Jadon Sancho: Auf der Insel außerhalb der Insel
Der nachfolgende Text hat eigentlich die Intention, sich mit Talent Jadon Sancho und seiner Entwicklung beim BVB zu beschäftigen. Mal davon abgesehen, dass es dabei leider nicht allzu viel zu schreiben gibt, bietet das Gesamtthema der aktuellen Talentförderung im Kader der ersten Mannschaft Potenzial für ein paar Zeilen. Sancho spielt dabei natürlich aber auch eine Rolle…
Beim Blick auf die Verpflichtungen von verheißungsvollen Nachwuchskickern wird relativ schnell klar, dass die Gazetten immer wieder tolle Storys kreieren und uns Fans so regelmäßig das Wasser im Mund zusammenläuft, ob der zukünftigen Möglichkeiten mit vier neuen Messis und drei Cristianos. Schnell verfliegt dieses Gefühl der Vorfreude dann wieder und weicht diesem Alltagstrott, in dem deutlich wird, dass 45 Tore in der zweiten usbekischen Liga halt doch noch kein Indikator für eine Fabelkarriere in der Bundesliga sind.
Trotzdem haben gerade wir Dortmunder in den vergangenen Jahren eine zurecht abgeänderte Haltung eingenommen. Den Shinjis und Lewandowskis huldigend, haben wir erkannt, dass professionelles Scouting den Grundstein für Erfolg legen kann. Das Ganze ist dann allerdings mit einer maßgeblichen Voraussetzung verknüpft: Die Talente brauchen das Vertrauen des Vereins – vor allem der Trainer – und schlichtweg Einsatzzeit auf dem Spielfeld unter Wettbewerbsbedingungen, um sich beweisen und – noch viel essenzieller – weiterentwickeln zu können. Denn wichtig is immer noch aufm Platz. Das sollten wir doch am ehesten wissen.
Viele hochgehandelte Talente aus Nah und Fern haben in den jüngsten Transferperioden den Weg nach Dortmund gefunden. Ein Umdenken war zwar nicht ganz freiwillig – die Abgänge von Hummels, Mkhitaryan und Gündogan sind hier nach wie vor als Ursache zu nennen – stand Borussia Dortmund aber auch irgendwie ganz gut zu Gesicht. Das Image des Ausbildungsvereins oder negativer formuliert „Sprungbrettverein“ muss nicht zwangsläufig etwas schlechtes sein. Ganz im Gegenteil: Mit der Reputation von vielen Spielern, die unter Klopp zur Weltklasse reifen durften, hat der BVB im Vergleich zu anderen Wettbewerbern immer noch immense Vorteile im Werben um eben jene Rohdiamanten.
Die Sache brachte in den letzten beiden Jahren aber häufiger Haken zum Vorschein: Immer weniger dieser Talente fanden den Weg in die erste Mannschaft. Dembele schaffte es, zog aber direkt weiter. Merino konnte sich nicht wirklich etablieren und verließ den Verein ebenso nach 12 Monaten wieder. Dasselbe gilt für Emre Mor. Einzig Pulisic ist der derzeitige Fels in der Brandung und glänzt als Youngster-Stammspieler regelmäßig – leider kann man nicht wissen, wie lange noch. Isak könnte sich in die Reihe der vorher genannten einreihen und ebenfalls nach kurzer Zeit einen neuen Arbeitgeber suchen. Dann wäre da noch Jadon Sancho. Überflüssig zu erwähnen, mit welchen Vorschusslorbeeren der junge Mann aus der Jugendabteilung von Manchester City an die Strobelallee gewechselt ist. Mit einer Einschätzung tue ich mich an dieser Stelle echt schwer. Ganze 16 Minuten stand Sancho in der Bundesliga während der Hinrunde auf dem Rasen. Eigentlich viel zu wenig, um überhaupt eine Aussage treffen zu können. Nun aber kamen am vergangenen Wochenende 90 Minuten hinzu – erster Startelf-Einsatz inklusive.
Doch ich erinnere mich noch sehr gut an seine erste Einwechslung beim Auswärtsspiel in Frankfurt. Oder vielmehr an seine ersten Ballkontakte, bei denen er diese gewisse Leichtigkeit eines Jungspundes vermittelte, die uns in der trägen Phase der Hinrunde abhandengekommen war. Ein bisschen Dembele und Pulisic waren da erkennbar, ein bisschen vom 18-jährigen Götze, und vielleicht ein bisschen Philipp. Anlagen die in der Tat sehr vielversprechend klingen. Ansonsten blieben wohl nur noch zwei Geschichten außerhalb des Rasens hängen. Zum einen war da das leidige Thema des Umgangs mit den sozialen Medien, nachdem Sancho ein eher unglückliches Hoodie-Bild (mit der Aufschrift „unemployed“ – arbeitslos) durch die Netzwerke schickte. Zum anderen gab es den durchaus nachvollziehbaren Frust der englischen Offiziellen bei der Nachwuchs-WM (U17) in Indien, von der der Youngster nach der Vorrunde zurück nach Dortmund delegiert wurde, um dann wieder auf der Bank beziehungsweise auf der Tribüne Platz zu nehmen. England wurde auch so WM-Sieger. Allerdings muss erwähnt werden, dass diese Maßnahme kein Spontaneinfall der obersten Borussen war, sondern bereits im Vorfeld als Bedingung einer Teilnahme vereinbart wurde.
Folgende Frage steht jetzt im Raum: Was passiert als nächstes. Wie sehen die weiteren (schwarzgelben) Schritte von und mit Jadon Sancho aus.
Eines steht jedenfalls fest, ohne Spielzeit werden wir auch im kommenden Sommer kaum einen neuen Stand haben und mehr zu diesem Thema sagen können. Dann bleiben nur weiterhin diese ersten Eindrücke und die vagen Hoffnungen, ein weiteres Talent würde den Durchbruch schaffen.
Peter Stöger könnte und sollte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Schaut man allerdings auf die derzeitige tabellarische „Drucksituation“, in der sich unsere Borussia befindet, ist nicht unbedingt davon auszugehen, dass allzu viel Freiraum für personelle Experimente gegeben ist. Andererseits ist auf den offensiven Außenbahnen die Personaldecke auch nicht wirklich dick gestrickt. Das Wolfsburg-Spiel als Auftakt in die (personelle) Rückrunde hat es gezeigt: Sancho ist eine echte Alternative und wird sich aufdrängen. Auch Stögers Aussagen zum Nachwuchskicker zeigen, dass der Coach das Potenzial längst erkannt hat und gewillt ist, dieses Talent in die richtigen Bahnen zu lenken. Es wäre ihm definitiv zu wünschen, dass es in der Rückrunde mehr Gelegenheiten geben wird, sich zu beweisen. Nur dann kann er zeigen, ob seine Anlagen die Einordnung in die Sparte derer rechtfertigen, die der Borussia qualitativ über einen längeren Zeitraum geholfen und sich zu Topspielern entwickelt haben.
17.01.2018, Tim