Unsa Senf

Die Geister, die der Fußball rief

29.01.2018, 00:00 Uhr von:  Sascha

Pfiffe gegen die Mannschaft im Spiel gegen Freiburg. Roman Bürki mit einer klaren Meinung dazu, die zwar nachvollziehbar ist, aber auch die Entwicklung im Fußball der letzten Jahre völlig ausblendet.

Die Süd wurde von Roman Bürki von Kritik ausgenommen

"Ich muss einfach mal ehrlich sein. Ich glaube, manchmal denkt die Ost- und die Westkurve: 'Heute gehe ich mal ins Stadion, schaue mal, wie es ist und dann pfeife ich meine eigene Mannschaft aus.' Ich höre keine Unterstützung von diesen beiden Tribünen" – die Kritik von Torwart Roman in Richtung der Tribünen nach dem Last-Minute-Heimunentschieden gegen den Sportclub aus Freiburg war deutlich. Und ja, natürlich auch nachvollziehbar. Pfiffe während des Spiels haben in der Regel noch nie etwas verbessert, weil sie die Spieler weiter verunsichern. Bürki selber konnte auch wenig dazu, wenn seine Vorderleute ihm mangels besserer Ideen und Anspielstationen immer wieder den Ball zurück spielten. Insofern kann man ihm, vor allem in dieser Situation kurz nach dem Spiel, kaum übel nehmen, wenn er so reagiert.

Und trotzdem ist es Ausdruck einer bemerkenswert verzerrten Selbstwahrnehmung von der Entwicklung des Fußballs, des BVB und auch des bisherigen Saisonverlaufs. Der Profifußball selber hat in den letzten Jahren immer stärker den Schritt zum Unterhaltungsunternehmen vollzogen. Den Vereinen ist die eigene Stadt, aus der sie kommen, längst zu klein geworden und sie wollen hinaus. Mindestens nach Europa, am liebsten aber gleich nach Asien oder Amerika, wo man mit mit Schaukämpfen gegen renommierte Gegner neue Absatzmärkte erschließen will. Sie gehen Partnerschaften mit Medienkonzernen ein und entwickeln eigene Videokanäle, um möglichst 24 Stunden lang mit jeder noch so kleinen Nichtmeldung präsent zu sein. Der BVB deutet den Besuch eines stinknormalen Heimspiels zum „Adrenalintrip“ um und bringt einen Energydrink mit gleichem Namen heraus.

Die Spieler präsentieren sich immer mehr als eigenständige Marke mit häufig agenturbetriebenen Social-Media-Kanälen, auf denen neben so fundamental wichtiger Dinge wie Urlaubsfotos, oder der Präsentation eines neuen Outfits, vor allem Inhalte privater Sponsoren vermarktet werden. Wie eigenständig sie sich sehen, haben gerade wir Dortmunder in den letzten Jahren gelernt. Unterhaltungskünstler, die trotz abgeschlossener Verträge, ihren Aufenthalt bei einem Verein von Spielzeit zu Spielzeit neu planen und notfalls auch zu ganz schmutzigen Tricks greifen, wenn sich die Möglichkeiten zu Engagements in einem noch glamouröseren Zirkuszelt ergeben. Selbst Einkommen im zweistelligen Millionenbereich scheinen nicht mehr auszureichen, um diese Spieler zum Bleiben zu bewegen. Der Respekt und die Loyalität, die viele Spieler heutzutage ihrem Arbeitgeber und den Fans entgegenbringen, beschränkt sich kaum noch aufs absolute Minimum.

Erst wenn es nicht mehr so läuft, dann werden die Tugenden des „alten“ Fußballs beschworen und von den Fans eine Unterstützung eingefordert, die in der Gegenrichtung kaum noch vorhanden ist. Wer Zirkus machen will, der muss sich nicht wundern, wenn auch Unterhaltung eingefordert wird. Wer Adrenalintrips anbietet, darf keinen Schlafmittelcocktail servieren. Wer in die große, weite Welt hinaus will, sollte in der Lage sein, das beschauliche Freiburg zu besiegen. Wen Fans sonst nicht mehr interessieren, sollte auch im Notfall nicht ihre Hilfe einfordern.

In diesem konkreten Fall ist es ja auch mitnichten so, als hätten sich dort Fans nach einem einmalig schlechten Auftritt ihrem Ärger Luft gemacht. Obwohl der Auftritt an sich auch schon sehr geeignet dafür war, einem die Zornesröte ins Gesicht zu zeichnen. Wer zuschauen durfte, wie behäbig und lustlos man den Vorwärtsgang einlegte und selber nahezu jede Angriffsbemühung zum hoffnungslosen Unterfangen degradierte, das in zahllosen Quer- und Rückpässen endete, der mag kaum glauben, dass dort tatsächlich eine Mannschaft auf dem Platz stand, die gerne im Konzert der ganz Großen mitspielen möchte. Nach einem grandiosen Start hat die Mannschaft ab dem siebten Spieltag schon eine Vielzahl unterirdischer Nullleistungen abgeliefert. Sie hat es geschafft, einen 4:0-Vorsprung im Derby zu versauen. Zwei Spiele gegen Nikosia nicht zu gewinnen und gegen Werder Bremen zu Hause zu verlieren. Die zwei schnarchigen Halbzeiten gegen Wolfsburg und in Berlin, in denen so gut wie gar nichts passierte, gehörten da noch zu den positiveren Aspekten, weil wenigstens nichts Schlimmes geschah.

Lieber Roman, nein, die Leute pfeifen nicht, weil sie ins Stadion gehen, um genau das zu tun. Sie tun es, weil ihr einfach armseeligen Fußball spielt. Weil ihr es in der Liga nicht schafft, eure Leistung zu zeigen und trotzdem immer noch von großen Zielen fantasiert. Frag mal deinen Kollegen Sahin, der von Europa-League-Finale träumt und auf dem Platz zeigt, dass ihm schon der normale Bundesligafußball zu schnell geworden ist. Sie stellen sich nicht mehr vor euch, weil zu befürchten ist, dass einige von euch diese Position nur nutzen, um ihnen einen weiteren Arschtritt zu verpassen. Sie fordern Unterhaltung ein, weil es genau das ist, was ihnen vorher versprochen wurde. Sie stellen an euch höhere Ansprüche, weil z.B. Football Leaks dokumentiert, was für unfassbare Ansprüche ihr mittlerweile an die Vereine stellt.

Das ist das Ergebnis, wenn Identifikation und Inhalte in den letzten Jahren sukzessive abgebaut wurden und das ganze Konstrukt nur noch Erfolg als Fundament hat. Fällt diese Komponente auch noch aus, dann wird es eben hässlich und ungemütlich. Da muss sich niemand wundern.

Das einzig Gute an dieser Entwicklung ist, dass dieses Fundament auch schnell wieder mit Erfolg zugeschüttet werden kann. Drei, vier Siege in Folge und alles geht wieder seinen gewohnten Gang. Auch das gehört zum Geschäft, Drama und Gloria wechseln sich rasend schnell ab. Oder um den ollen Stepanovic zu bemühen: „Läbbä geht weida“.

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