Das Gerede von "Männerfußball" ist unangebracht
Immer wieder sprechen Fußballspieler, -trainer oder Medien von „Männerfußball“, wenn es um ein besonders kämpferisches Spiel geht. Meist ist das positiv gemeint. Dabei wertet die Bezeichnung Frauen und (vermeintliche) Weiblichkeit ab und fördert letztlich das Klischeedenken.
Vor Kurzem also auch Peter Stöger. Nach dem schmeichelhaften 1:1 bei
Atalanta Bergamo sagte unser Trainer über die erste Halbzeit: „Wir
waren nicht aggressiv und körperlich genug, haben nicht das umgesetzt,
was wir vorher besprochen haben. Das war kein richtiger Männerfußball,
den man in so einem Spiel an den Tag legen muss.“ So wird er unter anderem auf der Vereinshomepage zitiert. Und just am vergangenen Samstag bezeichnete Gotoku Sakai, Kapitän des Hamburger SV, die 0:6-Klatsche beim FC Bayern als „unmännlich“.
„Männerfußball“ – wer in der Vergangenheit bei Interviews von Fußballspielern und -trainern genauer hingehört hat, der ist regelmäßig über diese und ähnliche Formulierungen gestolpert. Ein paar Beispiele?
„Wir haben echten Männer-Profifußball gespielt.“ – Thomas Müllers (FC Bayern) Begründung für einen Sieg gegen Mönchengladbach, Januar 2014
„Es war hart, ein Spiel an der Grenze. Aber das ist kein Vorwurf an Augsburg, wir sind ja im Männerfußball, das gehört sich dann so, dass beide mal hinlangen und auch einstecken. Das tut dann auch mal weh und soll es auch. Aber es ist okay." – Mike Frantz (SC Freiburg) über die Gangart der Partie beim FC Augsburg, März 2017
„Letztendlich hat mir der Wechsel nach Leipzig geholfen. Ich habe dort dann 3. und 2. Liga gespielt – da lernt man Männer-Fußball. Tiki-Taka mit zwei Kontakten ist da nicht, sondern da wird extrem körperbetont gespielt.“ – Joshua Kimmich, November 2017 in einem Interview mit der Bild
„Das war Männerfußball. Viele Zweikämpfe – ich mag so etwas.“ – Hertha-Trainer Pal Dardai nach einem 1:1 beim BVB mit sechs gelben und zwei roten Karten, Oktober 2016
„Im Moment tun wir uns mit dem Ball nicht so leicht. Deshalb müssen wir über den Kampf kommen. Das war echter Männerfußball." – André Schürrle über den ersten BVB-Heimsieg über den FC Bayern seit vier Jahren, November 2016
„Er [Sokratis] ist fast ein bisschen besessen vom Verteidigen. Er will das Tor bis zum Schluss beschützen. Und er hat Lust, Zweikämpfe zu führen. […] Papa ist ein echter Spieler, ein echter Mann. Er spielt Männerfußball." – Thomas Tuchel, August 2015
„Dabei besannen sich die Blau-Weißen auf die Tugenden, auf die es ankommt. ‚Das haben wir immer gesagt: Wenn die Bereitschaft da ist, auch da hin zu gehen, wo es weh tut, werdet ihr belohnt‘, sagte Heidel, der 90 Minuten lang ‚Männer-Fußball‘ gesehen habe: ‚Die Mannschaft hat vom ersten Moment an alles versucht, auch wenn fußballerisch nicht alles funktioniert hat.‘“ – Der Westfälische Anzeiger zum Schalker Sieg über Borussia Mönchengladbach, Oktober 2016
Doch was ist mit „Männerfußball" eigentlich gemeint? In den aufgeführten Zitaten wird das mal mehr, mal weniger deutlich. Einen Nenner haben aber alle: „Männerfußball“ meint stets den harten Kampf. Er ist körperbetont, puristisch, aggressiv und ein Ausdruck besonderer Willenskraft. Nicht immer ansehnlich, aber dafür der Beweis der Spieler, wirklich alles geben zu wollen. Über fußballerische Unzulänglichkeiten wird im Zweifel gerne hinweggesehen. Hauptsache, der Einsatz stimmt. Grenzüberschreitungen und bewusste Regelbrüche wie überharte Fouls werden legitimiert. Letztlich steht „Männerfußball“ vor allem für etwas Positives und Siegbringendes.
Das klingt zwar anachronistisch und nach Bolzplatz-Romantik – ein legitimes Mittel bleibt dieser Spielstil dennoch. Und auch der beste Matchplan wird ohne eine gewisse Portion Einsatz nicht aufgehen.
Haben wir keine anderen Probleme?
Was ist also verwerflich an der Bezeichnung "Männerfußball”? Es ist die Tatsache, dass sie positive Eigenschaften fest einem Geschlecht zuordnet. Wer Kampf, Willenskraft und schließlich Überlegenheit, nicht nur körperliche, als männlich charakterisiert, suggeriert: Auf Frauen treffen diese Attribute nicht zu. Und weil männlich und weiblich in der breiten Gesellschaft meist als Gegensätze betrachtet werden, schwingt mit, Frauen seien vielmehr weich, zurückhaltend und im Zweifel nicht bereit, an ihre Grenzen zu gehen.
Nein, keine der eingangs zitierten Personen sagt das wörtlich. Und möglicherweise meinen viele dies auch gar nicht, wenn sie von „Männerfußball" sprechen, sondern benutzen die Bezeichnung bloß aus Gewohnheit. Vielleicht auch deshalb werden manche fragen, ob es in Sachen Gleichstellung von Männern und Frauen nicht gewichtigere Brocken gibt, die aus dem Weg geräumt werden müssen? Weil Frauen für dieselbe Arbeit immer noch schlechter bezahlt werden als Männer. Weil es ihnen immer noch schwerer gemacht wird, Führungspositionen zu erlangen. Und weil in Bereichen wie der Film- und Medienbranche eine tabuisierte Diskriminierung stattfindet, die bis hin zu sexueller Gewalt geht, Stichwort #metoo. Übrigens nicht nur in Hollywood, sondern auch in öffentlich-rechtlichen(!) Medienanstalten hierzulande.
Unterschätzt die Wirkung von Sprache und Stereotypen nicht!
All das sind fatale Entwicklungen, denen gegenüber die Aussagen eines Thomas Müllers, Mike Frantz' oder eben Peter Stögers auf den ersten Blick wie Lappalien wirken. Doch: Man darf Sprache und ihre Wirkung niemals unterschätzen!
Denn Sprache erzeugt in unserem Kopf Bilder, und diese sind mit bestimmten Erwartungen verknüpft. Wir kennen das alle, ein Beispiel: Geht es um einen Menschen mit Behinderung, liest man häufig, er oder sie sei „an den Rollstuhl gefesselt“. Was assoziiert man mit dieser Metapher?
Es vermittelt den Eindruck, als wäre die betroffene Person hilflos und könne sich nicht selbstbestimmt bewegen. Das erregt Mitleid, und das ist wohl das Allerletzte, das ein Mensch mit Behinderung gebrauchen kann, der wie alle anderen als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft behandelt werden möchte und selbstbewusst mit seinen Einschränkungen umgeht.
Doch werden Bilder wie dieses immer wieder benutzt, manifestieren sie sich irgendwann in unseren Köpfen. Das ist umso problematischer, wenn es sich um Stereotype handelt. Denn um effektiv arbeiten zu können, greift das menschliche Gehirn gerne auf vereinfachtes Schubladendenken zurück. Es ordnet Menschen, gewollt oder nicht, anhand ihrer Merkmale wie Nationalität, Alter, Hautfarbe oder eben Geschlecht einer bestimmten Gruppe zu. So ist es leichter, einer komplizierten Umwelt Strukturen zu geben: Deutsche sind pünktlich, Spanier eher nicht. Menschen mit schwarzer Hautfarbe können schnell rennen – und Frauen sind eben das schwache Geschlecht. Der Deutschlandfunk zum Beispiel hat dies in einer Reportage ausführlich behandelt
Kommentiert eine Frau ein Fußballspiel, gibt es heftige Reaktionen
Im Fußball ist solches Rollendenken immer noch sehr ausgeprägt, Frauen und Mädchen spielen im Geschäft trotz manchen Fortschritts immer noch eine untergeordnete Rolle. In Vereinen wie Fanszenen gilt: Führungspositionen werden fast ausschließlich von Männern bekleidet. Werbung zeigt Frauen viel zu oft als bloßes Beiwerk, wie dieses Beispiel des ZDF zeigt. Und Woche für Woche rufen Eltern auf Sportplätzen ihren Kindern zu, sie sollen doch gefälligst nicht wie Mädchen spielen.
Wozu so etwas im Einzelnen führen kann, zeigt das Beispiel von Claudia Neumann. Die Kommentatorin wurde vom ZDF während der EM 2016 eingesetzt und war damit die erste Frau in dieser Rolle bei einem derart großen Turnier. In sozialen Netzwerken wurde sie anschließend heftig beleidigt, viele Kommentare zielten auf ihr Geschlecht ab. Frauen, die in die Männerdomäne Fußball vordringen, rufen offensichtlich noch immer heftige Abwehrreaktionen hervor. Eine Auswahl:
Okay, wir sind beim Frauenfußball! #Kommentatorin #WALSVK
— P a t . P. (@1292_judy) 11. Juni 2016
Zwar gibt es auch viel Widerspruch, doch diese Reaktionen wiederholen sich regelmäßig, wenn Neumann kommentiert. So auch während des Confed-Cups 2017 oder als sie vor wenigen Tagen das Champions-League-Hinspiel zwischen Real Madrid und Paris St. Germain begleitete:
Angesichts der Reichweite des Fußballs müssen sich alle hinterfragen
Übrigens sind nicht nur Frauen und Mädchen Opfer dieser veralteten Rollenbilder. Es trifft ebenso Jungen und Männer, die nicht den klassischen Erwartungen entsprechen. Bestes Beispiel hierfür ist Cristiano Ronaldo. Der mehrfache Weltfußballer ist zweifelsohne ein theatralischer Spieler. Wie häufig Kritik an ihm jedoch über die sachliche Ebene hinausgeht, ist dennoch auffällig. Spott erntet Ronaldo dafür, dass er ganz offensichtlich auf sein Äußeres achtet, seinen Körper gerne zur Schau stellt und bei historischen Siegen und Niederlagen gleichermaßen in Tränen ausbricht. Während gerade die beiden erstgenannten Eigenschaften von Frauen gesellschaftlich gar erwartet werden – „Germany’s next Topmodel“ lässt grüßen –, sind sie bei Männern häufig verpönt und werden als unmännlich abgetan. In Deutschland hat sich der ehemalige ARD-Experte Mehmet Scholl hervorgetan, der mit Blick auf die Vorwürfe der Steuerhinterziehung gegen den portugiesischen Nationalspieler witzelte, Ronaldo könne im Knast als „Miss September“ enden. Für dieses Kokettieren mit Vergewaltigung und Homosexualität erntete Scholl zurecht viel Kritik.
Jeder Trainer, Spieler und Funktionär muss sich angesichts der Reichweite, die der Fußball generiert, bewusst darüber sein, welche Vorurteile er befeuert, wenn er sich öffentlich entsprechend äußert. Dabei ist es, wie bereits erwähnt, zweitrangig, ob jemand Kampf und Leidenschaft tatsächlich als männliches Privileg sieht oder ob er die Bezeichnung „Männerfußball“ aus reiner Gewohnheit benutzt. Hier müssen sich alle hinterfragen.
Auch diejenigen, die das Wort „Männerfußball“ als Abgrenzung zum Jugendfußball benutzen. Jan Siewert, Trainer der U23 des BVB, sagte zu Saisonbeginn in einem Interview mit Westline über den Aufstieg ehemaliger U19-Spieler in die zweite Mannschaft beispielsweise: „Die Jungs sind schon sehr, sehr weit, aber müssen noch den Männerfußball kennen lernen. Das ist doch nochmal etwas Anderes.“ Hier ist ersichtlich, dass es nicht um eine geschlechtliche Zuordnung geht. Da der Kontext aber selten so klar ist wie in diesem Beispiel, könnte andernorts eine neutrale Bezeichnung wie „Erwachsenenfußball“ helfen, Missverständnisse zu vermeiden und Klischeedenken gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Schließlich muss es gerade im Fußball darum gehen, verkrustete Vorurteile zu durchbrechen, statt sie immer wieder im Kleinen, Alltäglichen zu reproduzieren. Wohltuend war da im Sommer Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann, der Frauenfußball-Klischees bewusst entgegen trat und sich darüber hinaus fachlich zur Europameisterschaft äußerte.
Wir haben in Sachen Geschlechtergerechtigkeit im Fußball noch viel Arbeit vor uns. Bei der Sprache anzufangen und nicht mehr von „Männerfußball“ zu sprechen, wäre ein erster sinnvoller Schritt.