Der Chef im Schatten
Würde man im Fußball-Lexikon die Begriffe „Konstanz“, „Persönlichkeit“ und „Charakterstärke“ nachschlagen, wäre es alles andere als überraschend, in das hochrote Gesicht von Lukasz Piszczek zu blicken. Im Testspiel gegen den SSC Neapel am letzten Dienstag feierte der mittlerweile ehemalige polnische Nationalspieler als Vertreter von Marco Reus beim BVB seine Premiere mit der Binde um den Bizeps. Und so wie fast alles, was in den letzten acht Jahren über den Rechtsverteidiger im schwarzgelben Dress berichtet wurde, gingen auch diese beiden Nachrichten im schnelllebigen Trubel der Vorbereitung auf die neue Saison mehr oder weniger unter. Aus dem Nichts und mit einem längeren Text, ausschließlich auf polnisch, verabschiedete sich der 33-jährige nach 65 Einsätzen aus der Nationalmannschaft. Nach einer eher enttäuschenden WM der Polen in Russland wird der Platz nun für jüngere Akteure geräumt, die sich dem neuen Chefcoach präsentieren dürfen. Danksagungen und wärmste Worte von ehemaligen Vereins – und Verbandskollegen wie Kuba und Lewandowski ließen nicht lange auf sich warten, der Verlust einer der absoluten Führungsfiguren wird Polen nicht nur sportlich schmerzen. Denn der „Typ“ und Charakter Piszczek, der 2010 als Stürmer von Hertha BSC nach Dortmund kam und von Jürgen Klopp zu einem der besten Rechtsaußen der Bundesliga und zeitweise Europas umgeschult wurde, ist schlicht weg überragend.
In einer Zeit, in der Profifußballer durch grässliche MCM-Rucksäcke, Beats-Kopfhörer und Kopfbedeckungen mit der Aufschrift „ICON“ auffallen, lässt Piszczu lieber Taten auf dem Platz für sich sprechen. Als für den Erfolg essenzieller Teil der berauschenden Meisterjahre kratzte er an der Weltklasse, ging in turbulenten Zeiten und schwierigen Phasen als Leader voran und ist bis heute wichtiger Ansprechpartner für die vielen jungen Akteure im Kader der Borussia. Ein Paradebeispiel für Arbeitsmoral, Demut, Teamgeist, Einsatzwillen und Charakterstärke - jeder Trainer könnte sich glücklich schätzen jemanden von solcher menschlichen Größe in seinen Reihen zu wissen. Lucien Favre scheint dies zu tun, so legte er doch mutmaßlich sein Veto gegen einen Transfer des schweizerischen Routiniers Stephan Lichtsteiner ein, der auf dem Platz die identische Position eingenommen und in der Mannschaftshierarchie den Anspruch auf einen ähnlichen Einfluss gestellt hätte.
Ein klares Bekenntnis zur Klublegende, die sich der Pole in naher Zukunft anschickt zu werden.
Mit der diesjährigen Vertragsverlängerung bis 2020 unterstrich Piszczek abermals die Absicht, seine Karriere in schwarzgelb ausklingen zu lassen und anschließend in seine Heimat zurückzukehren. „Ich bin zwar kein gebürtiger Dortmunder, doch dieser Verein und diese Fans sind mir über die Jahre so sehr ans Herz gewachsen, dass ich mich seit Jahren als echter Borusse fühle und nie im Ansatz den Wunsch verspürt habe, den BVB verlassen zu wollen. Ich möchte meine Karriere in Dortmund beenden und freue mich auf ganz, ganz viele weitere emotionale Momente in Schwarzgelb.” In seiner neuen Rolle als Vize-Kapitän hinter Marco Reus bekommt der Pole nun auch endlich die offizielle Wertschätzung, nach der er sich nie aktiv sehnte, aber sich schon längst verdient hat. Als stiller Anführer, Klebstoff im Mannschaftsgefüge und menschliches Vorbild für jeden im Verein. Für die letzten acht und die nächsten zwei Jahre voller Blut, Schweiß, Tränen, Einsatz, Leidenschaft und Loyalität bleibt nur ein Wort übrig: