Der BVB in den USA: Ein großes Missverständnis?
Lange Zeit hatte der BVB mit den USA gefremdelt. Der Markt sei
schwierig und passe kaum zum Image, das Borussia Dortmund in den
vergangenen Jahren aufgebaut habe. Reisen nach Asien seien besser
geeignet, die gewünschten Effekte zu erzielen: Vernachlässigt von
anderen Clubs springe in den fußballverrückten, aber nicht gerade
-verwöhnten Ländern schnell der Funke über.
Tatsächlich schien diese Strategie bislang aufzugehen: In Japan und China prägten tausende Fans in schwarzgelben Trikots ein Stadionbild, das zumindest optisch zur großen Leidenschaft passte, die die Geschäftsführung gerne bemühte. In Malaysia gestalteten Fans einen Spielschal mit den Wappen der eigenen Ultragruppe sowie ihres Dortmunder Konterparts The Unity, sie hatten sich offenkundig mit Spiel und Gegner auseinandergesetzt. So kritisch die Reisen in Fankreisen gesehen wurden und so unnatürlich sie in Deutschland wirkten, so spürbar war die Freude der Fans vor Ort. Aus diesem Umstand zogen die Abstecher Legitimität, selbst wenn der schnöde Mammon ihr treibender Gedanke war.
Leser, die eine Generalabrechnung mit Auslandsreisen des BVB erwarten, werden diese hier also nicht finden. Sie wäre letztlich sinnlos, da derartige Reisen aus dem heutigen Profisport nicht mehr wegzudenken sind und der BVB dauerhaft auf die Einnahmen angewiesen ist. Auch, weil er sich zunehmend gegen neureiche Vereine zur Wehr setzen muss, die 50+1 oder Financial Fairplay am liebsten sofort auf den Mond schießen würden.
Stattdessen soll hier eine Erwartung formuliert werden, die wir als Fans an den Verein haben dürfen und – ohne die eigene Position zu überhöhen – auch haben müssen: Wenn es diese Reisen gibt, die mit dem traditionellen Fußballverständnis nur schwer in Einklang zu bringen sind, sollten sie doch wenigstens dorthin gehen, wo sich Menschen für den BVB begeistern lassen. Deren Fußballverständnis mit dem des BVB-Anhangs halbwegs in Einklang zu bringen ist. An Orte, deren Besuch sich aus Groundhopping-Gesichtspunkten vielleicht sogar für deutsche Fans lohnt. In einer Art und Weise, die fußballinteressierten Menschen unseren Verein auch wirklich nahebringt. Die erste USA-Reise* des BVB, so scheint es, hat diese Ziele verfehlt.
Die Gründe dafür sind nicht dort zu suchen, wo Fans ihre Kritik meist anbringen. Die Organisation der Reise war gewohnt solide, ausgehend von den Berichten mitgereister BVB-Fans präsentierten sich Spieler wie Vereinsoffizielle von ihrer besten Seite: Offen und mit ungewohnter Fannähe gab es wenig zu meckern, weshalb all diese Punkte hier nicht zur Debatte stehen sollen. Tatsächlich lagen die Fehler wohl im strategischen Bereich und tappte der BVB in jene Falle, die ihn so lange vor den USA hatte zurückschrecken lassen: Ort, Gegner und Dauer der Reise waren schlecht gewählt und ließen den Funken nicht überspringen. Ähnliches steht für die nächste US-Reise im Juli zu befürchten, bei der der BVB neben seinen Gegnern Liverpool FC, Manchester City und Benfica Lissabon kaum mehr als Staffage sein dürfte. Doch welche Fehler wurden nun im Einzelnen begangen?
Der Ort
Los Angeles ist für viele Dinge bekannt. Neben Hollywood und einem der schäbigsten Flughäfen der zivilisierten Welt assoziieren Amerikaner mit der Stadt einen ständigen Verkehrsinfarkt, wüstenartiges Klima, einen großen Latino-Anteil der Bevölkerung sowie eine Sportverrücktheit, wie man sie nicht überall antrifft. Dies grundsätzlich auch im Fußball, weshalb Los Angeles nach New York City zur zweiten Stadt wurde, die im closed-shop-System der MLS einen zweiten Verein unterbringen durfte. Der Gedanke lag also nah, im neu gegründeten LAFC einen Partner zu finden, der einerseits Interesse würde wecken und neben dem der BVB andererseits als Big-Shot hätte glänzen können. Frühzeitig kommunizierte der BVB die neue Partnerschaft in Fankreisen und bemühte sich darum, in heimischen Gefilden für Verständnis zu werben.
Der Schönheitsfehler: Auch wenn sich in Los Angeles überraschend viele Menschen für Fußball interessieren, gilt ihr Interesse doch vor allem den spanischen, mexikanischen oder englischen Ligen. Die Annahme, ein viertägiger Kurzaufenthalt könne daran etwas ändern und Leidenschaft für die Bundesliga oder gar den BVB wecken, war wohl naiv. Entsprechend war das Stadion eben nicht wie bei vergangenen Asienreisen schwarzgelb, sondern waren BVB-Fans nur vereinzelt auszumachen. Statt der großen Erzählung von leidenschaftlichem Fußball und echter Liebe entstand ein Musterbeispiel des Fußballkonsums, bei dem einheimische Fans zwar Stimmung machten und mit schwarzgelbem Rauch Akzente setzten (wo blieb eigentlich die Empörung?), statt des BVB aber genauso gut Arminia Fuchsloch auf dem Platz hätte stehen können.
Hätte der BVB die Chance einer individuellen USA-Reise nutzen wollen, hätte diese ein anderes Ziel haben müssen. Zum Beispiel Ohio, wo drei Millionen deutschstämmige Einwohner und Deutsch als dritthäufigste Sprache eine gute Ausgangslage gebildet hätten. Wo mit Columbus Crew (noch) ein schwarzgelber Verein gegenübergestanden hätte, dessen Fankultur sich klar an Deutschland orientiert und dessen Heimkurve („Nordecke“) dem Erscheinungsbild der Südtribüne der 1990er bis 2000er Jahre (für amerikanische Verhältnisse) recht nahe kommt. Hier hätte es tatsächlich Fans gegeben, für die ein Spiel gegen den BVB ein Riesending gewesen wäre. Auch hätte Cincinnati United, ein Partnerverein des BVB in der Jugendförderung, mit wenig Aufwand in die Planung einbezogen werden können, was die Ernsthaftigkeit des Engagements vor Ort unterstrichen hätte. Leider entschied sich der BVB aber nicht für ein Spiel, das bei einheimischen Fans über Wochen Gesprächsthema gewesen wäre und auch für deutsche Fans einen gewissen Reiz gehabt hätte, sondern für eine Region, in der mit deutschem Fußball kein Blumentopf zu gewinnen ist.
Der Gegner
Ein ähnlich unglückliches Signal setzte die Wahl des Gegners. Selbst im amerikanischen Maßstab drängten sich beim LAFC, 2014 gegründet und 2018 erstmals in der MLS vertreten, Vergleiche mit ungeliebten Retortenclubs auf. Es passt einfach nicht zur Herkunft des BVB, einerseits Plastikclubs aus Leipzig, Hoffenheim und Salzburg zu kritisieren, für die erste Reise in die USA aber direkt einen Gegner zu wählen, dessen gesamte Tradition sich auf einem Bierdeckel niederschreiben lässt. Ein ähnliches Problem zeichnet sich mittelfristig in Indien ab, wo sich der BVB derzeit auf der Suche nach einem Kooperationspartner befindet und eben nicht an Vereine wie Mohun Bagan denkt (gegründet 1889, faszinierendes Stadion mit einst über 130.000 Plätzen, gewachsene und gelebte Fankultur), sondern ausschließlich an Clubs, die 2014 mit dem Zweck der Gründung einer neuen Franchiseliga ins Leben gerufen wurden.
Dauer der Reise
Der BVB hätte gut daran getan, eine Faustregel aus der Musikwelt zu beachten: „Eine US-Tour besteht nicht aus 10 Auftritten in Metropolen. Eine US-Tour bedeutet 70 Shows in drei Monaten, denen kurz darauf 70 weitere Shows folgen.“ Natürlich wäre ein solcher Aufwand zwischen einer harten Saison (zum Zeitpunkt der Planung war der Verlauf nicht vorherzusehen) und einer Weltmeisterschaft in Russland vollkommen undenkbar gewesen. Für einen mittel- oder gar langfristigen Effekt der Reise hätte der BVB an dieser Stelle dennoch wesentlich kreativer sein müssen, als nur zwei Kurztrips in Mai und Juli zu terminieren.
Ein möglicher Schritt wäre gewesen, Amateure und Talente aus der eigenen Jugend mit ins Boot zu holen. Diese hätten die Reise der Profis nicht nur flankieren, sondern im Rahmen einer eigenen US-Tour auch Teile ihrer Saisonvorbereitung in die USA verlagern können. Im Windschatten der Profis hätten die Spieler vom gemeinsamen Training bis hin zu Freundschaftsspielen gegen Collegeteams mit allem, was den amerikanischen Hochschulsport auszeichnet, einzigartige Erinnerungen sammeln können. Der BVB wiederum hätte gezeigt, dass er sein US-Engagement ernst meint, und als Nebeneffekt Spiele in sonst eher schwer zu kreuzenden Stadien realisieren können. Doch statt an dieser Stelle Mut zu zeigen und die Leidenschaft der Amerikaner für den Collegesport zu bedienen, blieb der BVB beim uninspirierten Standardprozedere.
Die Geschichte
Zu guter Letzt bleibt die Geschichte, die der BVB eigentlich hätte erzählen wollen. Die bewegte Vergangenheit des BVB – geprägt von größten Triumphen, tragischen Rückschlägen und unzähligen Heldengeschichten – hätte sich den geschichtsverrückten Amerikanern ohne weiteres erzählen lassen. Doch leider schien das Merkmal des Traditionsvereins in den Überlegungen keine Rolle zu spielen. Statt den Amerikanern die jüngere Geschichte des Vereins näherzubringen (die Jahre 1992 bis 2013 hätten das Potential zu einer hollywoodreifen Inszenierung gehabt), die emotionale Bedeutung eines Traditionsvereins zu betonen, bei einer Fanparty in einer örtlichen Brauerei den wunderbaren Gründungsfilm „Am Borsigplatz geboren“ ins Programm aufzunehmen oder zumindest einige Infotafeln im Sinne eines kleinen Borusseums aufzustellen, stellte der BVB lieber eine handelsübliche Autogrammstunde und Foto-Ops beim Windsurfen in Santa Monica, den L.A. Clippers oder den FOX Sports Studios in den kommunikativen Mittelpunkt. Hier drängte sich der Eindruck auf, dass die Rolle der Sponsoren und kommerziellen Verpflichtungen größeren Einfluss hatte, als der sonst so eifrig betonte Markenkern der „echten Liebe“.
St. Pauli hatte an dieser Stelle mehr Mut bewiesen und seine Botschaft im Rahmen einer neuntägigen USA-Reise wesentlich besser herübergebracht. Gerne wegen seiner Kommerzialisierung des Anti-Kommerzes belächelt, schaffte es der Verein in den vergangenen Jahren sein Independent-Image auch international zu pflegen. Bands wie Dropkick Murphys oder Rise Against, deren Musik bei den eigenen Fans gut ankommt, wurden nach Hamburg eingeladen und erhielten Führungen durch Stadion und Umgebung. Gemeinsame T-Shirts mit Club- und Bandlogo wurden auf den Markt gebracht und bei US-Konzerten der Bands wahrgenommen. Fanclubs in den USA und Kanada wurden in die Reiseplanung eingebunden und ihre Vorschläge nach Möglichkeit in die Tat umgesetzt, sodass sich mit einem Rise Against Konzert, das der Club für einen schmalen Taler rund um den Kick beim Detroit City FC organisiert hatte, für mitgereiste wie einheimische Fans ein Kreis schließen konnte. Weil St. Pauli in den USA die gleiche Botschaft wie in Deutschland kommunizierte, war für die Fans vor Ort die Authentizität zu spüren, die der Club verkörpern möchte.
Beim Auftritt des BVB in Los Angeles bemühte sich Sponsor PUMA, diese Authentizität mit einem Foodtruck zu vermitteln. Gestaltet von einem Künstler aus der Region gab es dort eine Woche lang BVB Burritos gefüllt mit Currywurst, Pommes, Käse und Sauerkraut. Eben genau das, wofür Borussia Dortmund in der Welt so stehen möchte.
* Gemeint ist die erste USA-Reise der Neuzeit. In den 1950-er Jahren hat es im Rahmen von Versöhnungsreisen bereits Spiele mit BVB-Beteiligung in den USA gegeben.