Danish Dynamite - Thomas Delaney und die personifizierte Mentalität
Wie schnell es im Fußball manchmal laufen kann, erlebte Thomas Joseph Delaney vor seinem 26. Lebensjahr am eigenen Leib. Am Donnerstag: 25 Jahre alt, null Tore auf internationalem Parkett - am Montag darauf 26 Jahre alt, und mit vier Toren für die dänische Nationalmannschaft. Dass die Dänen dieses Jahr bei der WM dabei sind, haben Sie unter anderem ihrem unermüdlichen Mittelfeldmotor zu verdanken. Zwei Tage vor Vollendung seines 25. Lebensjahrs überrannten die „Danish Dynamite“ ein hilfloses Polen um Robert Lewandowski mit 4:0, Delaney’s Treffer initiierte die Demütigung im ehemals heimischen Kopenhagener Stadion. Einen Tag nach seinem Geburtstag schoss der Mann mit der #8 Armenien mit einem Hattrick im Alleingang ab – und die Skandinavier ein großes Stück in Richtung sommerliches Russland.
Eher unwahrscheinlich erscheint es, dass der BVB erst nach diesen eindrucksvollen Auftritten auf den Mann mit amerikanischen Wurzeln aufmerksam geworden ist. Seit Januar 2017 bei den Bremern und zuvor bei Kopenhagen, zeigte Delaney schon in jungen Jahren die Qualitäten, für die er heute beispielhaft steht: Kampfgeist, Reife, Körperlichkeit und absoluten Siegeswillen. In Kopenhagen eine lebende Legende – mit einer eigenen Dokumentation, vier Meistertiteln, drei Pokalsiegen und dem Kapitänsamt in jungen Jahren. In Bremen erst unter Alexander Nouri unumstrittener Führungsspieler, Leader und Kapitän, unter der Regie von Florian Kohfeldt zusätzlich maßgeblich daran beteiligt, dass in der letzten Saison lediglich drei Bundesligisten weniger Gegentreffer kassierten als die grün-weißen von der Weser.
Für die Borussia, die im Sommer nach einer grandios ungrandiosen Saison den wohl größten personellen und strukturellen Umbruch der jüngeren Vereinsgeschichte ausgerufen haben, passt der Däne ideal in das ausgeschriebene Stellenprofil. Während abseits des Platzes die neu gegründete Elefantenrunde aus Watzke, Zorc, Sammer und Kehl sich den Kopf über die sportliche Ausrichtung und das neue Dortmunder Über-Ich zerbricht, ist die Verpflichtung von Delaney der erste angewandte praxisbezogene Schritt in die Richtung der noch nicht gänzlich ausgearbeiteten Identitätstheorie. „Einer der auch mal böser guckt“ – naja. Jemanden der auf dem Platz für etwas konkretes steht und spielt, gepaart mit den Fähigkeiten die komplette Fläche zwischen den Strafräumen abzuarbeiten und gleichzeitig Torgefahr auszustrahlen – zweifellos ist der schwarzgelbe Kader ab sofort um diese Qualitäten bereichert. Auch führt Delaney überragende Zweikämpfe in der Luft, ist durch seine gefährlichen Distanzschüsse ein stetiger Unruheherd für das gegnerische Tor und war im Bremer Spiel der letzten Saison ein absolutes Schlüsselelement im Gegenpressing. Es wird spannend zu beobachten, wie Lucien Favre mit dem polyvalent einsetzbaren Akteur plant. Mit Dahoud, Weigl, Sahin und mit Abstrichen Castro und Rode herrscht im Mittelfeld (noch) ein Übergewicht an selben Spielertypen. Möglich, dass der Schweizer Coach nach dem wohl sicheren Abgang von Abwehrchef Sokratis zu Arsenal London den Dänen für eine Position in der Innenverteidigung vorsieht. Kein weit hergeholter Ansatz - was der ehemalige Gladbacher Trainer in seiner Unberechenbarkeit letztlich jedoch wirklich tut, wird man wohl frühestens am 1. Spieltag erfahren. Der bereits dritte Neuzugang für die kommende Saison, neben Marwin Hitz und Marius Wolf, kostet zudem annähernd 20 Millionen Euro – für die heutige Marktlage und die im Gegenzug erhaltene Vielseitigkeit ein Preis, über den in der Dortmunder Führungsetage sicher nicht länger als nötig nachgedacht wurde.
Kein blutjunges und teures Welt-Talent a la Pulisic, kein „solider“ Bundesligaakteur wie Castro oder Rode und kein ehemals ordentlicher Spieler, der schon länger keine Leistung auf den Rasen bringt und trotzdem immer wieder horrende Ablösesummen generiert – Thomas Delaney und seine Verpflichtung vereint im Gegensatz dazu auf den ersten Blick all das, für was der BVB im nächsten Spieljahr wieder verstärkt stehen möchte: Mentalität, Ordnung und Leistungsbereitschaft. Der dänische Nationalspieler hat das Potenzial dazu, das Westfalenstadion mit einer einzigen Grätsche wieder zu emotionalisieren und dem in letzter Zeit teils apathisch und lethargisch agierenden zentralen Mittelfeld ordentlich einzuheizen.
Der teuerste dänische Spieler aller Zeiten tauscht deshalb seinen Traum und Herzenswunsch von Brighton Hove & Albion für den ehemaligen Dortmunder Mentalitätsmoloch ein. Bereits kurz nach seinem vollzogenen Wechsel zu Werder im Januar 2017, gewährte der auf und neben dem Platz schon früh gereifte Mann einen tieferen Einblick in sein charakterliches Wertesystem: "Man kann in zwei Richtungen gehen, wenn man den Verein wechselt. Entweder man folgt dem Geld, oder man will sich stetig verbessern - und deshalb bin ich hier. Ich bin hergekommen, um ein wichtiger Spieler zu werden und einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen." Bei der WM kann sich der Mann mit der eigens öffentlich verkündeten Rot-Grün-Schwäche das erste Mal auf der ganz großen Weltbühne des Fußballs präsentieren – und er und der BVB sich anschließend freuen, dass das Grün für das sowieso viel ansprechendere Schwarz und Gelb eingetauscht wird.
Boris, 16.06.2018