wort übernimmt, geht sogar noch einen Schritt weiter und attackiert manche Journalisten namentlich.
Die getroffenen Hunde auf dem Podium bellen und fletschen die Zähne. Aber – zur Hölle! – mit welchem Hintergedanken? Dachten Sie, die Medienvertreterinnen und -vertreter würden angesichts ihrer Vorträge von Dankbarkeit erfüllt sein, köpfenickend den Saal verlassen und, zurück in ihren Redaktionen, eifrig wohlwollende Texte tippen? Glauben Hoeneß und Rummenigge tatsächlich, insbesondere der Boulevard würde sich durch die namentlichen Nennungen nicht erst recht provoziert fühlen? Spätestens ein Blick auf die Seite der Bild-Zeitung bereits wenige Minuten nach der Pressekonferenz dürfte alle Beteiligten eines Besseren belehrt haben. Erstaunlich, wie Menschen, die den Fußball seit Jahrzehnten kennen und erfolgreich geprägt haben, für einige Minuten alle Regeln des Geschäfts zu vergessen schienen. Wer sich wirklich Ruhe wünscht, fechtet einen Konflikt nicht auf der persönlichen Ebene aus.
Ein Bärendienst für alle ehrlichen Bild-Zeitungs-Kritikerinnen
Bitte nicht falsch verstehen: Es geht an dieser Stelle nicht darum, die Berichterstattung über den FC Bayern von Übertreibungen oder Fehlverhalten freizusprechen. Und insbesondere die Methoden der Bild-Zeitung und ihrer Journalistinnen und Journalisten sind in keinem Moment zu verteidigen. Regelmäßig hetzen sie gegen geflüchtete Menschen und Minderheiten, verbreiten dabei kalkuliert Unwahrheiten, verletzen Persönlichkeitsrechte und sind immer vorne dabei, wenn es darum geht, irrationale Ängste zu schüren. Und nein, die Bild-Zeitung hat auch keinen guten Sportteil. Zumindest, wenn man unter “gut” nicht sensationsgeile Überspitzungen oder das inflationäre Um-sich-Werfen von Transfergerüchten versteht.
Die Bild für diese Methoden zu kritisieren, ist also aller Ehren wert. Aber: So plump, wie es die Herren Hoeneß und Rummenigge heute getan haben, ist es ein Bärendienst für all jene, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, eifrig und präzise Boulevardberichterstattung zu entlarven, und die leider niemals die Bühne eines Uli Hoeneß oder Kalle Rummenigge bekommen werden. Exemplarisch sei an dieser Stelle der BILDblog genannt.
Uli Hoeneß fordert Maßstäbe, die er selbst nicht einhält
Und überhaupt: Wer in dieser Art zum Rundumschlag ausholt, sollte stets darauf achten, die geforderten Maßstäbe auch selbst einzuhalten. Was bleibt aber von so einer Veranstaltung, auf der Uli Hoeneß sich gegen überzogene Kritik an den eigenen Leuten wehrt, wenige Minuten später aber feststellt, dass “Juan Bernat uns fast die ganze Champions League gekostet hat” und einen “Scheißdreck” gespielt habe. Vom “Dreck”, den Mesut Özil “seit Jahren” gespielt habe und dem “geisteskranken Foul” Karim Bellarabis mal abgesehen (und um lediglich Beispiele der vergangenen Wochen bemühen zu müssen). Es ist nicht das erste Mal, dass Uli Hoeneß sich über den Dingen schwebend wähnt.
Ach ja: Hasan Salihamidžić saß auch auf dem Podium. Ob die Funktionäre und FCB-Pressesprecher Dieter Nickles sich im Vorfeld überlegt haben, ob das überhaupt Sinn macht, wenn der ohnehin umstrittene Sportdirektor nur wenig Redezeit bekommt und Karl-Heinz Rummenigge eine Frage, die ausdrücklich an Salihamidžić gestellt war, eigenmächtig selbst beantwortet, oder ob es ihnen schlicht egal war, ist ein weiteres Mysterium dieses Tages.
War das Theater bloß eine kalkulierte Aktion, um die Scheinwerfer von Spielern und Trainer zu nehmen? Unwahrscheinlich, denn das Risiko steht in keinem Verhältnis zum gewünschten Effekt. Denn vor allem Hoeneß und Rummenigge haben sich auf vielen Ebenen angreifbar gemacht – und damit auch den gesamten Verein. Am Ende bleibt die Frage: Was liegt beim FC Bayern eigentlich wirklich im Argen, dass erfahrene Funktionäre bereits sind, sich in diesem Maße selber zu schaden? Spätestens, wenn Ihnen das Echo in den nächsten Tagen und – je nach sportlichem (Miss-)Erfolg – Wochen oder Monaten um die Ohren wehen wird, werden sie anfangen, sich mit dieser Frage auseinandersetzen. Vielleicht aber auch nicht.