Chance vertan
Passend zur bisherigen Saison präsentiert sich der BVB bei der verdienten 0:2 Derbyniederlage wie ein lebloser Haufen Individualisten, von denen jeder sein eigenes Süppchen zu kochen scheint. Die Niederlage ist nach dem Schlachtfest von München und den vielen weiteren, teilweise peinlichen Auftritten, ein weiterer Tiefpunkt. Das einzige Positive an diesem Sonntag ist, dass das Derby vorbei ist und es lediglich nur noch vier weitere Spiele in dieser Saison zu ertragen gilt.
Der Abpfiff ist keine 10 Minuten her, als einige Spieler des BVB im Spielertunnel mit denen der gegnerischen Mannschaft ein lustiges Pläuschchen halten. Es wird gelacht und beim Abschied herzlich umarmt. Wohl den BVB-Fans, die sich am Montag ähnlich freudig mit ihren Arbeitskollegen über das Spiel vom Vortag unterhalten können. Dabei gäbe es sicherlich viel zu berichten. Zum Beispiel davon, dass der BVB-Gästeblock ohne die „ausgesperrten“ Ultras fast so blutleer wirkte, wie die Mannschaft agierte. Gut, dass die fünf Jahre, in denen die Ultras (zu Recht) vom Derby ausgeschlossen wurden, nun vorbei sind. Bestimmt werden die Arbeitskollegen, deren Herz nicht für den BVB schlägt, von der grandiosen Mülltüten-Choreo und dem „kreativen“, dazugehörigen Spruch schwärmen. Geschenkt - immerhin gab es auch ganze drei kleine BVB-Fahnen im Gästeblock zu bestaunen. Eigentlich hätte es keinen Derbysieg für Blau benötigt, um den Pegel der Glückseligkeit an diesem Sonntag zu erreichen. Spätestens als der Herr Tönnis den ehemaligen Madridspieler Raul durch das Stadion vor sich herschob, kochte die Turnhalle. Vor der Presse ließ Herr Tönnies noch ausrichten, dass Raul gesagt hätte, es wäre heute so, als wenn man nach Hause kommt. Na, wenn das nicht echte Liebe ist?!
Noch bevor das Spiel angefangen hatte standen die Schiedsrichter schon im Mittelpunkt. Es gab Probleme mit der (Funk)-Technik. Später im Spiel verlagerten sich die Probleme mit der Technik auf die allgemeine Schiedsrichterleistung. Immerhin durften sich beide Mannschaften mit der äußerst speziellen Regelauslegung des Schiedsrichtergespannes auseinandersetzen. Grundsätzlich ließ Schiedsrichter Gräfe sehr viel durchgehen und zeigte interessante Interpretationen der Vorteilsauslegung. Wirklich entscheidenden Einfluss auf das Spiel nahm er allerdings nicht. Dafür gingen beide Mannschaften äußerst rücksichtsvoll miteinander um. Zwei gelbe Karten sprechen hier eine eindeutige Sprache.
In den ersten Minuten wirkten die Blauen etwas unsicherer als der BVB. Gleich zu Beginn brachte ein Rückpass von Kehrer den Torwart der Blauen in arge Bedrängnis. Es waren die ersten vier Minuten, in denen die Körpersprache und die Präsenz des BVB auf dem Platz stimmten. Doch mit der ersten Chance für die Gastgeber, einem Distanzschuss, gewannen die Blauen mehr und mehr Sicherheit. Auch wenn die klaren Torchancen ausblieben, war das Spiel in den ersten 20 Minuten durchaus unterhaltsam, wenn auch die Gastgeber das Spiel zunehmend in die Hand nahmen. Einziges Highlight aus schwatzgelber Sicht: Ein Freistoß
von Reus aus gut 30 Meter Torentfernung, den Fährmann noch so gerade aus dem Winkel fischen konnte. Der Spielfluss nahm mit zunehmender Spieldauer stetig ab. Das Spiel wirkte zunehmend zerfahren und hektisch, Kreativität und Spielwitz keimten zu keinem Zeitpunkt der ersten Halbzeit auf, was sich auch in der zweiten Halbzeit durchgehend fortsetzen sollte.
Systemumstellung zur Halbzeit
Zur Halbzeit brachte Peter Stöger Andre Schürrle für den bis dahin eher enttäuschenden Phillip. Doch auch Schürrle reihte sich an diesem Nachmittag in die desolate Leistung seiner Mannschaft gnadenlos ein. Sinnbildlich, dass seine erste Ballberührung in einem wunderbaren Fehlpass endet. Spätestens nach dem Stockfehler von Schmelzer, der das 0:1 einleitete (50.Minute), musste man kein großer Prophet sein, um voraus zu sagen, dass dieses Spiel gelaufen war. Bitter, dass noch gut 40 Minuten zu spielen waren. Die folgenden Minuten liefen an den Spielern mit den gelben Trikots förmlich vorbei. Pisczek übernahm mehr die Rolle einer Slalomstange, als die eines
defensivstabilen Außenverteidigers. Die Taktgeber im Mittelfeld (Sahin/ Dahoud) meldeten sich nach einer passablen ersten Hälfte vom Dienst ab. Wer die Hoffnung hatte, der BVB würde sich gegen die drohende Niederlage wehren, wurde erneut bitter enttäuscht. Auch eine Systemumstellung brachte kaum mehr Durchschlagskraft. Zwar konnte man mit zunehmender Spieldauer mehr Ballbesitz für sich verbuchen, doch wirklich gefährlich vor das Tor kam man kaum. Mal verrannte sich Pulisic in der gegnerischen Abwehr, dann philosphierte Schürrle zu lange, was er mit dem Ball macht, bis ihm schließlich der Verteidiger die Entscheidung abgenommen hat. Einziger Lichtblick in dem Spiel war Marco Reus, der zumindest gelegentlich den Abschluss suchte. Die endgültige Entscheidung des Spiels fiel in der 81. Minute, durch ein Freistoßtor von Naldo aus 25 Metern, welches man als BVB-Fan nur noch zur Kenntnis nahm. Ob die Mauer von Bürki richtig gestellt wurde, ob man um die Schussstäke von Naldo nichts wusste, spielte zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr. Der Drops war schon mit dem 0:1 gelutscht. Dass der bis dahin sehr unglücklich agierende Batshuayi sich kurz vor Schluss noch schwer verletzte und die Saison für ihn wohl gelaufen ist, passt wunderbar in das Gesamtbild des Nachmittages.
Probleme an allen Enden
Dass das Gegentor wieder einmal offenbarte, welch gewaltiges defensives Problem der BVB hat, ist bitter. Noch bitterer ist aber, dass die Mannschaft, wenn man dieses Konstrukt als solche überhaupt bezeichnen darf, sich von dem Gegentreffer nicht mehr erholen konnte, geschweige denn eine Reaktion zeigte. Meinungen über die abgelieferte Leistung, welche unterschiedlich ausfallen, passen wunderbar in das Gesamtbild des BVB. Sieht der eine (Toprak) die Niederlage als unverdient an, spricht der andere (Schmelzer) von einer völlig verdienten Niederlage.
Am Ende feiern die Reviernachbarn den Derbysieg, die Vizemeisterschaft und ihren „neuen“ Lieblingstrainer, der sogar in die Nordkurve gerufen wird, um mit den Fans zu feiern. Auch wenn es vielleicht nur eine Momentaufnahme ist, scheint der Reviernachbar zurzeit verdammt viel richtig zu machen, was die missliche Lage des BVB nicht ertragbarer macht. Während Trainer Tedesco 90 Minuten an der Seitenlinie mit fiebert, gestikuliert und Emotionen zeigt, steht Peter Stöger mit verschränkten Armen in seiner Coachingzone und nimmt alles emotionslos zur Kenntnis. Die Einwechslung von Mario Götze vier Minuten vor dem Ende wirkt dabei mehr wie eine Bestrafung, als eine Belohnung für gute Trainingsleistungen.
Nach zwei blamablen Derbys in einer Saison, wirken Aussagen von Spielern, dass sie sich bei den Fans für die Leistung entschuldigen möchten, wie blanker Hohn. Das blamable Ausscheiden auf internationaler Bühne und dem „Schlachtfest“ in München, ist das Standard Bla Bla kaum noch zu ertragen. Es wird Zeit, dass diese Saison, die eine Qual für alle Beteiligten zu sein scheint, ein Ende findet. Die Chance, diese Saison einigermaßen versöhnlich zu beenden, ist mit dieser Derbyniederlage leichtfertig vertan worden.
Stimmen zum Spiel
Schmelzer: „Wir würden natürlich auch gerne mehr Spiele gewinnen und besser spielen. Aber woran es genau liegt, kann man momentan einfach schwer sagen.“
Reus: „Wir wollten unbedingt gewinnen und vor Schalke stehen. Aber wir haben es verkackt."
Christoph, 15.03+1.2018